Huch, schon wieder Bachmannpreis?

25. Juni 2022

Neuer Prozess der Preisvergabe, das Punktesystem wird auf Twitter zwar verrissen, finde ich aber gar nicht schlecht.

Bei der Eröffnung großartige „Rede zur Literatur“ von Anna Baar.

Neues Lese-Ambiente: Die AutorInnen sitzen im Garten, die Jury im Studio. Ansonsten könnte es lauschig wie immer sein… aber die Texte bleiben großteils seltsam blutleer und die Jury, vielleicht auch wegen der körperlichen Abwesenheit der AutorInnen, verliert sich in teils persönlichen Miniatur-Scharmützeln.

Die Texte seltsam ausgewählt, sodass ich mich zwischendurch zum allerersten Mal in 25 Jahren Bachmann-Live-Anschauen tatsächlich fragte: Warum tu ich mir das an? Aus all diesen Gründen fehlt mir auch die Lust, in alter Blogtradition allen Texten und Diskussionen nachzuspüren. Was bleibt:

Meine Favoriten

Anna Marwan, Wechselkröte – Wunderbar wundersam, voller Miniaturbilder, deren man jedem Einzelnen minutenlang nachhängen möchte. Nicht nur in Klagenfurt, auch auf Twitter wird es ganz still. Ungewöhnlich einig sind sich nach der Lesung alle über die Qualität dieses Textes, Jury wie Twitterati.

Juan S. Guse, „Im Falle des Druckabfalls“ – Literatur-, Welt- und Alleskritik im Gewand der ethnographischen Forschung. Wunderbar absurd; kleine kohlrabenschwarze Gedankenbilder eingestreut.

Lichtblicke

Elias Hirschl, „Staublunge“ – Die abgehobene Welt, Asozialität und toxic Positivity der Start-Ups perfekt absurd überhöht.

Usama Al Shahmani, „Porträt des Verschwindens“ – (K)ein orientalisches Märchen: Die Geschichte der religiösen Umbrüche im Irak, aus scheinbar naiver Kindersicht. Würde ich weiterlesen wollen.

Leon Engler, „Liste der Dinge, die nicht so sind, wie sie sein sollten“ – Vergnügliche Neurosenschau, irgendwie sehr Berlin, auch wenn es im ICE nach Karlsruhe geht.

Behzad Karim Khani, „Vae victis“ – Auf Twitter schnell als „Männerliteratur“ abgetan, aber das tut dem Text unrecht. Im Gegenteil, die vielen kleinen Beobachtungen und Momente von Innen- und Außenschau wirken nachgerade zart, wie ein Kontrast zum brutalen Gefängnis-Setting.

Eigenartig

Wie die Jury sich über den alleinerziehenden Vater in Andreas Mosters „Silberriese“ freut, obwohl dieser Vater doch durch und durch egoistisch ist und die Geschichte in beleidigtem „holier than thou“-Tonfall erzählt wird. Wie dann das viel durchdachtere Elternschafts-Bild von Leona Stahlmann bei der Jury viel schwächer ankommt.

Wie mir Mara Genschels Text und Performance so gar nicht gefallen wollen, obwohl doch hier endlich einmal etwas gewagt wird, was ich sonst ja immer fordere.

Die Jury

Bitte nächstes Jahr ordentlich austauschen*. Es mögen ja alle gute, verdiente und renommierte Literaturkritiker*innen sein, aber die Chemie in dieser Gruppe ist verheerend. Anstatt konstruktiver Kritik zu viele persönliche Animositäten, zu viel Selbstdarstellung, zu wenig Literaturanalyse.

* (behalten: Kastberger, Wilke, Schwens Harrant, Wiederstein)

Meta

Mein Tweet zu Barbara Zeman hat es in die ORF-Berichterstattung geschafft, aber im Nachhinein finde ich mich ungerecht. Wenn jemand so schreiben und solche Gefühle be-schreiben will, dann soll man (ich) das nicht durch Literatur-Moden kleinreden, schließlich interessieren mich Moden auch im sonstigen Leben nicht. 

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