9. Januar 2001

Voller Mond im Erdschatten

Eine Mondfinsternis ist, wenn der Schatten der Erde auf den Mond fällt. Und nicht, wie der junge Mann im Bus seiner Freundin zu erklären versuchte: “Bei einer Mondfinsternis schiebt sich die Sonne zwischen Erde und Mond!” – Wenn dem so wäre, hätten wir alle ein ernsthaftes Problem. Besser gesagt: hätten wir alle mittlerweile überhaupt keine Probleme mehr.

Trotz all der schönen Links & Berichte zur Mondfinsternis hätte ich sie glatt vergessen, wenn ich sie nicht auf dem Weg aus dem Büro nach Hause gesehen hätte. Eine Mondsichel, die kopfüber hängt, kam mir doch etwas seltsam vor, und so habe ich genauer hingeschaut. Und mich dann erinnert.

Zwei Sonnenfinsternisse habe ich schon gesehen, eine partielle und eine totale. Eine Sonnenfinsternis ist etwas Beunruhigendes. Die Vögel hören auf zu singen, das Licht ähnelt dem kurz vor einem Hagelgewitter, nur ist es schlimmer. Trotz aller meiner Auf- (und Ab-)geklärtheit: eine innere Unruhe.

Eine Mondfinsternis ist das gerade Gegenteil davon. Die Tatsache, dass die Erde, also eigentlich wir alle, einen Schatten auf einen Himmelskörper werfen, beweist (intuitiv, nicht intellektuell) dass wir existieren. Und das ist beruhigend. (Und sage mir keiner, intuitive Beweise gäbe es nicht!)

Und wem Sonnen- und Mondfinsternisse noch nicht reichen, für den gibt es auch noch die Total Eclipse of the Heart.

Der Mond. Der volle Mond.

Der volle Mond über Poulithra, nur 10 Zentimeter rechts vom aufrecht stehenden Felsen. Die Luft schien etwas kühl nach dem Ende der Hitzeperiode. Das Meeresrauschen übertönt von dieser seltsamen elektronischen Musik aus dem Ghettoblaster, was das war, habe ich nie erfahren. Erfüllt von einem süßen Liebeskummer, ja, damals war Liebeskummer noch süß und hat nach Erfahrung geschmeckt, nach Leben…  H. redete davon, dass das Wetter nach dem Septembermond oft umschlägt. Und wirklich begann in den Tagen danach ein Wind zu blasen, der einen trotz der warmen Sonne spüren ließ, dass der Sommer dabei war, sich zu verabschieden.

Der volle Mond über Utö, noch früher. Auf den unvergleichlichen runden Schärensteinen über das Meer hinausschauend, Seite an Seite S. und ich, aneinandergekuschelt wegen der kühlen Nacht. Und die Zigaretten haben damals noch ein bisschen nach Heimlichkeit geschmeckt, und der Walkman hatte noch zwei Kopfhörerausgänge… war es Leonard Cohen oder war es Kris Kristofferson, ich weiss nicht mehr.

[Now playing: Bob Dylan – Blood on the Tracks]

Der volle Mond über Wien, der, der mein Leben verändert hat, obwohl ich gar nichts von ihm wusste… nichts von ihm wusste, obwohl der Himmel klar und ich draussen war… aber ich hatte nur Augen für eine andere verlorene Seele, durch deren Augen ich mich plötzlich sehen konnte, wie ich zu sein glaubte… was habe ich daraus gelernt? Verwechsle nicht dein Spiegelbild mit der grossen Liebe…

Der volle Mond über Elba, jemand spielt Gitarre, die Wellen klatschen den Rhythmus dazu. Vielleicht habe ich in dieser Nacht zum ersten Mal gemerkt, dass meine Überzeugung, etwas ganz Besonderes zu sein, nicht unbedingt vom Rest der Welt geteilt werden muss… später hat es zu regnen begonnen, und unter der Markise des Campingplatzes haben wir Sambucca getrunken und mit einem evangelischen Pastor und seiner Freundin MauMau gespielt… nie wieder war das Leben so einfach kompliziert wie damals…

Und noch ein voller Mond über Wien. Jemand geht alleine durch den frischen Schnee auf der Donauinsel, hinterlässt erste Fussspuren in dieser seidendünnen weissen Schicht. Und die Welt ist so still, dass sie das Gefühl bekommt, ganz alleine auf der Erde zu sein, während der Rest der Stadt um zahlreiche Christbäume herum gruppiert “Stille Nacht” singt. Vielleicht der einzige Weihnachtsfriede, den es je gegeben hat.

[… if you see her, say hello… she might be in Tangier…]

Der volle Mond über Vikbolandet, der sich nicht filmen lassen will. Die Videoaufnahmen zeigen ein zweigeteiltes Etwas, das mehr einer fliegenden Untertasse gleicht als einem Trabanten. Immer wieder regnet es leicht, und die schwedischen Gelsen haben eine Vorliebe für österreichisch-deutsche TouristInnen. Später in dieser Nacht gehe ich noch spazieren in der menschenleeren Weite und erstarre zu Eis, als ich von gar nicht allzu ferne etwas heulen höre in der Stille der Nacht… ein tollwütiger Hund? Ein heiserer Wolf? Erst viel später erfahre ich, dass liebestolle Elche genau diese Laute von sich geben.

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