Bachmannpreis 2017 – Tag 1

6. Juli 2017

Karin Peschka bringt schon im Videoporträt aufhorchen; über das Wort „Fremdenzimmer“ hab ich vorher nie nachgedacht.

Ihr „Wiener Kindl“ lebt mit Hunden in einer postapokalyptischen Welt, die neugierig macht. Vergangenheit, Zukunft? Kleine Textdetails machen die Jetztzeit klar, bin erleichtert nicht in den Weltkrieg zurückgeworfen zu werden.  Auf Twitter würde man dem Kindl das „l“  am liebsten wegnehmen. Ich dagegen mag das Kindl und die Gschicht (das Gschichtl?), vielleicht abzüglich ein paar scharfkantigen Textecken wie zB „Kot absetzen“,  und bin damit gleich beim ersten Text in der Minderheit. Würde ich aber gerne weiter lesen.

Die Jury wirkt wach. Winkels liest religiöse Anklänge, ich bin da eher bei @DorisBrockmann:

Kegel liest Mogli aus dem Dschungelbuch, Keller findet auch die Rom-Metapher sowie Wappenkinder und den letzten Menschen als Gegenpol zu Adam und Eva. Kastberger verbeißt sich in den Silberlöffel, mit dem man keine Hunde bändigen kann. Der neue Wiederstein findet den Text gelungen, fände ihn aber abgespeckt noch besser. Die Jury insgesamt wohlwollend, Twitter zurückhaltend bis bösartig.


Björn Treber gestaltet sein Autorenporträt wort- und gesichtslos. Der Text „Weintrieb“ beginnt auf dem Friedhof. Ein Begräbnis. Ich muss leider ertmal kichern, assoziiere eine ganz alte Geschichte, die ich bei Gelegenheit auch mal aufschreiben muss. Die ausführliche Beschreibung der Sarg-Szene lässt mir Zeit, mich zu fangen. Sargkarren, geschürzte Lippen und (streng?) riechende Trauergäste. Miniaturbild folgt auf Miniaturbild, was ich sonst sehr mag, aber hier sind viele Bilder schief und unstimmig.  Trotzdem:

Keller findet das Begräbnis erfrischend. Feßmann ist die Geschichte zu allgemein, naja. Wiederstein findet versteckte Aggression (so versteckt fand ich die gar nicht). Winkels findet den Text unbeholfen (kann man so sagen). Kastberger hat nachrecherchiert und findet den Text als pure schutzlose Realität, die er „mutig“ nennt. Rest der Diskussion verpasst.


John Wray kommt im Videoporträt sympathisch und ein Haucherl skurril rüber, das lässt hoffen. Dem gut vorgetragenen und perfekt konstruierten Text „Madrigal“ kann man eigentlich keine Vorwürfe machen. Ich muss ihm aber trotzdem vorwerfen, dass er mir die Lust an den Wörtern nimmt, sowohl an den fremden als auch an den eigenen. Daher hier die Zusammenfassung in Bildform.

Die Jurydiskussion war auch so ähnlich.


Noemi Schneider. Ein schnaufendes, ansonsten schweigendes Nashorn im Videoporträt, eine rauchende Frau, Fussmassage für Mütter. Im Text „Fifty Shades of Gray“ geht es um eine Baronesse, die fliehen muss (?), in den Süden; um ein Internat und Selbstmord. Die Tote heißt Malina, aber abgesehen davon nimmt der Text mich erst mal ein Stück weit mit.

Der Stil nützt sich beim Hören schnell ab, lesen geht besser. Schade, dass das plakative Buzzword-Bingo (Baronesse, Malina, …) die sympathisch schnoddrige Poesie stören.

„Nicht gelungen“, meint Feßmann. Kegel sieht eine umgekehrte Flüchtlinsroute, die die Phantasien vom Untergang des Abendlandes ironisiert. Winkels erklärt den angedeuteten Untergang des Abendlandes, um den dann ein bisschen gestritten wird. Meine Chronistinnenlust ist noch nicht ganz zurückgekehrt.


Daniel Goetsch, im Videoporträt friedhofsbegeistert, erzählt in „Der Name“ eine Geschichte aus der Nachkriegszeit mit mehr oder weniger wahrhaften Personen, umrahmt vom Seelenleben eines verlorenen Schriftstellers auf einer Insel. Die  Story selber irgendwie sympathisch, die Sprache sehr verstaubt und altbacken. Der Leser / Hörer (ich zumindest) am Schluss genau so verloren wie der Schriftsteller.

Die Jury wirkt ähnlich ratlos, Keller erklärt den Romankontext, der dort eigentlich nix zu suchen hat.


Das wars mit den Texten für den ersten Tag. Die wirklich wichtigen Fragen danach werden auf Twitter gestellt…

Und wirklich lesens- bzw. hörenswert ist die heurige Rede zur Literatur von Franzobel.

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