Das gute Leben und die seltsame Welt

29. September 2023

Obwohl ich zum dritten Mal hintereinander wenig geschlafen habe, bin ich durchaus vergnügt, als ich um 8 Uhr früh in den Railjet nach Linz einsteige. Der Zug ist voll wie gewohnt, aber ich erobere ein Plätzchen im Speisewagen und bestelle Cappuccino und ein Croissant. Cappuccino gibt es nicht, man könne nur Verlängerten bieten. Soll sein, soll sein. Obwohl alle Tische besetzt sind, ist es recht still, nur eine Frau erzählt einer anderen alle Details ihrer Südafrika-Reise. Während draußen die Landschaft vor sich hin morgennebelt, beantworte ich neben dem Frühstück die wichtigsten Mails.

In Linz ist es schon wieder sonnig und heiß. Dieser September ist unglaublich, dachte ich, packte die Jacke in den Rucksack und wäre beinahe in die falsche Straßenbahn eingestiegen, fand aber dann doch die richtige. Ein Termin bei einem sympathischen Handwerksbäcker bringt neben angenehmem Gespräch und den passenden Fotos auch den ersehnten Cappuccino.

Danach habe ich genug Zeit, zu Fuß zum Bahnhof zurück zu schlendern, zwei familiäre Telefonate hindern mich aber am Fotografieren. Macht nix. Der einzige Zug, bei dem heute Pünktlichkeit wirklich essentiell ist, kommt sehr pünktlich und ist sehr voll. Ich hab’s aber eh nicht weit, nach einer Stunde steige ich schon zum Umsteigen aus. In Neumarkt am Wallersee bleiben 12 Minuten Zeit, im Schatten zu sitzen und das Bahnhofsleben zu beobachten.

Neben Zügen, Autobussen und Menschen gibt es hier auch reichlich Schmetterlinge, die zwischen Fahrradbox und Bäumchen tanzen. Erstaunlich. Der Bus kommt pünktlich und kurvt eine Ladung Schüler*innen und mich verlässlich nach Mondsee. Mondsee ist hübsch, das Schloss ebenso edel wie skurril. Ich nehme mir zum wiederholten Male vor, hier mal ein bisschen mehr Zeit zum Schlendern einzuplanen. Vielleicht beim nächsten Mal.

Die Tagung ist nicht nur spannend, sie bietet auch Gelegenheit, nette Menschen wiederzusehen, die man sonst nur selten sieht. Fast war mir der nötige Aufbruch ein wenig zu früh, aber mit dem morgigen Arbeitspensum vor Augen wollte ich dann doch nicht zu spät heimkommen. Im Bus nach Salzburg dunkelte es malerisch.

Das Leben als rasende Reporterin habe ich mir anders vorgestellt, sinnierte ich, als ich dann im abendlichen Railjet gerade noch einen Nischenplatz auf den Stufen vor einer Tür ergatterte. Der Zug kam aus Zürich und war 20 Minuten verspätet, offenbar unvermeidlich, wenn er mit dem deutschen Schienennetz in Berührung kommt, auch wenn es nur das deutsche Eck ist. Ich dankte meinen Genen, dass ich mich auch mit 57 noch in so eine Türnische klemmen kann, ohne gröbere Schmerzen befürchten zu müssen, und trötete, immerhin noch halb vergnügt:

Dann überlegte ich, ob das auch stimmt, diverse Fahrten zu Ferienzeiten und im Migrationssommer 2015 waren durchaus auch voll gewesen, aber so voll, dass selbst der Weg in den Speisewagen für ein Fläschchen Wasser unmöglich schien, daran kann ich mich nicht erinnern. An arbeiten war so auch nicht zu denken. (Der spätere freundschaftliche Rat „hättest halt einen Sitzplatz reserviert“ kam nicht nur zu spät, ich hätte vorher auch gar nicht gewusst, für welchen Zug.)

Vorsichtig, um nicht mit umliegenden Füßen, Knien und Ellbogen in Konflikt zu geraten, ruckelte ich meinen Rucksack als Handyablage zum Fernsehen zurecht, fand auf der Suche nach einem Tuch gegen die Klimaanlagenkühle auch noch eine halbvolle Wasserflasche im Rucksack, und schaute mir ein paar Nachrichtensendungen an. Dass Schweden jetzt im Kampf gegen die Bandenkriminalität das Militär zur Unterstützung der Polizei heranziehen will, ist weniger martialisch als es klingt, es geht nicht um Straßenkampf, es geht, betonen sowohl Ministerpräsident als auch Polizeichef, um Datenauswertung und solche Dinge. Erst einmal, denke ich misstrauisch, und der getragene Kindergartentonfall von Kristerssons Rede zur Lage der Nation erinnert mich irgendwie an Kurz zu Coronazeiten, und die Kommentare in deutschsprachigen wie in schwedischen Medien und Foren geben mir den Rest. In der Türnische gegenüber diskutiert derweil ein deutsches Pärchen die Türkisfärbung der CDU, auch die gibt mir zu denken.

Da passiert etwas in Europa, und es ist nichts Gutes.

Das sogenannte Flüchtlings- oder Migrationsproblem ist vorwiegend ein Bildungsproblem, das nicht besser davon wird, wenn man mit dem Hammer draufhaut. Will man die Werte Europas verteidigen, dann muss man sie Neuankömmlingen aktiv vermitteln. Parallelgesellschaften, wie sie in Schweden und Frankreich entstanden sind (und die hierzulande gern herbeigeredet werden, obwohl wir weit davon entfernt sind), speisen ihre Aggressivität und Gewaltbereitschaft aus dem Gefühl, dass deren Mitglieder ohnehin keine Chance und nichts zu verlieren haben. So ist das immer und überall.

Bei uns, derweil, rät niemand geringerer als der Bundeskanzler armen Familien, den Kindern als warme Mahlzeit einen Burger von McDonalds zu servieren. Das ist nicht nur herablassend, gesundheitlich bedenklich und unrealistisch bezüglich der Kalorienaufnahme von Heranwachsenden, das ist zudem auch noch eine Watschen für alle heimischen Lebensmittelerzeuger. Der Parteisekretär bestätigt, dass es sich dabei um Werte hält, für die die ÖVP einsteht. Na dann. Gute Nacht.

Im Grunde gehört endlich einmal das dumme Mantra „Leistung muss sich lohnen“ zerlegt: Denn was ist denn eigentlich Leistung? Ist es wirklich mehr Leistung, mit einem astronomischen Politikergehalt heiße Luft in den Äther zu blasen, als Kinder großzuziehen und daneben noch einen Niedriglohnjob und alle anderen Pflichten unter einen Hut zu bringen? Ich denke nicht. Zudem gibt es reichlich Jobs, in denen Arbeitnehmer*innen gesellschaftlich und wirtschaftlich essentielle Leistungen erbringen, die aber dennoch so miserabel bezahlt sind, dass es nicht zum Leben, sondern gerade einmal zum Überleben reicht.


Derweil ich so vor mich hin sinniere, hat der Railjet Wien erreicht, obwohl er unterwegs noch ein bisschen mehr Verspätung aufgesammelt hat. Das liegt daran, hat mir kürzlich jemand erklärt, dass durch Verspätungen natürlich auch Schienenverfügbarkeit neu berechnet werden muss, um andere Züge nicht zu behindern. Soll sein. Es ist fast Mitternacht, und ich gehe vom Bahnhof geradewegs heim ins Bett.

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