Der letzte Tag hat mir am rechten Fuß eine ordentliche Blase beschert, und so bin ich trotz morgendlichen Nieselregens mit Sandalen unterwegs. Heute lassen wir uns Zeit, man muss ja nicht jeden Tag Höchstleistungen bringen!
Die Gegend um unser Hostel ist voller Schrebergärten, durch die wir erst einmal einen kleinen Spaziergang machen. Anschließend geht es, nach einem kleinen Besuch in der Apotheke, ins Kultur-Grätzel von Södermalm. Södermalm (wo wir wohnen) ist der klassische Arbeiterbezirk Stockholms. Heute gibt es hier, wie in anderen Städten auch, zwar weiterhin Ecken mit günstigen Wohnungen, aber auch solche, wo mit Kunst und Kultur auch der gemäßigte Bobo-Lifestyle Einzug gehalten hat. Wir spazieren ungezwungen durch Gegenden mit beiderlei Flair. Und wundern uns nur kurz über die Benennung des Kebabladens.
Ich kaufe vorsichtshalber eine zusätzliche SD-Card für die Kamera, der Herr Sufi ebenso umsichtig ein Wet-Case für sein iPhone. Dann ersetzen wir das Frühstück durch einen Lunch, irgendwas mit Krabben für mich und ein Süppchen für den leicht angeschlagenen Lucas. Erstaunlich, dass es von diesem gemütlichen Moment keine Bilder gibt, vielleicht wollte ich nicht das “ganz normale Leben” um mich herum stören. Es hat wieder stärker zu regnen begonnen, und so ziehen wir zum Kaffee nach drinnen, wo es außer ein paar Couch-Tischen (eben zum Kaffeetrinken) einen großen Tisch für Mittagsgäste gibt, an dem man sich zwanglos (aber immer mit gebotenem Abstand zu Unbekannten) platzieren könnte. Auf dem Tisch liegen Kochbücher zum Blättern, und selbst nach dem zweiten Kaffee fällt uns das Aufstehen schwer. Aber die Stadt ist noch groß…
Auf dem Weg Richtung “Vita Bergen” schimmert Globen wie eine Fata Morgana in der nassen Luft.
Jenseits der Götgatan wird die Atmosphäre weniger geschäftlich, mehr gemütlich, und zumindest ich schau mir die Schaufenster der kleinen Läden ebenso gerne an wie die Galerien und Geschäftsideen. Zwischendurch stören wir die Herrschaften von Greenworks bei der Arbeit und lassen uns erklären, wie man Wände innen und außen begrünt. Sollte ich jemals eine Villa kaufen… aber das ist bekanntlich eher unwahrscheinlich.
Ein Stückchen weiter will der Lucas nicht glauben, dass weder Geschäftsleute noch Bewohner dieses Hauses wissen, warum das Ding einen so markanten Sockel hat. Ich gebe zu, dass ich darüber als Anrainer vermutlich auch nicht nachgedacht hätte. In jedem Fall findet man so sein Haus leicht wieder.
In der Nytorgsgatan kann man bei Pärlans durchs Fenster der Konfektherstellung zuschauen. (Ich notier das hier fürs nächste Mal – diesmal hat mich der Begleiter unbarmherzig vorbeigezogen.) Aber auch sonst gibt es in der Gegend einiges zu entdecken.
Während der Herr Sufi sich die weitere Route überlegen will, erklettere ich den Weißen Berg (Vita Berg) und werde mit weiteren An- und Ausblicken belohnt.
Gleich darunter liegt der Nytorget, ein Familienidyll mit spannender Bepflanzung. So etwas muss auch in den eigenen Garten, findet der Herr Sufi, doch wir finden leider nicht heraus, wie die unten abgebildete Großblattpflanze heißt. Zweckdienliche Hinweise werden gerne entgegengenommen.
Ich wundere mich währenddessen darüber, wie sozial sich die Bienchen die anderen Blüten aufteilen. Hier herrscht ganz klar Idyll-Alarm, aber seltsam – heute stört mich das gar nicht. Noch idyllischer wird es auf der Sofiagatan, wo wir im “Garbo” Kaffee und Kuchen nehmen. So lange wollten wir gar nicht bleiben, aber die Kaffeekanne am Nebentisch war einfach zu überzeugend, und der Kuchen in der Vitrine auch.
Innen ist das Cafe irgendwie auch ein Kleidergeschäft. Möglicherweise kann man auch die Möbel kaufen, so genau hab ich das nicht hinterfragt. Und die Inhaberin lässt mich in meinem unsicheren Schwedisch bestellen, ohne mich auf Englisch zu unterbrechen. Herzallerliebst!
Mittlerweile strahlt auch die Sonne wieder (was sollte sie hier auch anderes machen), und wir wandern weiter. Dass das Cafe “Garbo” heißt, und dass Greta Garbo an der Ecke ein Plätzchen gewidmet ist, ist übrigens kein Zufall. Die “Göttliche” wurde in Södermalm geboren und ist in dieser Straße zur Schule gegangen.
Uns aber zieht es wieder ans Wasser, denn Cafés und Schauspieler haben wir zu Hause auch. Am südlichen Ufer von Södermalm liegt der Hammarbyhafen, wo es auch einiges an Booten und Schiffen zu bestaunen gibt.
Bevor es zu Fuss wieder westlich in bekanntere Gegenden ginge, hoppen wir auf einen Touristendampfer und erkaufen uns für 100 Kronen das Recht, in den kommenden 24 Stunden jederzeit eines dieser Boote besteigen und wieder verlassen zu können. Es gibt da mehrere Modelle mit unterschiedlichen Preisen und Anlegestellen, was, wie wir beim Schippern feststellen können, nicht nur unter Touristen zu Verwirrung führt. Aber wir sind mit unserer Auswahl durchaus zufrieden.
So schwimmen wir an Södermalm, Slussen und der Altstadt vorbei. Hier liegt die Birger Jarl, ein Kreuzfahrtsschiff, das trotz seiner 59 Jahre unter dem Kiel tapfer die Route Stockholm – Mariehamn fährt. Benannt ist sie nach dem Mann, der Schweden vereinigt und einen Kreuzzug angeführt hat – und laut Legende auch Stockholm gründete, damals im 13. Jahrhundert.
Vom Wasser aus sehen wir auch das Schloss von seiner Seeseite und zahlreiche Ausflugs- und Touristenboote, die ihre Ladung genau vor der Türe ausspucken wollen. Und gegenüber, auf Skeppsholmen, liegt die Af Chapman (unten), auf der ich schon seit Jugendtagen gerne einmal die eine oder andere Nacht verbringen würde. Leider ist sie, bis mir das einfällt, immer schon längst ausgebucht. Naja. Eines Tages vielleicht.
Am Nybroplan hoppen wir off, denn der Herr Sufi hat einen Tipp gekriegt. In der Östermalmhalle soll es den Fisch geben, den er vor der Abreise gerne in Massen einkaufen und nach Hause mitnehmen möchte. Eine Schnupperrunde könnte sich, mittlerweile ist es 5 Uhr, gerade noch so ausgehen, bevor die Halle schließt. Ich hingegen trenne mich nur ungern von den Anblicken in der Bucht.
Zuerst einmal laufen wir allerdings hochmotiviert in die falsche Richtung. Wer hätte auch annehmen können, dass die Östermalmsgatan (-straße) nicht zum Östermalmstorget (-platz) führt? Also, ich nicht. Und dabei schau ich doch sonst immer auf den Stadtplan! – Macht aber nix, denn auch hier gibt es jede Menge zu schauen – und zu fotografieren. Ein echter Wiener lässt nämlich keinen Friedhof aus.
Nachdem wir die intuitive Navigation durch die kommunikative Variante ersetzt haben, finden wir auch die Markthalle. Die liegt im eleganten Botschaftsviertel und präsentiert sich dementsprechend schmuck.
Wir schauen und kaufen ein paar Kleinigkeiten, die sich auch ohne eigene Küche verkosten lassen. Später sind wir angetan von allem, außer vom zähen und etwas ältlichen Sandwichwecken (nicht im Bild).
Am Weg zurück zum Wasser kommt uns das Musikmuseum unter. Hier hängen überdimensionierte Instrumente an der Wand, die tatsächlich spielbar sind – auch wenn sie teilweise etwas schattig klingen.
Wir setzen uns an die Anlegestelle und jausnen unsere erjagten Schätze. Es ist sonnig, aber irgendwie schon etwas kühl. Dafür sind die Ausblicke wunderbar.
Frisch gestärkt beschließen wir, doch wieder zu Fuß zurück zu gehen. Vor den Hotels liegen ziemlich große Boote, und am Übergang zwischen Meer und Mälaren wird fleißig gefischt.
Dann bieten sich noch erstaunlichere Anblicke: Drei Ballone fliegen, Verzeihung, fahren direkt über Altstadt und Schloss und weiter in die heute tatsächlich goldene Abendsonne.
Auch an diesem Abend ist es nicht leicht, den Herrn Sufi nach Gamla Stan zu locken. Es gelingt mir immerhin so weit, dass sich ein typisches Stockholm-Foto ausgeht. Als wir Slussen erreichen, hat die Sonne noch einmal tief Luft geholt und malt den alten Verkehrsknotenpunkt so hübsch, dass wir beschließen, eine kleine Pause einzulegen.
Im Restaurant Flyt genießen wir Abendlicht und ein Bierchen, unter Einheimischen, Zugereisten und Touristen, bei durchaus angenehmer Musik. Autos fahren oben fast keine, aber durch die Schleuse herrscht mittlerer Motorbootverkehr. Es gibt immer was zu schauen. Seltsam, dass gerade da allen Fotoapparaten der Saft ausgeht (und Ersatzakkus gut eingepackt im Hotel liegen), aber irgendwie ist das auch ganz entspannend.
Jetzt wäre ich bereit, das Nachtleben von Södermalm zu erkunden, doch der Herr Sufi ist müde, und so wandern wir nur noch den schon bekannten Weg am Södra Mälarstrand zurück, an den Booten vorbei. Auf dem Piratenkahn wird gefeiert, und wären wir einen Augenblick länger stehengeblieben, hätte man sich vermutlich einladen lassen können. Aber wer weiß, was den Piraten noch so einfällt… und wir wollen uns weder kielholen noch teeren und federn lassen. Deshalb, aber vor allem wegen der Müdigkeit, marschieren wir, ganz untypisch brav für unsere Begriffe, schon früh in unser sicheres Quartier zurück.