Stadt, still

20. Dezember 2020

Ein zerkratztes Schäfchen an der Wand, viel mehr Fotomotive finde ich heute nicht. Die Stadt ist grau und feucht, aber nicht feucht genug, um interessant auszusehen. In diesem seltsamen Jahr hat man allerorten auch an der Weihnachtsdeko gespart, sogar die Christbaumkugeln in den Schaufenstern wirken staubig.

Vereinzelt spazieren Christbäume durch die Gegend, darunter kaum sichtbare Menschen. Die Wolken hängen tief. Irgendwo viel weiter oben fliegt ein Jet Richtung Schwechat, es ist ein großer, das kann man hören am changierenden, bassigen Rauschen. Bald darauf folgt ihm eine Propellermaschine, kein Turboprop, auch das kann man gut hören. Dann weitere Flugzeuge, ich höre nicht mehr so genau hin.

Das Wienmuseum ist völlig skelettiert, das wusste ich gar nicht, dachte es geht um eine normale Renovierung innenrum.

Auch der edlen Prinz-Eugen-Straße fehlt der Glamour. Selbst die französische Botschaft nur verhalten beleuchtet, vor der türkischen steht ein Soldat in Camouflage-Klamotten mit Camouflage-Mundschutz. Er folgt meinem Vorbeigehen mit den Augen, ohne den Kopf zu drehen. Das Belvedere liegt dunkel und leer.

Wie schön es wäre, jetzt irgendwo fremd zu sein, denke ich. In einer mittelgroßen Stadt, in Nordafrika vielleicht, oder irgendwo im Osten. Nicht Prag, Bratislava, Budapest: Um Himmels Willen keine Touristengegend. Nur mitten in einer fremden Alltags-Welt. Allein.

Unbeschränkt und unbescheiden glänzt plötzlich der Hauptbahnhof Weihnachten, es wirkt befremdlich. Die gleiche leere Allerweltsdeko wie am Westbahnhof, wahrscheinlich hängt in anderen österreichischen Städten auch das gleiche Zeug. Man kann es CI nennen, aber ich finde, das sagt auch etwas über den Wandel des Reisens aus. Längst geht es auch dabei um Business, nicht um Erfahrungen. Für Erfahrungen zahlt der moderne Reisende extra, Gruppenrabatt ab fünf Personen.

Aber die Nachtzugverbindungen der ÖBB sollen ausgebaut werden, habe ich gelesen. Paris, Barcelona, Amsterdam. Wenn erstmal dieser Virus unter Kontrolle ist, die Impfung da ist, der Winter nachlässt. Wenn…

Morgen ist der kürzeste Tag des Jahres.

In einem Schaufenster ein Buchstabenbild. „Man schlug mir auf den Kopf, und ich fiel mir auf“. Das Internet verrät Hannah Arendt als Urheberin, den Kontext verrät es nicht. Über den Satz denke ich noch eine Weile nach.

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