In einer großen, fremden Stadt, viele von uns, geflüchtet oder vertrieben. Wir wohnen in einer kleinen, schäbigen Pension, in der ständig das Klo des Stockwerks verstopft ist. Nachts bin ich ständig auf der Suche nach unverstopften Klos, die Pension voll mit Dingen, die vielleicht einmal wertvoll waren, jetzt aber kaputt und dreckig und alt. Blinde Spiegel mit abgeblättertem Goldrand, durchgelaufene Teppiche. Tagsüber immer unterwegs durch die Stadt, eine große, hochindustrielle Stadt; auch hier das meiste alt, rostige Feuertreppen, staubige Straßen mit Schlaglöchern, viel zu viel Verkehr. Die U-Bahn ist nicht alt; schmutzig vielleicht aber nicht alt. In einer riesigen Station steige ich mit einer Freundin aus dem Zug, wir wollen “nach Hause” in die Pension. Ein Mann redet mich an, fahrig und hektisch, ich will schon um Hilfe schreien, da erkenne ich ihn erst. Er ist aus dem Krieg zurückgekommen mit einem Freund, sie haben sandbraune Overalls an und fuchteln mit Pistolen, nicht böse sondern schrecklich überdreht, wie fiebrig. Ich nehme ihn in den Arm und beruhige ihn, es dauert eine Weile bis meine Freundin das mit dem anderen auch macht; die müden Krieger reden und reden, naiv und völlig aus der Bahn von ihren Erfahrungen, es dauert eine ganze Weile, bis sie die Pistolen wegstecken und bereit sind, mit uns in die Pension zu kommen.
Im Lift fällt mir der Artikel ein, in dem ich den jungen Mann zitiert habe, “Schnell ein paar Monate an die Front und dann monatelang im Geld schwimmen”; der Artikel soll heute in Druck gehen und jetzt, wo sie in diesem Zustand zurück sind, ich möchte unbedingt noch ein paar zynische Sätze hinter das Zitat schreiben, damit niemand anderer darauf reinfällt. Ich rufe alle Nummern an, die mir einfallen, aber nirgends hebt jemand ab, obwohl ich die andere Seite immer höre – die Telefone scheinen nicht zu klingeln, sondern direkt eine Verbindung herzustellen; ich höre Gespräche, Schritte, das Klappern von Tastaturen, kriege aber niemand an den Hörer.
In der Pension ist ein großes Fest, alle wussten, dass die zwei heute zurück kommen, nur ich nicht. Er ist zu müde, um zu feiern, sagt der Junge und legt kurz den Kopf an meine Schulter. Ob er in meinem Bett schlafen kann, fragt er; er wüsste schon, dass ich so nicht an ihm interessiert bin, aber er hätte einfach gern ein Bett, das nach Frau riecht. Ich könnte ja seines nehmen. Ich zeige ihm mein Zimmer, gehe aber nicht in seines, stattdessen setze ich mich auf der Veranda in den alten Schaukelstuhl, die Füße am Geländer, und schaue zu, wie der riesige rote Mond aufgeht.
Es ist ein großes Haus in den Bergen, vorne Gemischtwarenladen, hinten Wohnhaus. Es hat innen viel mehr Zimmer, als von außen betrachtet hineinpassen. Es ist Nacht, und ich wache in meinem Bett auf. Im Tuch vor dem Bücherregal bewegt sich etwas, ich gehe hin und finde eine Schlange. Man sollte eben in einem Haus ohne Stufen nicht alle Türen offenlassen, denke ich und trage die Schlange hinunter zum Fluss. Dann gehe ich durch das Haus, Vorhänge wehen leicht vor geöffneten Fenstern, auch der Laden ist offen. D. fragt mich, ob ich kurz aufpasse, er will Zigaretten holen. Sperr doch zu, dage ich, wer soll den hier oben schon kommen mitten in der Nacht.
Ich nehme ein Comicheft mit ins Bett, es ist eins von den modernen, die sich selbst an die Wand projezieren. Nur Ton haben sie noch nicht. Schlafe dabei ein, wie ich Superman über Manhatten fliegen sehe. Von einer Bewegung erwache ich, wieder am Bücherregal. Diesmal ist es eine Eule, die sich sehr wehrt, als ich sie zum Fenster trage. Kann man denn nicht einmal in Ruhe schlafen? beschimpft sie mich von draußen und schwingt sich indigniert in den nächsten Baum.
Draußen herrscht Hektik; ich gehe in den Laden, der voller Leute ist. Auf der Straße, die vorher völlig leer war, startende und parkende und bremsende Autos. “Jäger” sagt D, “sie wollen die Tiere hier oben auf die Hälfte reduzieren, sie sagen es gibt viel zu viele davon”. Die Katze schmiegt sich vorsichtig um meine Beine. Ich öffne ihr die Tür nach hinten in den Wohnbereich und gehe dann zum Fenster, um die Eule zu rufen. Sie soll die Tiere warnen und dann zurückkommen, meinetwegen auch ins Bücherregal. Die Eule ist sehr sauer darüber, schon wieder geweckt worden zu sein, macht sich aber nach einigem Geschimpfe auf den Weg.
Ich frage D, ob ich seinen Wagen nehmen kann. Den großen Hirsch möchte ich doch selber warnen. Ich fahr den Berg hoch, die Sonne geht gerade auf. Als ich durch den Wald zur Wohnlichtung des Hirsches stapfe, höre ich Schüsse von weit weg. Der Hirsch weiß schon, was los ist. Er und seine Familie machen sich auf den Weg über den Pass. Schade, sagt der Hirsch zu mir, so ein schönes Revier finde ich doch nicht so bald wieder.
Auf der Rückfahrt sehe ich W am Wegrand sitzen. Ich bleibe stehen. Er blutet am Arm. Er wollte die Wildkatzen warnen, da haben sie auf ihn auch gleich geschossen. Ich nehme ihn mit zum Laden. Der Laden ist belagert von Jägern, die herausgekriegt haben, dass wir die Tiere warnen. Bleib sitzen, sage ich zu W und schleiche zu einem Keller am Berghang, der innen eine Verbindung mit dem Haus hat. D hat damit begonnen, eine Stinkbombe zu basteln. Alle Jäger sollen ins Haus gelockt werden, dann will er die Bombe zünden. Der ätzende Rauch wird die Schweine für mindestens eine Woche ins Krankenhaus bringen.
Ich warne die Eule und hole die Katze. Aus dem Fenster sehe ich, dass sie W und den Wagen entdeckt haben. W versucht, mit einer Hand loszufahren, aber es gelingt ihm nicht. D schreit “Freibier!” und die Jäger lassen den Wagen stehen. Tatsächlich sind alle gekommen. Während sie johlend Bier trinken, bringe ich unbemerkt die Katze in den Wagen. Plötzlich wird mir klar, dass D die falsche Flüssigkeit verwendet hat. Keine Stink-, sondern eine Brandbombe. Keine Zeit zu reden, ich stürme ins Haus, reiße D die Bombe aus der Hand, die er gerade zünden wollte. Wir laufen zum Wagen, ich werfe die Bombe über die Schulter durch die Tür, aus der gerade die ersten Jäger kommen. Man hört einen Krach, dann erstmal nichts mehr. Wir fahren mit dem Auto weg, nach oben, Richtung Pass. W ist ohnmächtig, die Katze leckt schnurrend an seinem blutenden Arm. Als ich aussteige, um den Schranken der Forststraße zu öffnen, sehe ich, dass die Eule am Dachträger sitzt. Keine Sorge, sagt sie, wir werden euch beschützen. Dann lacht sie, lauter und lauter, und ich wache auf.