28. August 2024

State of the Wieden

Der erste Termin des nahenden Herbstes ist zu meinem Glück ein sanfter; ein Pressefrühstück bei einem Bäcker in Gehnähe. Gestern hatte ich noch überlegt, wie ich dort denn hinkomme, wenn die Straßenbahn baustellenbedingt nicht die Wiedner Hauptstraße entlangfährt, man könnte mit dem Bus oder der Tram zur U-Bahn, dachte ich, müsste dann aber immer noch ein Viertelstündchen gehen. Unkommod. Erst heute früh unter der Dusche kam ich auf die naheliegendere Lösung: Gleich zu Fuß gehen. Das sind dann zwar etwa 25 Minuten, aber morgens, noch unheiß, und ohne langwierige Umsteigeüberlegungen.

Ich stiefelte, oder vielmehr sandalte, also bergab über den Matzi und die Baustellenstraße entlang. Ich hatte mich darauf eingestellt, dass vielleicht Umwege nötig wären, doch oberirdisch scheint das meiste bereits erledigt, die Baustellen spielen offenbar im Untergrund.

Was mir hingegen auffiel, waren die vielen geschlossenen Geschäfte. Also, nicht jetzt gerade geschlossen, sondern überhaupt geschlossen. Da ein Kleidungsladen, dort ein Obsttürke, und was war das eigentlich? – Ich erinnere mich nicht, doch jetzt ist es nur noch leer und staubig. Sogar die Trafik mit dem ewig grantigen Trafikanten existiert nicht mehr, und das Mini-Einkaufszentrum ist leer bis auf Libro und Thai-Massage. Es sieht alles irgendwie abgefuckt aus.

Weiter unten finden sich auch oberirdische Baustellen, die aber zumindest bei meinem Vorbeispazieren erfreulich wenig Lärm machen.

Der Termin interessant und vielfältig, nebstbei ein köstliches Gragger-Frühstück. Zurück ebenfalls zu Fuß, damit sollte das Schrittepensum erledigt sein. Vorbei an der alten ‚Hood‘, wo sich deutlich weniger verändert hat als auf der Wiedner. Nur das eine oder andere neue Graffito.

Und neben den Hells Angels ist ein Bestatter eingezogen. Ich weiß nicht genau, warum mich das so amüsiert, aber es amüsiert mich genug, um mich nicht zum wiederholten Mal darüber zu ärgern, dass aus dem alten Lieblingslokal vieler am nächsten Eck ein glattgelecktes Planungsbüro geworden ist.

Richtung Reinprechtsdorfer Straße machen sich die U-Bahn-Baustellen bemerkbar, es ist unangenehm heiß, die Luft ist voller Abgase, und obwohl ich normalerweise wenig Hitzeprobleme habe, ergreifen mich gewisse Flucht-Tendenzen.

Auch hier hat einiges zugesperrt, um einen Lidl ist es nicht schade, um das eine kleine Grafflgeschäft, das im Gegensatz zu vielen anderen mit einem gewissen Sinn für Ästhetik geführt wurde, schon. Vollends genug von diesem Spaziergang habe ich, als ich feststelle, dass das Geschäft mit den Leinenkleidern einem Kebab-Laden gewichen ist. Nix gegen Kebab-Läden, aber das ist der ungefähr 37. auf dieser Straße, und Leinenkleider gibt’s in der Gegend sonst nirgends. Ich nehm den Bus nach Hause. Im 10. ausgestiegen, gibt es zumindest ein bisschen Wind.

Als ich nach Hause komme, ist es höchste Zeit, zu arbeiten, doch kaum bin ich in Fahrt, ruft eine kleine aber dringende Erledigung in die Innenstadt. Nur dass, kaum bin ich da, die Erledigung sich selbst erledigt hat. So stehe ich also etwa ungerichtet am Schwedenplatz und beschließe, dass es jetzt auch schon wurscht ist. Eine kleine Runde durch den Zweiten hat noch nie geschadet.

Mir schwebt ein Kaffee in einem Café vor, doch bevor ich mich entscheiden kann, stehe ich schon vor dem Wollgeschäft. Vergebens versuche ich mich zu überzeugen, dass die Wollkisten voll genug sind, dieses Lieblingsgrün aus baumwolle und Viskose muss mit.

Damit sind wieder einmal mehr als 15000 Schritte auf dem Zähler, das war eh Zeit. Vielleicht hätte ich sie nicht in den hübschen Sandalen machen sollen, unken zwei Blasen am Fuß, aber man kann sich halt auch nicht um alles kümmern.

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