Bis 3 Uhr früh fern-, oder besser internetsehen macht mich dem neuen Tag gegenüber nicht freundlicher, auch wenn der erst um elf beginnt. Äußerlich ist er zwar recht akzeptabel, dieser Tag, innerlich bin ich unzufrieden, ungerichtet und planlos. Zum ersten Kaffee erobere ich mir den Esstisch wieder; in Stresszeiten wie den letzten Monaten passiert das Frühstück vor dem Computer, dann hatte ich mich einfach daran gewöhnt. Heute mache ich mir eine Eierspeise und lese die frischen Lichtungen an. Die beginnen mit schönen Beobachtungen zum Schreiben und den Listen von Clemens Setz, er endet (nicht ganz) auf „die leuchtende Seltsamkeit des menschlichen Lebens“, und die, denke ich, ist doch der wirkliche Grund zu schreiben. Oder vielleicht sogar der wirkliche Grund zu leben.
Weil der Kaffee noch für ein paar Minuten reicht, lese ich dann noch den ersten Prosatextext von Barbara Klicka (Polen), dem ich gerne weiter gefolgt wäre. Mehr lese ich erstmal nicht, man muss den Wörtern Raum geben.
Ich mache mir einen 2. Kaffee und beginne Zettel zu sortieren, es gibt gute Gründe, um diese lästige Aufgabe endlich mal wieder zu erledigen, erstens brauche ich Raum, zweitens Ideen, drittens ist die Woche zwischen den Jahren genau die richtige für entspanntes Zettelsortieren.
Ich finde eine Notiz von vor zwei Jahren, vor der ich ein paar Minuten sitzen bleibe, sie erscheint gleichzeitig unerwartet präzise und doch ganz falsch.
① Ich bin langweilig geworden. Wollte warm und weich sein im dunkelbunten Sonnenschein. Habe das Schillern abgelegt, den Regenbogen und die Gewitterwolken. Dann war ich zu einfach für das Zwillingsgesicht. Na gut, dachte ich, ich werde wieder. Aber das Schillern war verloren, der Regenbogen. verblasst. Und statt der mächtigen Gewitterwolken bleibt nur gleichgültiges Nieselgrau.
② Ich habe das Zustimmen verlernt, definiere mich über das Nicht-Wollen. Ich weiß, von wem ich das gelernt habe, ohne es lernen zu wollen. Es fühlt sich an, als hätte mich die Welt im Stich gelassen, aber um ehrlich zu sein, habe ich die Welt im Stich gelassen. Der Blick verliert sich im Innen, hat keine Liebe mehr für den Moment.
③ Mir ist eine Eierschale gewachsen, die ist dem Küken meiner Gedanken viel zu eng. Warum schlüpft es nicht? Es ist nicht Angst, die mich von mir abhält. Es ist eine tiefe, allumfassende Ratlosigkeit.
Dem Hinterhersinnend etwas auf- und rumgeräumt. Die Ratlosigkeit, die ist wohl gekommen um zu bleiben. Draußen hat es 14 Grad, warm genug, um dabei ausführlich zu lüften. Ich bin für ein Leben mit offenen Fenstern geschaffen, denke ich, als ich die Tauben gurren höre. Gleich darauf flattert ein Schwamm flattert lauthals durch den Hof.
Ich sollte noch ein paar Kekse backen, für die sozialen Termine in den nächsten Tagen, aber ich lasse es, morgen ist ja auch noch ein Feiertag. Stattdessen mit ein paar Apps herum gespielt, die ich mir für ruhigere Zeiten aufgehoben hatte. Readwise lässt sich gut an. Als ich aus der digitalen Höhle wieder auftauche, bin ich auch nicht mehr schrittlustig: Stattdessen den Kalender für die nahe Zukunft auf den neuesten Stand gebracht und eine Reise gebucht, sicherheitshalber stornierbar. So schließlich doch noch recht zufrieden mit dem Tag, und es ist Zeit für…
Das Bier des Tages
Death by IBU aus der Brauerei Pulfer (Zagreb) verspricht 100 IBU und steigt passend kräftig IPA-aromatisch in die Nase. So meldet es sich auch auf der Zunge, hopfenbitter und würzig, ohne sich gleich malzig oder hefig anzubiedern. Erst im Nachgeschmack gesellt sich eine röstige Malznote dazu, die sich stimmig in die Komposition einfügt. Im Weiterkosten mischen sich erfrischend zitrige Noten in die Sinfonie. Mehr ist nicht, mehr braucht’s nicht. Ein feines Bier!
Zu trinken bei Einbruch der Dunkelheit an einer Anlegestelle in Finnland, wo man auf die Fähre zur Insel wartet, ohne zu wissen, ob sie überhaupt kommen wird.
Dann urplötzlich zu hungrig zum Kochen, klingt komisch, ist aber so. Ein Toskanaschnitzel vom Lieferdienst schafft Abhilfe. Es mag pervers klingen, ein Schnitzel unter Salat, Mozzarella und Tomaten zu begraben, aber es hat durchaus gemundet.
Dann ist es eh schon wieder zehn Uhr. Ich werfe einen wenig hoffnungsfrohen Blick auf das Fernsehprogramm. Plötzlich richtig Lust auf ST TNG. Ist eh schon fast 3 Jahre her, dass ich da das letzte Mal durch bin.
Schlüpf aus der Schale und erleuchte die Welt – denn da draussen ist es grad ziemlich duster.