8. Juli 2017

Bachmannpreis 2017 – Tag 3

Mit übermotiviertem Moderator und verschlafen aussehender Jury geht es an die letzten Texte.

Eckhart Nickel beginnt. Bei seinem Videoporträt fällt mir wieder einmal auf, dass mir die Literaturmaschine fehlt. Sein Text „Hysteria“ beginnt auf dem Markt. Die Himbeeren haben die falsche Farbe und safteln blutrot, ein Rindviech rubbelt sich die Haut ab und legt gräuliches Fleisch frei. Angedeutetes OCD, zwanghaft wirkendes Beschreiben von kleinen und kleinsten Details, Anflüge von Hypochondrie, verschleiert vom geradezu entspannt ruhigen Vortrag des Autors. Dann wieder so Bilder wie melancholische Strommasten.

Keller vergibt ihre Stimme für den besten ersten Satz, „Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht.“ Schon mit Erdbeeren würde das nicht mehr funktionieren. Winkels findet Hyperrealismus und meint „extremer Realismus ist ein irreführender Begriff“. Er findet Science Fiction (ich hab das eher als Wahrnehmungsprobleme gelesen). Er findet den Text gut, findet aber zu viel von allem drin. Gmünder hat den Text so gelesen wie ich, Wahrnehmensstörung, findet ihn aber überladen. Kegel nennt es einen Elementarteilchentext. „Er will sich keine Beere aufbinden lassen.“ Fessmann findet eine „Poetik forcierter Dünnhäutigkeit“, und hat einen Dekadenztext gelesen, der aufzeigt, dass wir in einer Zeit des Überflüsses leben, findet das aber antiquiert, weil wir in einer nicht-dekadenz-geeigneten Epoche leben (Häh?). Kastberger mag Käferdichter und ist überzeugt, besonders weil der Text keine Antworten gibt. Er findet Übermenschbio und macht Ja, natürlich-Werbung. Wiederstein hat Angst nicht dranzukommen, und findet „German Angst“ und „früher alles besser“-Haltung und einen Bezug auf Verschwörungstheorie- und Fake-News-Anklänge.

Insgesamt die Diskussion interessanter als der Text.


Gianna Molinari erzählt schon im Video sympathiefördernd. Ihr Text „Loses Mappe“ beginnt mit einem Mann, der vom Himmel fiel.  Zuerst freue ich mich, dass da endlich wieder einmal eine geschichte erzählt wird. Leider hält die Freude nicht lang. Die Sprache fade, langweilig, der sakrale Vortrag hilft auch nicht.

Jurydiskussion erwartungsgemäß. Höre nur halb zu, weil es Zeit ist, die Wäsche aufzuhängen.


Maxi Obexer wirkt im Videoporträt etwas anstrengend. In „Europas längster Sommer“ geht es um Migration, Reisen und Sprache. Das ist gut. Als ich mich an die Stimme gewöhnt habe, ist es noch besser. Zum zweiten Mal in diesem Jahr habe ich uneingeschränkte Freude am Hören.  Auf Twitter dagegen wird der Text durchgehend gehasst.

Winkels sieht eine klischeehafte Zweiteilung der Welt als Problem des Textes. Feßmann hat eingeladen, erklärt aber den Text irgendwie von der Rückseite. Gmünder sieht die Geschichte der sechs Jungs durch den Kontext entwertet. Kastberger hält eine wunderbare Verteidigung des Textes, die auf „eh OK“ endet.


Urs Mannharts Videoporträt beginnt im Stall. Sein Text „Ein Bier im Banja“ ebenfalls. Es ist irgendwie die Geschichte vom Wolf im Schafsstall? Schöne Details – „Ob der Tag glücken wird, hängt auch vom Wolf ab. “ – „Um nicht alkoholisiert Auto zu fahren,
sind sie mit ihren Pferden unterwegs.“ Anfangs mag ich gar nicht in diese archaiische Welt eintauchen, aber die Geschichte gewinnt mit der Zeit.

Gmünder zieht eine Paralelle zu „Von Menschen und Mäusen“ und lobt die klare, einfache Sprache. Kastberger freut sich ironisch, endlich verstanden zu haben, was Wiederstein nicht langweilt, ist aber selbst wenig begeistert. Winkels findet Erzählung wie Sprache „vormodern“.


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