Summertime

6. Juni 2015

Morgens um 11 verlässt mich das Internet. Ein kurzer Stromausfall (Nachbar: „Tut leid, falsche Sicherung rausgedreht“), alles andere kommt wieder, nur die Verbindung zur Welt nicht. Der UPC-Knabe ist erstaunlich schnell am Ohr, kann aber das Problem auch nicht lösen. „Sieht aus, als würden Sie ein neues Modem brauchen.“

I’m not even mad. Da draußen ist Sommer, und ich habe eine Ausrede, um ein Stündchen spazieren zu gehen. Ein Abenteuer, das es Schritt für Schritt zu genießen gilt. Die Haut freut sich über Sonnengefühle und über den Temperaturunterschied zwischen Licht und Schatten. Über den Wind, der manchmal ein kleines Seufzerl aus einer Seitengasse tut. Aber hauptsächlich einfach darüber, dass es warm ist.

Über mir kreist beharrlich ein Hubschrauber. Mit Polizeibemalung. Mindestens einer, denn wie er aus verschiedenen Richtungen immer wieder auftaucht, lässt vermuten, dass es eher zwei sind. Das satte Geräusch bereichert das ansonsten sanfte Samstagsleben. Wenig Verkehr. Musik von hier und von da, aus offenen Wohnungsfenstern, aus den vereinzelten Autos, aus Handies, wenn ein paar Jugendliche immens cool dahinflanieren. Rock, Pop, Ethno, alle paar Schritte etwas anderes. „Winnetou-Darsteller Pierre Briece ist tot“ sagt ein Nachrichtensprecher ganz nah an meinem Ohr, aus einem Fenster, das nur einen Spalt breit geöffnet ist. Bevor die Nachricht selbst bei mir ankommt, denke ich, wie seltsam das ist, dass ich genau diesen einen Satz höre. Keinen halben davor, keinen halben dahinter, nur diesen einen. Richtig traurig macht mich der aber nicht. Wahrscheinlich habe ich schon zu oft um Winnetou geweint, beim ersten Lesen auf „meinem“ Felsen auf der steirischen Alm, im Schatten des Vogelbeerbaums, im Duft der Schwarzbeerbüsche. Beim zweiten Lesen in der Hängematte, zwischen den Apfelbäumen, mit dem Geruch nach frisch gemähtem Gras. Und dann noch einmal im Kino. Einer der wenigen Filme, dem ich nicht böse war wegen des Darstellers, der eine Figur spielte, die ich meinem Kopf schon „fertig“ hatte: Er passte einfach. Zum Weinen gut. Und auch da war es Sommer, die Straße vor dem Kino in der alten Heimat noch nicht asphaltiert, staubig-gelb im wabernden Sonnenlicht, das nach der Filmsaaldunkelheit zumindest ebenso intensiv schien wie ein August in Mexiko. Es war der erste Film, den ich alleine ansehen durfte in unserem immer halbleeren Dorfkino, wo sich der Duft von Popcorn mit dem viel intensiveren nach Staub und ganz leichtem Schimmel mischte. Ich war mit dem Fahrrad gekommen, meinem wunderbaren roten unabhängig machenden Fahrrad, das ich nach dem Film ganz langsam nach Hause schob, um lästigen Fragen wie „Hat’s dir gefallen?“ zumindest noch ein paar Minuten zu vermeiden.

Das alles dachte ich nicht in der heutigen beglückenden Mittagshitze, zumindest dachte ich es nicht so. Empfand nur eine lange nicht gekannte Verwandtschaft zu meinem früheren Ich, in sommerlicher Unmittelbarkeit. Bei aller Veränderung, die sinnliche Lust am Sonnenfieber ist mir geblieben, Das Gefühl ist dasselbe, und nur der Spiegel kennt die Unterschiede. Zum Glück ist selten einer da.

Dann gibt es natürlich noch die Nase, auch sie ist gefordert, wenn die Sonne auf die Stadt brennt, als wäre es immer so gewesen. Wahre Düfte: Ein Hauch von Espresso aus dem Cafe. Eine Nase voll Rose aus dem Blumengeschäft. Ein Zitronenlüftchen von…, ich weiß nicht von wo. Dann die vielleicht umstrittenen: Intensiver Benzinduft von einem Moped ohne Kat. Eine Welle von chlorhaltigem Waschmittel aus der Waschküche im Keller. Und das immer sehnsuchtsstarke Aroma von „Sonnenstaub trifft Feuchtigkeit“ vor einem Cafe, wo der Kellner in mediterraner Tradition ein bisschen Wasser zwischen die Schanigarten-Tische spritzt.Und schließlich noch die allgemein als unerwünscht geltenden Gerüche: Der Kanal, der heute so tut, als wäre Wien eine Stadt am Meer. Die Überreste des vormittäglichen Gemüsemarkts. Das Schnitzel, das definitv ein frischeres Öl verdient hätte. In sommerlicher Üppigkeit genieße ich sogar die.

Der Hubschrauber kreist noch immer, und mir will scheinen, dass die Sirenen häufiger singen als ansonsten samstags üblich. Bald bin ich beim UPC-Shop, dort kann ich die Wartezeit zum Informationsgewinn nutzen. Davor noch ein Zigarettchen zwischen Kebabduft und Marktgeschrei. Ein Kaffee wär gut, doch überall sind alle Tische besetzt.

Beim UPC-Shop gibt es keine Wartezeit. Der einzige einsame Support-Mensch vor Ort nimmt mein Modem entgegen, hört sich die Geschichte an, und fragt: „Sie wissen aber schon, dass heute im 5. ein Ausfall war?“ Ich verweise auf mein Telefonat und bekunde meinen Unwillen, mit einem möglicherweise defekten Modem wieder heimzutraben, nur weil da zufälllig auch ein Ausfall war. Der Support-Mensch seufzt „Recht ham’s“, stellt aber fest, dass er kein WLAN-fähiges Modem da hat, das er mir mitgeben könnte. Wir seufzen beide und schweigen ein bisschen. Schließlich bietet er mir an, das Modem selber zu testen. Auf mein Nicken verschwindet er mit dem Gerät.

Ich nutze die Zeit, um am Fon die Nachrichten zu lesen. Soso, Identitären-Aufmarsch also. Früher hätt ich so etwas gewusst, aber die Gegendemo war auch ohne mich stark genug. Im Shop ist es sehr still, nur eine Fliege summt an mir vorbei. Nach einer Weile kichert die Dame an der Kassa leise in ihr iPhone. Nach einer weiteren Weile kommt der Support-Mensch zurück. „Funktioniert“, sagt er knapp und hält mir mein Modem hin. Na dann. War ich völlig unnötig unterwegs. I’m not even mad.

Auf dem verschlungenen Heimweg diverse Ausläufer von Demo und Gegendemo. Plötzlich fünf Polizei-Busse mit Blaulicht und Lärm. Offene Seitentüren, aufgeregte Funkstimmen, sie biegen in die Fußgängerzone ein. Ich bin froh, dass die Kamera zu Hause liegt, denn sonst hätte die Chronik-Schlampe in mir die Oberhand gewonnen. Stattdessen cruise ich weiter, nur nicht zu geradlinig, und genieße, was ist. Ein Schwall von frischem-Brot-Duft aus der türkischen Bäckerei. Unerwartet intensive wilde Brennessel aus dem Park. Und optisch, oben, blau. Viel blau. Und ein bisschen Traffic.

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