Der Morgen bringt unsere übliche Urlaubsroutine: Eine Chronistin, die frischfröhlich geduscht zum Kaffee eilt, während der Herr Sufi gerade mal die Nasenspitze unter der Decke hervorstreckt. Das wäre möglicherweise eine psychologische Untersuchung wert, weil zu Hause ist es genau umgekehrt. Mein Kaffee vor dem Ho(s)tel ist begleitet von vielsprachigem Menschengezwitscher rundum, und das mag ich sowieso immer sehr. Irgendeine Eingebung hat mir eine Kanelbulle (Zimtschnecke) auf den Teller gelegt, die noch leicht warm und köstlich zimtig süß in meinen Bauch wandert. Dabei mag ich doch gar nix Süßes zum Frühstück! Aber heute schon.
Mein 3likeHome-Internet ermöglicht mir die gewohnte gemütliche Morgenlektüre, obwohl das Frühstücksgebiet außerhalb des Gratis-WLANs liegt. Zur obligatorischen Mailbeantwortungsrunde gehe ich dann doch lieber an die Geräte in der Rezeption, für die sich um die Uhrzeit kein Mensch interessiert. (Am Abend dagegen sind sie immer schwerst belagert.) Dann taucht auch schon der Herr Sufi auf, und wir machen uns auf die Socken zur Stadterkundung.
Nach einem Schlenker Richtung Stadt gehen wir nordwärts, dann am Rand von Södermalm entlang. Hier liegen jede Menge Boote, auf denen gewohnt wird. Teilweise Könnte man die Seetüchtigkeit bezweifeln, doch in den nächsten Tagen ändert sich immer wieder das Anlegebild – es muss also doch einiges dabei sein, das fährt. Die Bötchen haben Blumenkisten, Hängemattenhaken und auch sonst noch so einiges, was den gemeinen Passanten neidisch werden lassen könnte.
Dass hier aber doch mehrheitlich gewohnt wird, zeigen die Postkästchen vor der Tür, äh, dem Steg. Ob in die Blumenkistchen eher Kräuter oder doch eher Blümchen passen überlegen wir, und dann könnte im kühlen Norden winters auch eine ordentliche Heizung nötig werden. Ansonsten wäre das Hausboot durchaus eine nette Alternative, vor allem, wenn es auch noch ein bisschen Schippern kann. Und die Sache mit dem nötigen Kleingeld… Noja, vielleicht kann uns ja der Pirat zeigen, wie man das macht!
Im egalitären Schweden schwimmt gleich neben dem Piraten die Kronprinzessin Martha, mit recht eindrucksvollem Anker. Hübsch! Noch ein paar Schritte weiter gibt es das “Röda Båt”, das rote Boot, das auch ein Ho(s)tel ist und beim Buchen bei mir in der engeren Wahl war. Bei aller rotgefärbelten Hübschheit sind wir froh, dort doch nix mehr gekriegt zu haben – der Bootsparkplatz ist an einer stark befahrenen Straße, am Zinkendamm dagegen herrscht wunderbare Nachtruhe.
So ein Boot will natürlich auch gepflegt sein, und wir sehen ein bisschen beim sorgfältigen Pinseln zu. Auf dem Oberdeck des nebenliegenden Restaurantboots hätten wir gern Kaffee getrunken, doch das geht erst am Nachmittag, wie uns der freundliche Deckschrubber mitteilte. Wir schlenderten weiter bis zur ersten (westlichsten) Brücke Richtung Norden, die natürlich auch auf das zentrale Gamla Stan-Inselchen führt.
Der rote und der grüne Stecken (schwedisch “Pinne”) sind übrigens Seezeichen, die auf diese recht unspektakuläre Art die befahrbare Wasserstraße kennzeichnen.
Gamla Stan lassen wir heute wegen der Sufischen Touristenphobie ganz einfach rechts liegen und biegen nach links ab. Riddarholmen ist eine eigene Insel und der kleinste Stadtteil Stockholms. Außer Regierungsgebäuden und einem Museum gibt es dort nur die schöne Aussicht Richtung Södermalm und Kungsholmen mit dem Stadshuset (Rathaus). Laut schwedischer Wikipedia wohnte auf Riddarholmen bei der Volkszählung 2009 genau eine Person (aber es ist ja nicht weit bis Gamla Stan mitten in den Trubel). Außerdem gibt es noch ein nettes Cafe auf einem netten Platzl, in dem man auch gut jausnen könnte, aber wir belassen es bei Kaffee und Wasser und einem äußerlich royalen Klobesuch (innen war die Hütte nämlich eng und stickig). Heute scheint übrigens trotz dunkler Wolken immer wieder die Sonne, der Wind ist zwar skandinavisch kühl, aber doch verlockend, und auch sonst gibt es an diesem Tag nichts auszusetzen.
Ach ja, und noch etwas gibt es auf Riddarholmen, nämlich die Statue eines berühmten schwedischen Künstlers. Evert Taube war Maler, Schriftsteller und Komponist und Sänger und zumindest für letzteres sehr beliebt.
Die Statue tut ihm ein wenig unrecht, ganz so hässlich war der Künstler nicht (siehe Bild in der Wikipedia). Mit ist er vor allem durch die Seglerlieder bekannt, die in der Interpretation seines Sohnes zur musikalischen Pflichtausstattung jedes Segelbootes zählten (hat mir zumindest mein Vater in den Achtzigern erzählt. Vielleicht wollte er mich damals auch nur wegen meines differential entgegensetzten Musikgeschmacks ärgern.) Aber irgendwie süß sind die Lieder ja doch.
Von der alten Liederkultur mit schlafendem Keyboarder ging es ein Stück weiter über die Brücke, am Hauptbahnhof vorbei, direkt in den tagesaktuellen Einkaufsrummel. Nun zählt ja das G’wand einkaufen nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, schon gar nicht im Urlaub. Aber der Herr Sufi hatte einen Pullover zu wenig, und Frostbeulen auf den kommenden Bootstagen wollten wir dann doch nicht riskieren. Wir bummelten durch Norrmalm und Vasastan, wo es Pullis gab, um einer ganze Armee einzukleiden. Nur leider wollte dem Herrn Sufi keiner so recht zusagen. Was andererseits auch nicht so schlimm war, zu sehen gab es unterwegs genug.
Wir spazieren kreuz und quer und treffen zufällig am Hötorget (beim Konzerthaus) auf einen Markt. So viele Eierschwammerln auf einem Fleck hat bis jetzt keiner von uns auf einem Fleck gesehen.
Der Stand ist kein Einzelfall – bei jedem Standler gibt es mindestens zwei Kisten der hier “Kantareller” genannten Schwammerln.
Kein Wunder, dass uns daraufhin der Hunger packt. In der Kungshallen gegenüber gibt es Futter aus aller Herren Länder. Wir suchen uns das einheimischste Lokal aus und sitzen zwischen höchst einheimischen Pensionisten und Einkäufern, bis das Futter kommt.
Mein Lachs kommt mit köstlicher Zitronenbutter und Rucola, das Süppchen gegenüber mundet sichtlich auch. Solchermaßen gestärkt, schlendern wir die Sergelgatan hinunter, wo mich dieser Revolver fasziniert und irgendwie entfernt an die Beatles erinnert.
Zu Hause lässt sich nachschlagen, dass das Motiv von Nonviolence kommt und von Carl Fredrik Reuterswärd als Tribut an John Lennon gestaltet wurde.
Aber genaugenommen sind wir ja immer noch am Einkaufen, auch wenn das Schauen sehr viel mehr Spass macht. Weiterhin ohne (Pullover-)Erfolg ziehen wir durch die Straßen, und schließlich und endlich muss man natürlich auch noch zu NK. Das hilft in Sachen Pullover zwar auch nicht, aber wer nicht bei NK war, kann einfach nicht behaupten, in Stockholm eingekauft zu haben. 🙂
Nach dem Kauf zweier Bücher verlässt mich endgültig die Kaufhauslust, und ich drehe eine Runde über den Kungsträdsgarden und den Berzelii Park, während der Herr Sufi sich weiter auf die Jagd begibt. Im Kungsträdsgarden (Königsgarten) gibt es doch tatsächlich Public Viewing für die Sommerolympiade und ein paar Spielstätten für die Kinder, die nachmachen wollen, was da auf der Leinwand kommt. Sonderlich gut besucht war das nicht, aber das könnte auch am jetzt wieder einsetzenden Regen gelegen sein.
Am Berzelii-Park wiederum steht Berns, ein Club/Nachtlokal/Hotel aus dem 19. Jahrhundert, das bis heute eine Rolle in Schwedens Nacht- und Kulturleben spielt. Ich kannte den Namen, weil ich dort gern einmal Bob Dylan gesehen hätte, aber die Geschichte des Etablissements ist durchaus lesenswert.
Zurück im königlichen Garten wartete ich auf die Rückkehr des Begleiters und steckte dabei die Nase in mein Buch. Nicht ohne mich köstlich über das schwedische Jung-Pärchen auf der Nebenbank zu amüsieren. Die jausneten nämlich, was eine Vielzahl an Vögeln anzog. Und Tauben, Möwen, Spatzen und weitere Vertreter der fliegenden Zunft sind in Schweden völlig ungeniert, wenn es darum geht, ein paar Krümel von irgendwas zu erwischen. Woran auch immer es liegen mag – sie alle würden einem problemlos aus der Hand fressen, wenn man sie ließe. Was den jungen Mann dazu bewog, zum Schutz seiner Auserkorenen wild mit den Armen zu fuchteln, sobald ein Flügeltier in Sicht kam. Und das passierte eben andauernd (ich hätt ein Video machen sollen).
Anschließend war ein Besuch im Kulturhuset angesagt. Wie man sieht, wurde das Wetter wieder finsterer. Das hielt uns aber nicht davon ab, auf die heimelig wirkende Dachterrasse zu zielen.
Das Stockholmer Kulturhaus beherbergt Theater, Kinos und Ausstellungen, ein eigenes Stockwerk für wertvolle Kinderunterhaltung und wirkt insgesamt wie ein Relikt der positiven Seiten der 70er-Jahre. Zudem ist es ein freundlicher Platz, an dem sich kulturinteressierte Einheimische und ebensolche Touristen zwanglos mischen. Beim Essen am Dach traute ich mich im übrigen erstmals wieder, ein paar schwedische Sätze von mir zu geben. Der Sufi wiederum sah einen guten Einsatzzweck für seine Gewürzmischung, die immer in der Jackentasche steckt.
Von hier oben hat man auch den besten Blick auf eines der meistfotografierten modernen Wahrzeichen der Stadt, den “Glaspelare” von Edvin Öhrström, der eigentlich Kristallvertikalaccent heißt und in der Mitte des Kreisverkehrs am Sergels Torg steht. (In diesem Brunnen ist übrigens auch einmal in einem Krimi eine Leiche gefunden worden, aber der Krimi war in weiterer Folge fad – vermutlich will mir deshalb weder Titel noch Autor einfallen.) – Der Kreisverkehr hat auch eine kulturelle Komponente, er wurde von einem dänischen Mathematiker exakt in Form einer Superellipse gestaltet. Der Herr Sufi meint, dass das wie ein ganz normaler Kreis aussieht. Rein optisch kann ich ihm nicht widersprechen.
Auch hier oben stehen übrigens Warnschilder, dass man sein Essen nicht unbeaufsichtigt herumstehen lassen soll – natürlich der Vögel wegen.
Nach dem Essen gehen wir noch rüber zum anderen Lokal des Daches, um einen Kaffee zu trinken. Hier gibt es Musik, und an Sommerabenden Kinoprogramm. Ein Kräutergarten lädt ausdrücklich zum Verkosten ein, und um die Ecke stehen an einer begrünten Fassade zwei Bienenhäuser.
So gestärkt, schauen wir noch ein bisschen nach Kunst und Kultur, und werfen uns dann in das jetzt wieder zunehmende Getümmel der Fußgängerzone Drottninggatan.
Weiter oben (die Drottninggatan geht bergauf und in Richtung Norden) sind metallene Strindberg-Zitate in den Boden eingelassen. Nach Lektüre der meisten lässt sich leicht schließen, dass der Meister gegenüber seinen Zeitgenossen ein ziemlich überheblicher Stinkstiefel gewesen sein muss – aber das schmälert ja nicht das literarische Erbe.
Am Ende der Drottninggatan steht ein kleiner Hügel mit dem Observatorium drauf. Der Herr Sufi verweigert, aber ich will natürlich auch da oben eine Runde drehen.
Von hier aus gehen wir über Odenplan und St.Eriks gata in einem großen Rund wieder nach Hause. Eine nette Gegend mit netten Häusern und kleinen Geschäften, Parks und Lokalen, aber weil es zwischendurch mal wieder tröpfelt, bleibt die Kamera meist in der Tasche. Als ein paar offensichtlich mit Umzug beschäftigte Einwohner ein Sofa auf dem Gehsteig abstellen, überlegt der Herr Sufi ein Nickerchen. Der Scherz kommt aber nicht sonderlich gut an. Womöglich dachten sie, er hätte es ernst gemeint? (Womöglich hat er?)
Der Sonnenuntergang ereilt uns am Karlbergssjön.
Auf der anderen Seite wird noch fleißig gepaddelt.
Hier gebe ich endlich zu, dass der Schuh drückt, und ziehe ihn aus. Der Herr Sufi ist besorgt, doch Stockholm ist recht sauber, und ich bin gewohnt, beim Barfussgehen drauf zu schauen, wo ich hintrete. Barfuss trapse ich also quer durch Kungsholmen und über die lange, lange Brücke nach Langholmen und weiter “nach Hause” bis Södermalm.
Am Ende der Brücke erreicht uns Musik, und magisch angezogen finden wir das idyllische Cafe “Lasse i Parken”, wo eine dunkelmystische Frauenstimme live hervorragend mit dunklen Trommeln und hellen Gitarrenklängen harmoniert. Ist aber leider bis auf den letzten Platz gefüllt, und so ziehen wir wegen Hunger und Durst nach kurzem Zuhören von draußen weiter. Später lässt sich ergoogeln, dass die Künstlerin auf der Bühne Theresa Andersson war, die an diesem Abend alle ihre Instrumente ganz alleine gespielt bzw. livegesampelt hat. Auch ohne schwedische Sommernacht das eine oder andere Ohr wert. Am besten beide!
Am Zinkensdamm noch zu Abend gegessen und dann ohne weitere Unternehmungslust noch vor Mitternacht ins Bett. Kein Wunder, wenn man sich die Fuß-Strecke ansieht (Wenn Google und ich richtig gerechnet haben, sind das mit allen Schlenkern fast 30 km.)