Nochmals Wandern & ungewöhnlicher Genuss der Ablehnung

30. Oktober 1997

Ganz früh auf, eilends ins G’wand g’hupft, auf an die Echo-Felswand! Vorbei an Schulkindern mit Müttern und ohne, vorbei an Müllmännern, geschlossenen Lokalen & Geschäften, früh genug, dass es da hinten keine Badenden gibt, keine Funboote und…

…das Meer schläft noch. ganz ruhig, kaum ein Geräusch, und definitiv kein Grund, den Walkman aufzubauen. Verdammt!

Na gut dann… Hinter der Mauer auf den Felsen gesessen, eine Weile, dann, als Zivilisationsgeräusche vom Rundumerwachen erzählen, ab zum Frühstück ins Marina; Spiegeleier heute, Orangensaft, Toast. Gemütlich gelesen und in den Himmel geblinzelt, recht wolkig heute, ob es Regen gibt?

Danach auf den Weg gemacht, auf den langen, vielversprechenden. Durchs Dorf rauf zuerst, aus der Schule Kindergesang, vor mir ein älteres Pärchen, sprechen Schwedisch.

Den langen Kurvenberg hinauf (jetzt muss einmal der Wahnsinnige erwähnt werden, der seit vorgestern täglich morgens und Abends sein Horn bläst im Hafen, eh ich den noch ganz vergesse!). Hinauf, hinauf, hinauf. Die Schweden irgendwann überholt, man muss seinen Rhythmus behalten, dann ist alles halb so schwer.

Oben angekommen, wird gerade eine Schranke gebaut mit Gehämmer & Gebrüll, also stiller Frieden erst hinter der nächsten Kurve. Telefonieren muss ich auch noch. Vor Wut über den Anrufbeantworter im Flugbestätigungsbüro eine Zigarette angezündet & schon kommen die Schweden wieder vorbei. Keine Lust, schon wieder in Sichtweite zu laufen, also eine Weile sitzen geblieben & Buch gelesen. Dann weiter. An der großzügigen Felswand kurze Kraft-Rast mit ausgebreiteten Armen, soviel Kraft ist da drin! Flüchte, bevor lautes Auto meine seltsame Stellung entdeckt.

Nach vielen Schritten (gut) und vielen Gedanken (nicht so gut) das “heilige” Pinienwäldchen erreicht. Dort aber pfeift der Wind, daher kann ich auch diese Soundscape nicht aufnehmen, festhalten. Fast scheint mir, der Felsen da drüben grinst schadenfroh, als wäre es eine Absicht des Landes, als dürfte ich Dinge zwar erleben, aber keinesfalls mitnehmen.

Dann halt weiter. Will ich denn da wirklich noch runter, zum Strand, und dann wieder rauf? Hinter der ersten Bergabkurve sitzen die zwei Schweden mit noch zwei anderen, plaudern, jausnen. Sie sind aus Göteborg & zum Plaudern aufgelegt. Ob man da unten den Baden kann? (dürfte kein Problem sein heute). Ob ich gar keine Angst hätte, so allein? (Nein.) Wie man mit diesen Schuhen so weit laufen kann? (Sind bequemer als sie aussehen).

Also doch runter & heute ist es OK, wunderbar zum Baden und nicht zu heiß in der Sonne; ein paar Leute und ein paar Boote und Nackt gegen Angezogen steht 50:50, die Schweden kommen und sie zieht sich aus und er nicht, also bleibt es bei Gleichstand.

Unnötige Fantasy-Geschichte fertiggelesen, meine zwei Orangen gegessen und aufs Meer und in den Himmel geblinzelt, nicht ohne immer wieder einzutauchen ins große Blau und einmal sogar hinter die westliche Klippe geschwommen, verdammt weit, aber Meerwasser trägt.

Dann Hunger, stattdessen Wasser & irgendwann doch eine Zigarette; noch ein paar Steine aufgeklaubt & wieder weggeworfen & nochmal untergetaucht und schließlich ist es Zeit zu gehen.

Der Aufstieg wird zum unbeabsichtigten absurden Wettrennen zwischen mir & einem norddeutschen Pärchen, der Rucksack drückt & der Rücken schmerzt. Beschließe Anschaffung eines besseren (Rucksacks, nicht Rückens).

In “meinem” Wäldchen noch immer kein Vogelkonzert, trotzdem bleibe ich lange, weich auf den Piniennadeln (gibt es eigentlich Matratzen mit Piniennadeln zu kaufen?), angenehm und gut versteckt, um alle anderen davonziehen zu lassen & wieder ganz alleine gehen zu können.

Trotzdem auf dem weiteren Weg viel zu viel Verkehr für meinen Geschmack, nicht mein stiller einsamer Weg wie beim ersten Mal. Abschied von meiner Felswand, kurz, aber herzlich. Davor, danach, Autos, Motorräder, einige Uniformierte. Draußen auf dem Meer ein Loch in den Wolken, durch das die Sonne mit scharfem Strahle einen gleißenden Kreis auf die ansonsten bleigraue Wasserfläche malt. Dahinter strahlend helle Wolkenränder, mytisch-magisch.

Der Weg ist weniger weit als zuletzt, wohl wegen der vielen Autos, was wollen die denn hier? Eigentlich viel zu schnell zu Hause, runter um die Kurven, nochmal im Bücherregal geschmökert, dann am Balkon gejausnet nach der Dusche.

Dann feingemacht & runter ins Dorf; im Casablanca einen frischgepressten Orangensaft und anschließend einen Cappuccino genossen, während ich schreibe; dann eine große Hafenrunde & richtig hungrig jetzt, mutig! auf zu Antonio.

Dort eine Brasse zelebriert; köstlichst; dazu Wein, weißen: Habe nichts dagegen, wenn der Abend heute ein längerer wird.

Während ich noch warte, auf meine Brasse, kommt der Sailor eiligst herausgestürmt, was ihn nicht daran hindert, mir auf die Schulter zu klopfen & mich zu fragen, wie’s mir geht. Antonio hat mich natürlich mit Handschlag begrüßt, der schnauzbärtige Gitarrenspieler sowie der fehlproportinierte Kellner ebenso – was die Franzosen am Nebentisch ziemlich ins Grübeln bringt, wie ich höre. Der Fisch, wie erwähnt, köstlich. Samt Beilagen. Und Wein habe ich heute gleich von Anfang an vom Guten bekommen.

Vernunft hieße nun zahlen & gehen, allein: Das Weinglas ist noch voll. Derweil ich überlege, kommen drei Briten des Weges, 2 davon vom Wirt ebenfalls per Handschlag begrüßt, die dritte eine Allein-Weltumseglerin. Antonio stellt mich vor und rückt eigenhändig die Tische zusammen, wie schön: Ein Grund zu bleiben.

Die Alleinseglerin ist weit entfernt von dem Bild, das ich von einer Alleinseglerin habe: Klein und zierlich, eine Stimme wie ein gläsernes Windspiel. Sie erzählt, wie es so ist, ganz allein auf dem Boot; die Technik sei kein Problem und schon nach ein paar Tagen würde man ganz automatisch bei jeder noch so leichten Windänderung aufwachen; der Körper gewöhne sich leicht an einen völlig anderen Rhythmus, bei dem man eben nur kurz schlafe, dafür aber öfter.

Schwieriger sei es da schon, mit dem Alleinsein klarzukommen – bei Teilstrecken von 3 Wochen verliert man irgendwann den Sinn dafür, was wirklich ist und was nur gedacht, sagt sie. Dafür habe ich vollstes Verständnis; mir passiert das auch ganz ohne wochenlanges Alleinsegeln.

Aber das sage ich nicht. Ich sage überhaupt wenig; lausche vielmehr fasziniert, wie übrigens auch das britische Pärchen, nur Antonio versucht, sich einzubringen – unschlüssig teilt er seine Aufmerksamkeit zwischen mir und der Seglerin.

Schließlich greift er zur Gitarre, gut so: da muss ich nicht mehr acht geben. Nach ein paar Songs und weiterem Geplauder läutet sein Telefon, im Vorbeigehen drückt er mir die Gitarre in die Hand und unbedacht entfleuchen mir ein paar Akkorde; plötzlich bestehen alle darauf, dass ich singe. Bobby McGee bis zur Hälfte, bevor ich mich verhasple, der Rest der Menge ist schon so zu, dass der Applaus größtenteils echt ist.

Letzte Hoffnung auf Wiederkehr des Sailors aufgegeben und versucht, aufzubrechen – aber ich kann noch so gefinkelt bei seinem Kellner zahlen, Antonio kriegt alles mit und stellt noch einen Krug Wein auf den Tisch, den er mit mir trinken will.

Alle anderen sind mittlerweile miteinander beschäftigt und so nehme ich das wiedergefüllte Glas, stoße freundschaftlich mit dem Lästigen an und versuche, ihm zu erklären, dass: Nein! und warum.

Worauf er plötzlich sein erstklassiges Deutsch völlig vergisst. Grund genug, zornig zu werden. Offener Zorn wäre allerdings, davon bin ich überzeugt, eine strategische Niederlage: Daher vergesse ich im Gegenzug sowohl mein bisschen Spanisch als auch mein Englisch, bedanke mich überschwenglich freundlich für seine Gastfreundschaft und röste ihn gleichzeitig mit bösartigen Blicken. Das macht mir ganz plötzlich unberwartet einen höllischen Spass, und trotz der plötzlichen Sprachschwierigkeiten ist klar, dass auch er sich wunderbar amüsiert ob dieser gegenseitigen Zurschaustellung von “Face”.

Solcherart seltsam hin- und hergerissen zwischen beidseitigem Zorn und Amüsement, wobei unklar bleibt, wieviel von dieser Vierfaltigkeit echt sein könnte, schaffe ich es, mich loszureißen und dem bescheidenen Bett zuzusteuern. Dort angekommen, ist es plötzlich unerwartet 2 Uhr nachts.

[Das Feuerwerk! Beinah hätt ich das unglaubliche Feuerwerk im Hafen vergessen, viel früher, bei Einbruch der Dunkelheit. Nicht einmal S. aus dem Casablanca weiß, wer die Raketen aus welchem Grund abgeschossen hat. Hm.]

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