Am Samstag ist viel Wasser vom Himmel gefallen, und der Sonntag läßt sich nicht viel besser an. Trotzdem sattelt der Sufi unseren getreuen 4WD-Lastesel: Wir können ja zumindest die mittlerweile airgebrushte D-FINA fotografieren. Auf geht’s.
Gegen Krems hin lichtet sich der Himmel, und alles, was Flügel hat, ist auf dem Platz.
Nur der Schirm, den ich testspringen will, ist nicht fertig: Ich vernehme es halb frustriert, halb aber auch erleichtert. Ich bin gesundheitlich leicht angeschlagen, eine Sommergrippe in den Knochen. Aber schlimmer: Ein paar Nächte zuvor wachgelegen und mich gefragt, was ich da eigentlich mache. Weniger im Zusammenhang mit Angst oder Kosten: Die bloße Absurdität des ganzen Vorgangs war plötzlich Zentrum der freien Gedanken. Ich bin anfällig für Absurditäten: In kurzen Pausen kann alles plötzlich absurd und seltsam weit weg erscheinen. Der Job. Das Schreiben. Die Liebe. Das Essen, das Trinken und das Rauchen. Jetzt also auch das Fallschirmspringen.
Am besten nicht drüber nachdenken und den Schirm urgieren.
Der Schirm: Das ist ein Nitro 135. Es dauert noch ein bisschen, erklärt mir Eli und Claus blickt in die Zukunft: Ich seh dich in einem Jahr an einem 98er. Jaja. Und gleichzeitig der Gedanke daran, wie unvorstellbar es noch vor 2 Monaten erschien, einen 135er zu springen.
Das Gurtzeug findet seinen Weg zurück zur Eli, der Schirm findet seinen (mühsamen) Weg ins Gurtzeug (vermutlich der erste Nitro, der jemals im Flatpack verpackt wurde) (Das ist wie wenn man einen Ferrari mit Ladefläche bestellt, ätzt ein Zuschauer), ich habe einen Schirm aber keinen Platz in der nächsten Load (war wohl ein bisschen zögerlich beim Eintragen). Also warte ich noch ein bisschen, streichle das Gurtzeug, den Höhenmesser und putze die Brille.
Mein Halsweh ist verschwunden. Die Absurdität mault aus der Ecke.
Endlich der Aufruf.
Robert fliegt die Maschine jetzt und bekommt einige Anweisungen zum Absetzen, damit diese Load nicht wieder im Gemüse landet wie die letzte (die jemand anderer geflogen hat). Ich bin entspannt, fast zu entspannt, betrachte die Landschaft und höre dem Geplauder zu. Weltmeister Alex sitzt rechts hinten, er macht seinen 9000en Sprung: Ein Tandem. Vorne zwei große Gruppen und ein bisschen was kleineres. Weil ich den ungewohnten Schirm ein bisschen höher aufmachen will, bin ich die letzte vor dem Tandem. Gut so, das mag ich.
4000m: Das rote Licht geht an. Zeit genug zum fertigmachen, hier ist das Rotlicht ein 3-Minuten-Call. Ich habe meine Brille gewohnheitshalber schon bei 3500 aufgesetzt, jetzt ist sie angelaufen. Nochmal runter damit und Putzen.
Die Tür geht auf. Die Springer springen. Dann bin ich dran. Heute mit Schwung, habe ich mir vorgenommen, halte mich mit beiden Händen an der Stange und schwinge mich kräftig hinaus.
Etliche Umdrehungen um alle Achsen später habe ich mich stabilisiert und frage mich, ob ich mich je an den Seitenausstieg gewöhnen werde. Nicht, dass es unangenehm wäre: Es ist nur jedesmal wieder… überraschend.
Programm habe ich mir keines vorgenommen, sollte einfach ein Funjump mit anschließendem Schirmtest sein. Also schauen, einfach nur schauen.
Eine dünne, transparente Dunstschicht liegt erst unter, bald aber über mir. Die anderen Springer weit weg, weit genug weg. Aber wo? Ist der Flugplatz? Ich drehe einen Kreis und noch einen halben, bevor ich ihn erspähe. Weit weg. Naja, ich wollte ohnehin höher öffnen.
Alles im grünen Bereich, Pflicht erledigt. Jetzt die Kür.
Das Kreuz-durchdrücken und noch-ein-bisschen-mehr-entspannen immer noch ein ganz bewußter Vorgang, und jedesmal wieder die Überraschung, das Glück, dass das so einfach ist, nachdem ich zig Sprünge lang darum gekämpft habe. Und so viel Zeit. Zeit genug, zwischen 3500 und 1400, um mit der Körperhaltung zu spielen und gezielt die Fallgeschwindigkeit zu beeinflussen. Wird Zeit, dass ich mit anderen Springe, um endlich auch einen Vergleich zu haben.
Aha, langsam Zeit zum Aufmachen. Abwinken auf 1400 (so hoch…) und jetzt aber ganz nach Lehrbuch, die gute Haltung beim Öffnen ist sehr wichtig bei dem Ding, hat man mir erklärt. Also: Ziehen, werfen und wieder hinlegen, so gut es geht.
Ein sanftes Rauschen, kaum ein Ruck, ganz sanft bremst mich der Schirm ab, ist fast offen, schaut gut aus, entscheidet sich dann noch zu einer 180°-Drehung, die mich in ihrer Wucht überrascht (ich liege horizontal zur Erde) – das habe ich mir ganz alleine gepackt, denke ich, aber er beruhigt sich, ich nehme die Steuerleinen und drehe ihn wieder zurück zum Flughafen, der so hoffnungslos weit weg erscheint.
Bald aber wird mir klar, dass ich mit diesen Flügeln überhaupt keine Probleme haben werde, auf den Platz zu kommen, und ich widme mich dem Erkunden des Flugverhaltens. Sanfte Kurven. Mein treuer Freund, elegant in schwarz und rot gehalten, reagiert auf jede Andeutung einer Bewegung. Flare-Test ist eine Erfahrung für sich: Wie eine gut gefederte Limousine läßt er sich bremsen, nimmt sofort wieder Fahrt auf, wenn man ihn läßt, und verhält sich auch sonst ganz wie ein hochsensibles aber trotzdem gutmütiges Rennpferd.
Zeit für den Landeanflug, und mit leichter Besorgnis sehe ich, dass der Wind fast ganz aufgehört hat. In Anbetracht meiner mangelnden Erfahrung lasse ich die etwas beengte Landewiese Landewiese sein und ziele auf ein abgeerntetes Feld, das in seiner Ausdehnung doch etwas mehr Raum bietet.
Betrachte den doch recht geschwind vorüberziehenden Boden, beherzige den alten (Flaren, wenn du glaubst, du hast schon aufgeschlagen) und den neuen (nicht durchziehen! nur sanft bis knapp unter die Schultern) Rat und…
mache zwei leichtfedrige Schritte und stehe da und hole den Schirm vom Himmel.
Erstaunt. Glücklich. Die Absurdität in ihren Käfig geschickt.
Dass ich mir dann, beim Aufsammeln des Schirms, an einer stehengebliebenen Staude, ein Loch in den Finger reiße, ist nur gerecht. Ein Souvenir von diesem Tag.