
Während der Sommer weiterhin kühl dahinplätschert (ja, es regnet gerade wieder), stecke ich im üblichen Redaktionsschluss-Endstress und habe nur halbe Minuten Zeit, um auch einmal in das graue Wetter hinauszuträumen. Es wird in letzter Zeit viel gestorben, denke ich in einer solchen halben Minute, erst Peymann, bitte, er war nicht mehr der jüngste, aber deshalb muss man ja nicht gleich sterben. Von Claus Peymann hatte ich in den 80ern, als ich nach Wien kam, ein zwiespältiger Bild: Einerseits fand ich es begeisternd, wie er den verstaubten Kulturbegriff aufbrach, andererseits aber erschreckend, wie schnell unter seiner Direktion das von mir geliebte „Burgtheaterdeutsch“ verloren ging. Vielleicht, denke ich mit 40 Jahren Abstand, vielleicht bin ich ja zwar gesellschaftlich progressiv, aber sprachlich konservativ? Aber auch das triffts nicht ganz. Ich hab ja gar nichts dagegen, dass Sprache sich entwickelt und verändert, ich mag nur nicht, dass etwas so Schönes verloren geht.
Am nächsten Tag traf es Connie Francis. Auch sie war defintiv nicht mehr die jüngste, auch wenn sie in meinem Kopf niemals älter als 20 wurde, so wie sie eben war, als sie „Schöner fremder Mann“ trällerte. Bevor ich in meinen späten Teenagerjahren Rock und Blues entdeckte, schien dieser Song, der auch damals schon 2 Jahrzehnte auf den Plattenrillen hatte, der einzig wahre Soundtrack für meine Schwärmereien, die ich wie alle Teenager für die einzig wahre Liebe hielt.
Und heute also Felix Baumgartner.

Der war nun wirklich nicht alt, also jedenfalls jünger als ich. Kennengelernt hatte ich ihn im Fallschirmspringer- und Fliegerumfeld als freundlichen und, so seltsam es klingt, bescheidenen Menschen, der seine Pläne und Risiken rational und klar analysierte – auch damals schon ein gewisser Kontrast zu seinen extremen Projekten. Im damals von mir betriebenen Fallschirmspringer.net wurden immer wieder Stimmen laut, die eine eigene Kategorie für „baumgartnern“, forderten, also für wagemutige Dinge, die normalen Fallschirmspringer*innen niemals einfallen würden. Eine Zeitlang gab es die Kategorie sogar, ich änderte sie später in „Grenzgänger“. Was Felix Baumgartner dann später zu seinen unsäglichen Ansichten und Aussagen über Demokratie, Frauen und Covid getrieben haben mag – wer weiß. Ein großer Extremsportler war er in jedem Fall.
Wobei mich diese Ansammlung an fernen und nahen Todesfällen auch daran erinnert, dass ich doch schon im April etwas zu Barbara Frischmuths Tod schreiben wollte. Ich hab da auch das eine oder andere angefangen, aber nichts davon wollte fertig werden. Aber wenn ich es jetzt nicht schreibe, schreibe ich es nie.

Meine erste Begegnung mit Barbara Frischmuths Texten war „Kai und die Liebe zu den Modellen„. Meine Tante schenkte mir das Buch mit den Worten: „Ich kann da wenig damit anfangen, aber ich glaube, es passt zu dir.“ – Wie recht sie hatte! Aufgewachsen mit einem unbeschränkten internationalen Bücherschrank war dieses Buch das erste, das in mir das Gefühl erweckte, dass auch heimische Schriftsteller*innen Großes schreiben können. Ich las fortan alles von ihr. In der „Klosterschule“ fand ich mich biografiebedingt wieder, so ungefähr alles bis zur Jahrtausendwende fand ich großartig, wenn auch nicht alles gleich nahe. Die späteren Werke schienen mir dann zunehmend ferner, die Welt in und um Altaussee erschloss sich mir nicht ganz, aber dafür kann Barbara Frischmuth nichts.
Meine erste und einzige persönliche Begegnung mit ihr war eine Lesung in Wien Simmering. Ich war dort nicht etwa nur Besucherin, ich war das Vorprogramm! Und ich habe nicht die geringste Erinnerung daran, was ich vorgelesen habe. Ich habe ehrlichgesagt auch nicht die geringste Erinnerung daran, was sie vorgelesen hat. Was ich stattdessen erinnere, ist der verzweifelte Versuch, mich halbwegs normal zu benehmen und nicht wie ein hirnloser Zombie auf einem Boyband-Konzert.
Die Lesung war miserabel besucht, 15 Leute, wenn überhaupt. Barbara Frischmuth lobte danach bemüht höflich die Qualität des Essens im Simmeringer Vorstadtbeisl und verabscheidete sich von mir mit den Worten: „Ich habe dir gern zugehört.“ Ich war so beschäftigt damit, nicht in Ohnmacht zu fallen, dass ich keine angemessene Antwort fand.


