Vertraut fremdeln

Als ich mit einer Tasse unsäglichen Kapselkaffees in der Hand auf den unerwarteten Balkon meines wie üblich seltsamen Hotelzimmers trete, liegt die Sonne schon auf den schneebedeckten Bergmassiven rundum. Von nirgendwoher intensives Fallschirmspringergefühl. Der Schritt ins Leere, das endlose Jetzt. Der scharfe Wind, die Präzision der Bewegung, die Sicherheit in der Unsicherheit. Als wäre es gestern gewesen und nicht 20 Jahre her.

Innsbruck ist eine eigenartige Stadt, grundsympathisch und doch wildfremd. Hinter jeder Hausecke lauert ein Berg, eine Selbstverständlichkeit, mit der ich mich niemals anfreunden könnte. Als ich im Bus nach der richtigen Aussteigestelle frage, antwortet nicht nur die Angesprochene, als ich aussteige, tippt mir noch jemand auf die Schulter, um mir den richtigen Weg zu weisen.

Die Busstation, an der ich aussteige, heißt „Schöne Aussicht“, und ja, kann man so sagen.

Die mir eigentlich eigene Duzerei ist mir fremd geworden, aber niemand nimmt es übel, dass ich mich ab und zu ins Sie verirre. Nach dem Termin bleibt etwas Zeit, warum nicht einfach einmal ins Blaue fahren? Zumal die Sonne so schön scheint.

Die Zillertalbahn in ihrer Schmalspurigkeit gondelt gemütlich dahin, ich steige ein paar Stationen vor der Endstation aus, bevor mir die Sonne noch untergeht. Auf künstlichen Schneebändern einzelne Schifahrer*innen, weit genug weg, um nicht allzu absurd zu wirken. Ein Stück spazieren an der Ziller entlang, es ist eine eigenartige Mischung aus Alltagsleben und permanenter Eventlocation.

Selbstportrait in Froschlandschaft

Eine Suppe um 7,50 sollte vielleicht doch etwas mehr hinterlassen als einen Geschmackseindruck, nicht unbedingt Sättigung vielleicht, aber doch die Bändigung des Hungers, denke ich, während John Lennon „Imagine“ singt. Danach beschwört David Bowie seinen „Starman“, und ich zahle und gehe. Eine Wurstsemmel vom örtlichen Fleischer wird mich im Zug unterhalten, denke ich, aber da ist es noch ein halbes Stündchen hin. Das Semmerl wartet im Rucksack, und ich spaziere noch ein Stück.

Eine Freiluft-Eislauf-Location mit Disco-Beschallung bietet jungen Eiskunstläufer*innen ebenso Bühne wie den zukünftigen Eishockey-Held*innen. Ich gehe an der Bahn entlang, fotografiere den Gegenzug vor unglaublicher Bergkulisse, die den anderen Spaziergänger*innen ganz normal ist. Der Zug gibt ein kurzes Signal, aus einem Baum antwortet eine Krähe.

Mehrfacher Fluglärm ruft das Fallschirmspringergefühl vom Morgen zurück, es sind aber immer Hubschrauber, fast immer gelbe. Das Skifahren ist wohl deutlich gefährlicher geworden seit „meiner“ Zeit.

Der Bahnhof ist eigentlich keiner, es ist ein kiesiger Parkplatz zwischen alten und neuen Hotels, wie die Schmalspurbahn sich auch ungeniert ganz nah an Häusern und Gassen vorbeischlängelt, als wäre man in Ganzweitweg. Hier warten einheimische und Skitouristen in klobigen Schuhen auf den schnuckeligen Zug, zumindest alle 30 Minuten je Richtung fährt hier etwas, der Tourismus hat durchaus seine Vorteile.

Der Railjet heim, der als „starker Reisetag, keine Mitfahrgarantie ohne Reservierung“ angezeigt wurde, ist halbleer. Manchmal ist es einfach, auch für die kleinen Dinge dankbar zu sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert