Wüstensommer

22. Mai 2002

Es ist ein Wüstensommer, ein heißer, gleißender trockener Wüstensommer in dem steirischen Dorf, in dem ich schon lange nicht mehr wohne, in dem ich schon seit einem Jahr kein Haus mehr habe. Es ist so heiß und so trocken, wie es bei uns gar nie sein kann. Es ist Samstag, kurz vor eins, und ich habe genau so viele Zigaretten, wie ich für das Restwochenende brauche. Da kommt meine Mutter und will 6 Zigaretten von mir. Das geht nicht, sage ich, dann reicht mir das nicht für’s Wochenende. Ich gebe ihr zwei und einen zehn-Euro-Schein, damit sie noch welche kaufen kann in der Stadt. Sie fährt ohnehin in die Stadt.

Sie ist sehr zornig, weil sie nicht kriegt, was sie will, und ich bin sehr zornig, weil sie nicht einsieht, dass ich die restlichen selber brauche. Dann gehe ich durch das Dorf, da steht eine riesige Uhrenkonstruktion. Es ist eine Scheibe mit Aussparungen, die sich über einem Zifferblatt dreht und anzeigt, wann die Trafik geöffnet hat. Sie hätte gerade noch offen, sehe ich, aber jetzt habe ich meinen letzten Zehner hergegeben.

Da kann man nichts machen, und ich gehe weiter. Am Bach, wo das Gasthaus stehen sollte; das Gasthaus, in dem die Wahlen stattfinden, in dem es neuerdings eine Riesenleinwand gibt und einen Videowoofer; dort am Bach steht anstatt des Gasthauses ein Hochhaus und eine Kirche daneben, obwohl die alte moderne Kirche noch dort steht, wo sie immer gestanden ist. Auf einem Fenstersims im vierten Stock des Hochhauses stehen zwei Leute, in Trachten gekleidet, und von der Straße ruft man ihnen zu, sie sollen springen. Etwas ängstlich machen sie erst einen Sprung an die Ecke des Gebäudes, das geht wunderbar, und wieder ruft jemand auf der Straße: springt doch! Und die fremde Frau schaut mich von oben fragend an, und ich zeige ihr den erhobenen Daumen: Da springen sie, das Dirndl der Frau bläht sich malerisch, und dann landen sie sanft auf der Straße und lachen, aber da schaut außer mir schon keiner mehr hin. Alle anderen haben sich umgedreht und starren in den Himmel, da fliegt etwas, ein gleißendes gelbes Licht mit irgendwas drinnen, ein UFO? Es könnte ein Hubschrauber sein, von den Bewegungen her, aber es macht keinen Lärm, nicht das geringste Geräusch. Und das Licht, das so hell strahlt, mitten im sonnenüberfluteten Mittag. Also doch, denke ich, also gibt es doch welche.

Alle stehen und schauen, und es ist ganz still. Da galoppiert plötzlich einer auf einem Pferd heran, jemand, den ich im Traum gut kenne, der sehr wichtig ist im Traum, obwohl ich ihn im wirklichen Leben gar nicht kenne, er bleibt stehen und sagt: “Ich schau mir das genauer an, kommst du mit?” Und ich schwinge mich hinter ihm in den Sattel, schon sind wir unterwegs, und das Pferd kann fliegen. Wir drehen eine Runde im Sicherheitsabstand um das gelbe, leuchtende Ding, und ich denke, hoffentlich sieht uns kein Polizist, wir sind ja gar nicht angeschnallt. Wir fliegen noch ein bisschen, aber das gelbe Ding weicht uns aus, läßt uns nicht näherkommen, und das Pferd wird langsamer. “Höchste Zeit zu tanken” meint mein Ritter mit den wehenden schwarzen Locken, und wir landen am Fluss, dem einzigen grünen Fleck in der Wüstenlandschaft, und das Pferd trinkt erst und beginnt dann zu grasen. Und wir liegen auf der Sandbank, der Ritter und ich, und schauen zu, wie das gelbe Ding langsam davonfliegt, eine Haarsträhne von ihm kitzelt mich an der Schläfe und eine Hand von ihm sucht nach mir, und ich denke: Warum auch nicht? Und: Na endlich! Während ich nach oben schaue, in die sonnendurchstrahlten Blätter, und…

…und das ist ganz eindeutig der falsche Zeitpunkt, um aufzuwachen, aber was soll’s, man kann sich’s halt nicht aussuchen.

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