Bachmannpreis 2017 – Tag 2

7. Juli 2017

Ferdinand Schmalz steht im Videoporträt an der Autobahn und auf dem Friedhof, spricht übers Schreiben und übers Essen und hat eine seltsame Sprachfärbung aus dem Grazer Steirisch mit deutscher Lackierung. „Mein Lieblingstier heißt Winter“ heißt sein Text, den er dramaturgisch korrekt präsentiert. Ferdinand Schalz liest in Mantel und Hut und erinnert mich an Qualtinger (Kastberger stellt aber später klar, dass Ödön von Horvath gemeint war).  Ein Protagonist heißt „Schlicht“ und verkauft Tiefkühl-Convenience-Food, ein anderer heißt „Schauer“, der ist offenbar krank. Die Sprache macht eigenartige Schlenker und ordnet die Satzstellung dem Rhythmus unter. Es freut mich wie gewohnt sehr, dass einer was mit der Sprache macht, aber es freut mich in dem Fall nicht, was. Es sind so Satzstellungsgeschichten, die manchmal aufgehen, zu oft aber an die alten Dorfdichter erinnern, die im Geburtstagsgedicht jede sprachliche Vernunft dem Versmaß unterordnen.  Die G’schicht ist gruselig: Der kranke Dr. Schauer, der, aus schlechtem Gewissen einem vor langer Zeit erschossenen Hirsch gegenüber, eine ganze Tiefkühltruhe voll Rehragout hat, würde gern in in seiner Kühltruhe erfrieren und dann mit Schlichts Kühlwagen auf die Hubertuswarte entsorgt werden.

Keller lobt die Kunstfigur. Fessmann ist auch begeistert. Winkels meint, der Text generiert sich selber, spricht von der stofflichen Materialität von Sprache und Welt und wird schließlich biblisch. Kegel findet den Text makellos.  Gmünder bringt einen AC/DC-Einwurf und sieht ein Kammerspiel. Wiederstein versteht nicht, was das Rehragout mit dem Hirsch zu tun hat. Kastberger erklärt das Österreichische an der Österreichischen Literatur und findet den Text glaubhaft, er glaubt auch an das sprechende Rehragout. (Obwohl eigentlich der Hirsch gesprochen hat.)


Barbi Markovics Videoporträt sollte man sehen. Ihr Text „Die Mieter“ beginnt mit einer Familie, die in einer Wohnung offenbar ermordet wurden. Schön langsam entfaltet sich daraus ein Horrorfilm, in der der wohnungswandblasse Vermieter und die einzige Überlebende der Wohnungsbewohner sowie die eigens angereiste Schwester die Bösartigkeit innerhalb der Familie und die Bösartigkeit der Wohnung selbst wunderbar surreal glaubhaft bleiben. Der wurzellose Rettich wird mir bleiben. Feiner Text.

Winkels sieht den Leser auf einer parabolischen Bahn und meint, das Konkrete an der Geschichte ginge wegen der vielen Bedeutungsmöglichkeiten verloren. Kegel sieht den Vermieter als Normalnullfigur und freut sich an der Unheimlichkeit des Heims. Fessmann will die Geschichte nicht symbolisch lesen, sondern als Hyper-Realität. Wiederstein hat sich gelangweilt. Kastberger sieht den Text eine  Fortsetzung einer literarischen Tradition von parabelhaften Texten zu unheimlichen Wohnungen sowie unerzählte jugoslawische Geschichte.


Verena Dürr will ein Libretto schreiben und ein Muschelhornorchester gründen, erfahren wir im Videoporträt. In ihrem Text „Memorabilia“ erzählt sie vom Klavier aus dem Film Casablanca. Irgendwie interessiert mich das Klavier wenig, und ich habe auch wenig Lust, die erzielten Preise bei mehreren Versteigerungen in literarischem Kontext zu erfahren. Dann kommt ein Restaurator mit dem SUV (nicht Auto) in ein Zollfreilager, trinkt Milch aus dem Automaten (nicht aus dem Laden) und wird durch Ziegenaugen (nicht Kuhaugen) irritiert. Ich mag nimmer. „Blattwerk“, „kleines Federvieh“, “ es erkennt der Restaurator sogleich“ – Oida, welches Jahr schreiben wir, so rein sprachlich betrachtet?

Fessmann sieht die zwielichtige Welt der Zollfreilager, der die Geschichte aber nichts hinzufügt. Winkels sieht eine Entsinnlichung der Welt, findet die Abbildung gelungen und redet sich in Begeisterung für diese Konzeptkunst. Keller steht am Berg und verliert sich in ungerichteter Begeisterung.  Wiederstein verliert sich in die literarische Bedeutung von Höhlen. Gmünder erzählt einen Schweizer-Witz und sieht einen Schacht von Babel. Kastberger sieht einen Text jenseits klassischer Narration mit einer einfachen Strategie, die den Blick auf Unbekanntes eröffnet.


Jackie Thomaes Text Cleanster klingt vor allem nach Berlin. Der Putzmann, der sich die fremde Wohnung zu eigen macht, um nach und nach daran zu verzweifeln, die Wohnungsbewohnerin, die sich viel zu viele deutsche Gedanken macht. Irgendwie langweilig und dabei ein bisschen peinlich, sprachlich auch nicht aufregend. Leichte Komik bei der Interpretation seines Verhaltens durch die Auftraggeberinnen.

Gut erzählt, aber zu glatt, meint Feßmann (ja, das auch). Kastberger findet, das könnte eine Szene aus Sex and the City sein. Winkels findet die von Kastberger vermisste Dringlichkeit unter dem Schreibtisch. Ein  Ansatz von Wohlstandskapitalismuskritik kommt auf. Kastberger schwenkt auf Breaking Bad um. Ich bin irgendwie ungehalten allen gegenüber.


Jörg-Uwe Albig mischt in seinem Videoporträt unterschiedliche Film- und Soundfragmente. Sein Text „In der Steppe“ beginnt in der Leere und erinnert an Vieles. Die Werkzeuge des Mieraliensammlers (wiehießernochgleich?), die Zone (Stalker?), Das „Ding“, das eine Datscha ist, nein, eine Kirche. Dann ein Ei, genauer das innere Bild eines Eis, „die Luft war dick wie Dotter“. Alles ein bisschen surreal. Oh, die Kapelle ist eine Frau. In die er eindringt. Aber nicht nur er. Von da an ist irgendwie alles unangenehm klar.

Kastberger ist alles andere als begeistert und gibt dem Text keine Chance. Keller erkennt immerhin eine Masse aus Anspielungen, aber auch sprachliche Fehlgriffe. Kegel erklärt Objektophilie (ich bleibe dabei, die Kapelle ist eine Metapher). Gmünder nennt auch ein paar Popkulturanklänge und hat den Text als Liebesgeschichte, aber durchaus positiv empfunden. Feßmann versteht das „Ding“ ähnlich wie ich, wenn auch nicht ganz so direkt. Selten. „Das liegt daran, dass Sie nur mehr ironische und performative Texte wollen“, kommentiert sie Kastbergers Unverständnis.

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