14. Mai 2003

Wie das Leben so…

Es war kurz vor vier, und das Leben war eigentlich in Ordnung. Es war in Ordnung, weil ich gut ausgeschlafen war, nachdem ich mir am Abend zuvor alle Zeit der Welt dafür genommen hatte, das beste Buch seit langer Zeit fast zu Ende zu lesen. Es war in Ordnung, weil diese leidige Homepage-Sache endlich Gestalt annahm (schließlich kann ich meine Daten schon publizieren, wie ihr seht, an Form und Eleganz arbeite ich noch). Es war in Ordnung, weil Vanillepudding zum Frühstück allemal ein Feiertagsgefühl beschert, und es war in Ordnung, weil ich zum ersten Mal seit einiger Zeit schon das Gefühl hatte, mein Feuerpferd zu reiten anstatt vom Teufel geritten zu sein.

Und es, dieses verdammte Leben, war sogar in Ordnung, obwohl mich die monatliche Grummelei heimsuchte, obwohl der kommende Vollmond schon seit Tagen in meinen Knochen rumort, und obwohl sich in der wirklich wahren Wirklichkeit kaum etwas verändert hat.

Draußen begann es zuzuziehen, man sagt das so einfach, aber schreiben sollte man es nicht, weil es geschludert aussieht; ich schreibe es trotzdem:

Draußen begann es zuzuziehen, und ich nahm meine Kamera und stellte mich ans Fenster um die Wolken abzulichten, die sich weniger türmten als drängten, aber ich konnte keinen richtigen Winkel finden und ging zurück an den Computer, die ersten Tropfen fielen und ich klickte recht absichtslos herum und stellte fest, dass Trurl schon einen richtigen Winkel gefunden hatte und schrieb einen Kommentar dazu, und das Tröpfeln wurde ein Schütten, und das Schütten wurde ein Hageln, und wieder nahm ich die Kamera und stellte mich ans Fenster und machte Bild um Bild um Bild und auch ein Stück Film, und dann wollte ich diese Fotos posten, sofort, real-live quasi: die Gehsteige weiß von Hagelkörnern und von abgeschlagenen Blütenblättern, das Haus gegenüber nur verschwommen oder besser: gestreift zu sehen, wegen des vielen H2Os, das in zwei verschiedenen Aggregatszuständen gleichzeitig vom Himmel fiel; die Straße ein Bach mit Schaum und Bläschen; Inferno ohne Verletzte, gefährlich schön.

Und während ich darauf wartete, dass die Bytes von der Kamera auf die Festplatte wanderten, freute ich mich noch über die Mail, die verkündete, dass es in Krems wieder eine Absetzmaschine gibt, ‘das muss ich gleich auf Skydance posten’, dachte ich, ‘gleich nachdem ich dieses Foto online gestellt habe’; der USB-Anschluss zickte mal wieder und ich entschloss mich zu einem Restart, und ein Restart ist ein guter Moment, um Kaffee nachzufüllen, und ich ging in die Küche – nein: Ich wollte in die Küche gehen.

Draußen donnerte immer noch der Regen und der Hagel, vom Gewitter selbst war kaum etwas zu hören; ich kann mich nicht erinnern, je in meinem Leben so einen lauten Regen|Hagel gehört zu haben, und war froh, auch das Geräusch dokumentiert zu haben, mit der Videkamera, ich öffnete also die Tür zur Küche und noch bevor ich den ersten der drei Schritte zur Quelle des Kaffees getan hatte, spürte ich etwas stetiges, Kaltes im Nacken:

bitte bildern Sie einen Moment äußerster Verwirrung, noch verstärkt durch die Empfindung, bis zu den Knöcheln – nein, das ist übertrieben – bis halb zu den Knöcheln durch etwas Eiskaltes zu waten; ein Gefühl des Traumhaften, Schlafwandlerischen, während mein Blick umherwandert und, unbegreiflich noch für das Gehirn, die Tatsache registriert, dass sich an mindestens drei Punkten ein Sturzbach aus der Decke ergießt, 3 Sturzbäche also, unterstützt und verstärkt von etwa einem Dutzend Stellen, aus denen es etwas langsamer tropft.

Ebenso verblüfft nahm ich zur Kenntnis, dass mein Mund laut und zornig “Scheiße”, vielleicht sogar “verfickte Scheiße!” rief, noch bevor ich die Situation geistig verarbeitet hatte, ein Schrei, der von draußen, vom Gang, mit einem herzhaften “Verdammt” beantwortet wurde, während der Rest meines Körpers, der irgendwie völlig ohne Beteiligung des Gehirns messerscharf kombiniert haben musste, einen Hechtsprung zum FI-Schalter machte und mit einem simplen “Klack” die größte Gefahr beseitigte, während das sinn- und nutzlose Hirn noch überlegte, ob es wirklich wahr sein konnte, dass da gerade eben ein regelrechter Wasserfall aus der Deckenlampe stürzte.

Der Schrei von draußen animierte mich dummerweise zum Öffnen der Gangtüre; dummerweise deshalb, weil zu dem schon in der Küche stehenden Wasser von draußen noch ein weiterer Schwall dazukam, jetzt war es wirklich knöcheltief.

Vor der Tür drei Grazien (ok, es waren nur die üblichen Nachbarinnen), die mit Besen und Reibfetzen der Sintflut Einhalt zu bieten suchten, die auch hier aus mehreren Stellen aus der Decke schoss; “Haben sie schon den Hausmeister verständigt?” fragte ich, und auf die erhoffte bejahende Antwort machte ich mich erstmal daran, alles in irgendeiner Weise wasserempfindliche aus meiner Küche ins Wohnzimmer zu schaffen, Vorsicht konnte ich dabei nicht walten lassen, und die gläserne Kanne meiner längst vergriffenen geliebten Philips-Filtermaschine ging zu Bruch; aber erstaunlich effektiv verlagerte ich alle Elektrogeräte ins Trockene, während ich in die andere Richtung reichlich saugende Handtücher ins Nasse warf.

Dann half ich mit Besen und weiteren Handtüchern den Nachbarinnen bei ihrem aussichtslos erscheinenden Kampf, bis endlich der Hausmeister zu erscheinen geruhte, der Hausmeister mit dem offenbar einzigen Exemplar eines Dachbodenschlüssels, der schulterzuckend (der Hausmeister, nicht der Schlüssel) zu verstehen gab, das sei eben das Problem mit diesen niemals reparierten Regenrinnen, und dann oben polternd und schimpfend irgendetwas veränderte, was zum Nachlassen der Wasserfälle führte, kein plötzlicher Stop, es war ein langsames Nachlassen, das genug Zeit ließ, mit den Nachbarinnen zu konferieren, während wir den Rest der Regensuppe wegtunkten.

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