Morgens ist das rechte Ohr komplett zu, so, dass der halbe Kopf nur noch innerer Resonanzraum ist. Ich denke an meinen Hörsturz von 2014, überlege, ob die Idee nicht überdramatisch ist so ohne großen Grund und frage mal bei 141 nach, ohne selbst das Wort zu erwähnen. Die Dame empfiehlt mir allerdings auch einen sofortigen Ambulanzbesuch.
Die Klinik Favoriten ist ein Corona-Fort, insgesamt sehe ich bei meinem Besuch mehr Wachmänner als Klinikpersonal. Das Sicherheitspersonal achtet streng darauf, dass man auf den richtigen Weg bleibt, die individuellen Anti-Pandemie-Maßnahmen beschränken sich aber auf Fiebermessen mit dem Ohr-Thermometer. Ist das einmal erledigt, wird man mit einer ungefähren Wegbeschreibung weitergeschickt. Der zuständige Wachmann lässt mich auf ein Winken der Empfangsdame durch das richtige Gitter, dahinter irre ich ein wenig herum, bis ich das gewünschte Haus finde. Das wirkt verlassen, nur am anderen Ende des langen Ganges, vor der Kinderambulanz, ist etwas Betrieb. allerdings auch nur von Patienten. Erst bei der dritten Runde durch das verlassene Erdgeschoss entdecke ich eine Gestalt, die am finsteren Empfang der Chirurgie fast hinter einem Schränkchen verschwindet. Er nimmt mürrisch gelangweilt meine Daten auf. Außer mir niemand im riesigen Warteraum, dann kommt ein Rettungssanitäter. „11. Schwangerschaftswoche, vaginale Blutungen, 38 Grad Fieber“ sagt er ohne Begrüßung zum Mürrischen, der daraufhin ein Blatt Papier hinter sich an der Wand studiert, vielleicht einen Dienstplan. „Fahrt’s gscheiter ins AKH“ sagt er dann. „Alles klar.“ Der Sanitäter verschwindet wieder.
Es dauert keine zehn Minuten, bevor ich aufgerufen werde. Zwei Ärztinnen hören sich meine Geschichte an, eine wohl in Ausbildung, die darf dann auch meine Ohren studieren. Beide sehr nett. Kaum eine Viertelstunde später verlasse ich das Gelände, um etwas Ohrenschmalz ärmer, sehr erleichtert und leicht beschämt. Obwohl beide Doktorinnen auch der Meinung waren, bei meiner Vorgeschichte sei ein Besuch die richtige Lösung gewesen.
Lasse mich vom Fon gedankenlos zur nächstliegenden nachmittags geöffneten Apotheke lotsen, um die Tropfen zu kaufen, die meine innen jetzt zerkratzten Ohren besänftigen sollen. Dabei komme ich durch mir ganz neue Gegenden, was mich im Zehnten doch ein bisschen wundert. Auch hier reichlich neue Baustellen, irgendwann müsst es doch einen Wohnungsüberschuss geben?
Knapp jenseits des Reumannplatzes erreiche ich die Favoritenstraße, da könnte man doch ein Eis vom Tichy…? – Den Gedanken aber angesichts der kilometerlangen Schlange sofort wieder verworfen. Die halbwarme Sonne und der lebhaft frische Wind sind Frühling genug.
An der Straßenbahnhaltestelle spielt einer den Schneewalzer am Akkordeon, ein ziemlich altes Pärchen steht von der Bank auf und deutet ein Tänzchen an. Fast zum Weinen schön. An der nächsten Ecke saxophont einer „Strangers in the night“. Der Markt ist sehr gut besucht, die ganze Favoritenstraße brummt vor Leuten, ich gehe da lieber mit Maske durch. Das Wollgeschäft, zu dem mein Unterbewusstsein mich punktgenau leitet, ist glücklicherweise am Samstagnachmittag geschlossen.
Zu Hause wartet Wochenendarbeit, abends tatsächlich Strickunlust, arbeite stattdessen noch etwas an den Archiven.