(und spotify hat uns wiedervereint)
Ich weiß noch genau, wann die Musik in meinem Leben den Stellenwert bekommen hat, den sie heute noch hat. Es war im Internat, als eine Freundin eine Kassette mitgebracht hat, die sie aus dem Auto ihres Vaters mitgenommen hat. Jethro Tull, Aqualung. Ich war die einzige weit und breit, die einen Walkman hatte, noch dazu einen mit zwei Kopfhörerausgängen. Abends, unter der Bettdecke, mit Wasserlunge und Lokomotiv-Atem, wurde Musik zu so viel mehr als einem netten Zeitvertreib: Ich hatte eine völlig neue Welt entdeckt, die mir lange Zeit ziemlich allein gehörte. Schön, wir paar Gleichgesinnte aus dem Mädchenpensionat fanden uns zu heimlichen nächtlichen Listen-Ins zusammen, wenn jemand eine neue Kassette aufgetrieben hatte, wir schwärmten für Chansons und für die damals durchaus noch lebendige Austropop-Szene, für Simon und Garfunkel und für Cat Stevens. (Für ein Autogramm von Rainhard Fendrich hab ich zum einzigen Mal in meiner Schulkarriere einen Vormittag geschwänzt. Auch ich hatte meine peinlichen Momente)
Aber dass noch andere die Kraft der Musik so unmittelbar spürten wie ich, erfuhr ich erst nach der Matura. Als der Musikgeschmack potentieller Freunde viel wichtiger war als ihre sonstigen Ansichten und Besitztümer. Als wir einen Plan erstellten, wer zu den wenigen Sendungen, die damals in Österreich Neues zu Gehör brachten, “Aufnahmedienst” hatte, damit wir uns ein paar Tage später alle um die Stereoanlage versammeln und interessantes hören und besprechen konnten. Die hektisch wirkenden Kassettenzusammenschnitte aus den wenigen Radiosendern, die das Horchen wert waren, mit Knacks und Moderatorgequatsche, hatten ihr eigenes Flair.
Mit der Zeit wurde es leichter. Ich fand Freunde, die selbst Musiker waren, und solche, die Interessantes begeistert und akribisch dokumentierten. Manche hatten Zeitschriften aus dem Ausland abonniert, aus denen man lesen konnte, was man bei uns im Radio nicht hören konnte. Manche ließen sich gar auf das Abenteuer ein, per Mailorder Platten zu bestellen, die lokal nicht zu kaufen waren – was Wochen und mitunter Monate dauerte und nicht zuletzt dank der Postgebühren ein verdammt teures Hobby war.
Dann kam das Internet, und damit eine ganz neue Ebene internationaler Vernetztheit. Ganz am Anfang, da war ich unter Menschen, die sofort die Idee hatten, das auch musikalisch zu nutzen, aber bei Übertragungsgeschwindigkeiten von 1200 oder 2400 Baud und den damaligen Telefongebühren wurde nicht wirklich was draus. Aber immerhin, man hatte Informationen!
Später kam MTV (anfangs wirklich eine Eröffnung!). Dann kam FM4. Dann kam der deutsche Rolling Stone mit seinen CDs. (Die Reihenfolge mag anders gewesen sein, aber in der genannten Reihenfolge kam es bei mir an.) Und allmählich kamen Internetverbindungen, mit denen man auch mehr als Text übertragen konnte. Die späten 90er und frühern Nuller-Jahre waren musikalisch das Paradies, von dem ich niemals zu träumen gewagt hätte, als ich im Internat unter der Decke steckte und meine treueste Leidenschaft entdeckte.
Aber das Paradies nutzte sich schnell ab. Die Songs auf den Rolling-Stone-“New Noises” Längst viel zu willkürlich. FM4? Ein großartiger Sender nach wie vor, aber etwas zu divers, um ihn durchzuhören – und die Sendungen, die etwas hergeben, verpasse ich meistens. MTV und Konsorten? Aus meiner Sicht längst mausetot. Bisherige Versuche von Online-Sharing und/oder Streaming-Diensten: Sometimes close, but no banana.
Wirklich. Ich hab’s mit last.fm probiert, mit blip.fm, mit iTunes, mit Simfy und mit grooveshark. Und mit Youtube sowieso schon lang. Alles gute Ideen, alle mit interessanten Ansätzen. Aber irgendwie furchtbar unvollständig im Katalog und/oder mühsam bedienbar. Krücken, alles nur Krücken, die in mir langfristig nichts anderes auslösten als den Wunsch, doch endlich die Zeit zu finden, meine gut verstauten CD/MC/Plattenkisten zu digitalisieren. Und natürlich ist so ungefähr jeder Track, der es jemals auf irgendeine Form von Tonträger geschafft hat, auch irgendwo downloadbar (Ausnahmen ausgenommen), aber es ist oft eine mühsame Suche. Und immer wieder auch die Frage: Was ist legal und was nicht? (Auch jenseits der reinen Strafbarkeit für jemand, der selbst Musik macht, nicht ganz unwesentlich. Man will ja keine Kollegen schädigen. Andererseits, will man den Major-Labels und der AKM und Konsorten wirklich Geld in den Rachen werfen, vor allem dort, wo die beteiligten Künstler eh längst tot sind?)
Irgendwie und irgendwann habe ich dabei weitgehend aufgehört, Musik zu hören. OK, ab und zu das Radio, ab und zu unterwegs eine neue Platte eines längst bekannten Künstlers, ab und zu nach 2 oder 3 Bier das Bedürfnis, allen anderen Anwesenden die Lieblingssongs von vor zehn Jahren um die Ohren zu hauen. Aber allein, daheim? Kaum. Und mir ist nicht einmal aufgefallen, wie sehr mir das abgegangen ist.
Als mein Vater vor einem Dreivierteljahr zu Spotify einlud und ich die Einladung nicht annehmen konnte – “in deinem Land nicht verfügbar” – dachte ich mir auch nicht viel dabei. OK, ein weiterer Streaming-Dienst, been there, done that. Und überhaupt, streamen? Musik, gute Musik, muss man haben. Besitzen. Auch wenn man sie Jahrzehntelang nicht hört, das ist eine Frage des Prinzips!
Und dann, vor 14 Tagen, Auftritt Spotify in Österreich. Es war mitten in meinem 4. Nanowrimo-Abenteuer, und in dem Moment brauchte ich vor allem eine Lärmquelle, die second thoughts zuverlässig ertränken konnte. Spotify konnte. So nebenbei nahm ich zur Kenntnis, dass das Spotify-Radio recht verlässlich meinen Geschmack entschlüsselte – sei es anhand der angeklickten Musikrichtungen, oder ob das Ding vielleicht auch die eingelesenen Tracks aus der lokalen Sammlung analysiert? Keine Ahnung. Jedenfalls war ich, erstmals überhaupt, durchaus einverstanden mit dem Mix, der mir da serviert wurde, ohne dass ich ihn selbst zusammengestellt hätte. Ich habe viel Musik gehört, die ich nicht kannte, die aber mit ganz seltenen Ausnahmen durchaus in mein musikalisches Beuteschema passte.
Als Nano dann vorbei war, habe ich mir die Sache genauer angeschaut. Da sind zum einen die Playlists, die man, im Gegensatz zu anderen Services, durchaus auch mit lokalen Dateien bestücken kann (solange kein DRM drauf ist). Ich habe gleich alle iTunes-Playlists übertragen, und dann habe ich noch ein paar alte und ältere nachgebaut, die ich in iTunes mit der einen oder anderen Neuinstallation längst verloren hatte. Auch wenn längst nicht alle Tracks der Welt in Spotify verfügbar sind – ich war höchst beeindruckt davon, wie viele man dann doch findet. Auch lokale, exotische, uralte. Und wenn sich etwas wirklich nicht finden lässt, wie gesagt, auch lokale Dateien kann man einbinden – und für andere Geräte verfügbar machen, vorausgesetzt, man verwendet Spotify Premium. Aber dazu komme ich noch.
Was mir noch aufgefallen ist, ist die hervorragende Soundqualität. Ich hab auch das, aus Zeitgründen, noch nicht technisch analysiert und kann nur hoffen, dass die beim Streamen übertragenen Datenmengen nicht das Fair-Use-Prinzip von UPC sprengen. Tatsache ist – der direkte Vergleich eines Songs aus meiner lokalen Library und des Spotify-Pendants ergeben einen deutlichen Klangvorteil für Spotify. Und das, obwohl ich darauf achte, mit der höchstmöglichen Qualität zu digitalisieren, 256kbit sind als Standard eingestellt. Ich hab immer behauptet, ich hör keinen Unterschied zur CD. Hah!
Ehrlichgesagt, ich habe in den letzten 14 Tagen zu Hause mehr Musik gehört, als in den letzten 5 Jahren zusammengenommen. Und ich habe eine neue Vision. Ich schaue nach oben und sehe ein riesiges, virtuelles Plattenregal, das auf Mausklick das ausspuckt, was ich grade hören will. Und in 8-9 von 10 Fällen klappt das auch. It’s music lover’s heaven. Wenn die Andrea aus 1985 das sehen könnte, ich fürchte fast, sie würde weinen vor Glück. Warum ich noch vor einem Monat glühende Reden für den physischen Besitz von Musik(Dateien) geschwungen habe, kann ich mir mittlerweile selbst nicht mehr erklären.
Natürlich hat auch Spotify Nachteile. Der größte ist wohl die hierzulands verpflichtende Bindung an einen Facebook-Account. Ich habe wenig Lust, meine Musik-Begeisterung, die viel älter ist als Facebook, genaugenommen sogar einige Jahre älter als das Internet, an einem Facebook-Konto aufzuhängen – vor allem, weil ich mein Facebook-Konto alle paar Wochen aus diversen Gründen eh am liebsten kündigen würde. Andererseits, ich hab’s noch nie gekündigt. Und auch wenn – eine Email-Adresse und ein Name reicht für eine Facebook-Anmeldung, mehr muss niemand hergeben.
Ein anderer Nachteil ist die Voraussetzung des Premium-Accounts (€ 9,90/Monat) zur uneingeschränkten Verwendung, u.a. auf Mobilgeräten. Bei aller Liebe, das fühlt sich ein bisschen viel an. Aber (sehnsüchtiger Blick nach oben in die nahezu unendliche Musikwolke): Früher, als ich noch viel Musik gehört habe, habe ich locker 4-5 CDs im Monat gekauft. Im Vergleich dazu fallen die 9,90 kaum ins Gewicht, oder? Ganz sicher bin ich noch nicht, aber ich bezweifle, dass ich nach dem Testmonat, den ich gestern aktiviert habe, um mein Android-Handy in das neue Musik-Glück einzubinden, auf all das verzichten möchte.
Aber dann ist da natürlich der größte Nachteil von allen. Was ist, wenn morgen Facebook zusperrt? Spotify eingeht? Das Internet zusammenbricht?
Ganz ehrlich? – Dann hab ich immer noch meine Kisten mit CDs und MCs und Vinyl im Keller, und werde damit leben. Aber bis dahin, lasst’s mich bitte in Ruh. Ich muss jetzt ganz dringend noch ein paar hundert Playlists basteln.