Bachmannpreis 2019 II

29. Juni 2019

Ich muss noch den Bachmannpreis bloggen, dachte ich gestern, und stellte fest, dass es ein Müssen war, völlig neue Erfahrung, in all den Jahren war es fast immer ein Wollen, manchmal ein bisschen ein sollendes Wollen, aber ein Müssen war es noch nie.

Muss ich gar nicht, entschied ich folgerichtig, dieses kleine Blog am Rande des Internets, das so oft umgezogen ist, bis es auch die vorletzten treuen LeserInnen vergrault hatte (ein herzliches Hallo an die letzten!), muss gar nichts mehr.

Andererseits wird mir das Nichtgebloggte fehlen, dachte ich dann um vier Uhr früh, als die Vögel vor dem Fenster so laut randalierten, dass meine Gedanken zwischen dem Schlaf herumhängen durften, es wird mir so fehlen wie das Jahr, in dem ich dachte, mir würden die automatische Literaturkritik und der Chat dazu und Twitter und so weiter genügen, was zwar aktuell stimmte, aber im Nachhinein halt immer so ein Loch ergibt in der oben verlinkten Kategorie.

Alsdann, der Freitag

Yannick Han Biao Federer dämpfte gleich in der Früh meine Begeisterung beträchtlich. Gedämpfte Trennungsprosa, in der gleich alles vom Supermarkt bis zum Strand mit kaputt gehen muss, mit Möwenschiss am Ende. Den Möwenschiss diskutierte die Jury im Hinblick darauf, ob es der beste oder schlechteste letzte Satz wäre. Vielleicht wird auch die möglicherweise unmotivierteste Sex-Szene aller Zeiten in Erinnerung bleiben.

Ronya Othmann reist erzählerisch in den Irak und thematisiert den Genozid an den Jesiden. Das ist ein starker, wichtiger Text, aber aus meiner Sicht so gar nicht literarisch, auch wenn die Erzählerin gleich eingangs betont: „Jedes Schreiben ist für mich Fiktion“: Es klingt nach Reportage, bis auf die letzte Dreiviertelseite vielleicht. Was ja nichts schlechtes ist. Aber was macht eine Reportage beim Bachmannpreis?
Die Jury macht es auch nicht besser, anstatt den Text zu diskutieren, diskutieren sie, ob man über so einen Text mit allen darin verarbeiteten Gräueltaten überhaupt diskutieren kann.

Birgit Birnbacher holt alle in die Literatur zurück. Ihr Text über prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit einem mystischen Schränkchen ist ein echter Lichtblick, leichthändig erzählt, mit vielen doppelten Böden (nicht nur im Schränkchen). In der Jurydiskussion, die ein Haucherl tiefer gehen hätte können, nimmt immerhin Kastberger den Malina-Anklang wahr.

Daniel Heitzler, gehyped als der große Unbekannte ohne bisherige Veröffentlichungen, verschleppt uns nach Mexiko, wo ein Exil-Spanier mit seinen Nachbarn über Grundstücke streitet und an einem Peyote-Ritual teilnimmt. Es hätte so schön sein können. War es aber nicht, stattdessen langweilig und leer. Die Jury versuchte über weite Strecken, sich den Text schön zu reden, aber am Ende bleibt nur die Forderung nach einer „guten Dosis Haschisch (oder Meskalin)“ zum besseren Textverständnis – und vielleicht die kosmischen Klöten.

Tom Kummer, der Öffentlichkeit (mir nicht) eventuell als interview-fälschender Skandalautor bekannt, ließ mit seinem Intro-Video einiges erhoffen – so etwas wie eine Film-Noir-Parodie vielleicht? Leider stellte sich im Text bald heraus, dass er alles todernst meinte, trotz netter Popkulturanklänge. Immerhin blieb es sprachlich erfreulich. Die Jury ortete eine Zeitreise in die 90er. Der Mann habe ein libidinöses Verhältnis zum Lenkrad, meint Wilke, „Mann“, wirft jemand ein, das Publikum lacht. . Kastberger meint, er habe immer schon vermutet, dass Mordor in der Schweiz liegt. Ich wünsche mir, der Text wäre so gut gewesen wie das Introvideo.

Und der Samstag

Wie schnell auch ich mich täuschen kann, zeigt mir Ines Birkhan. Beim prähistorisch biologistischen Anfang ihres Textes denke ich noch ‚Oh nein‘, aber bald zieht mich die Beziehung zwischen der im Ausseerland vermissten Ekaterina und dem tätowierenden Seeskorpion in den Bann. Leseempfehlung!
Dass die Jury den Beziehungsaspekt des Ganzen nur kurz und dann auch noch von der falschen Seite streift, irritiert mich. Dass die Autorin nach ihrer Meinung gefragt wird und mit

„Ich hab das Gefühl, dass sie ziemlich daneben liegen.“

antwortet, verwirrt ganz Twitter und das Saalpublikum. Ansonsten wirkt die gestern noch weichgespülte Jury seltsam gereizt. Nicht, dass ich mir keine härteren Diskussionen gewünscht hätte, aber doch bitte zum Text, nicht intern untergriffig.

Leander Fischer schwadronierte über das Fliegenfischen und über den Geigenunterricht, wie die Jury später meinte, als Kontrast zwischen Beruf und Leidenschaft. ich konnte mich nicht für den Text erwärmen,

, empfand ihn als altbackene Männerprosa mit kaschierten Pädophilie- und Gewaltanklängen. Die Jury dagegen war begeistert.

Lukas Meschik brachte eine blasse Vaterverlustgeschichte ohne besondere Eigenschaften. Ich war nicht begeistert.

Die Jury auch nicht.

Martin Beyer weckte alle noch einmal kräftig auf, aber leider im negativen Sinn. Die Geschichte der Hinrichtung der Scholls aus Mithenkersicht zu erzählen, geht gar nicht, so der glücklicherweise recht einhellige Tenor auf Twitter und in der´Diskussion vor Ort. Schon gar nicht in diesem Keinwässerchentrüben-Plauderton.

Fazit

Ich habe im Publikumsvoting für @standseilbahn gevoted (und war ein bisschen traurig, keine zweite Stimme für Julia Jost und vielleicht sogar eine dritte für Ines Birkhan zu haben).

Bei der Wahl zur/zum besten Juror/in habe ich erstmals auch mitgestimmt. Für Klaus Kastberger natürlich.

Und ihr so?

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