Ein stressiger und dennoch unergiebiger Montagvormittag, dann wollte ich schnell meine Schritte-Runde absolvieren, bevor nachmittags ein weiterer Termin anstand. Der erste warmsonnige Tag, seit – ja seit wann eigentlich? Seit Anfang Oktober, will mir scheinen, aber das kann ja fast nicht sein. Sonnige Tage gab es, auch nicht zu kalte Tage gab es, aber sonnig und nicht-kalt hatten wir schon länger nicht mehr.

Ich stapfte entschlossen in Richtung Wienerbergteich, wurde aber am Anfang der Teichrunde von einem Landschafts-Ennui gigantischen Ausmaßes befallen. Noch einmal die gleiche alte Runde, und ich würde das Hexenhöhlchen monatelang nicht mehr verlassen, da war ich mir plötzlich ganz sicher.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Runde um den Wienerbergteich ist wunderschön. Aber ich geh sie halt jedes Mal, wenn mir nichts besseres einfällt, das heißt, in letzter Zeit fast immer. Ich kenn sie dermaßen in- und auswendig, dass ich mich meistens nicht einmal mehr aufraffen kann, Fotos zu machen.
Und jetzt stand also am Berg und schaute unentschlossen in die Gegend. Wie jedes Mal lachte mich das Schild „Stadtwanderweg“ an. Einerseits wären die 22 Kilometer (hatte ich schon vor einiger Zeit ergoogelt) deutlich zu lang für eine schnelle Mittagsrunde. Andererseits ist es ja ein Stadtwanderweg, will sagen, man kann sicher unterwegs da oder dort in den einen oder anderen Bus einsteigen, um den Weg ein anderes Mal fortzusetzen. Etwas zögerlich folgte ich dem Pfeil, Joggerin von links, Hundepärchen von rechts, als das Telefon klingelte. Mein Termin wäre leider unpässlich, verkündete die Assistentin der Geschäftsführung, ob sie mir wohl Vorschläge für die nächste Woche schicken dürfte? Sie durfte. Ein Wink des Schicksals, dachte ich erfreut, möglicherweise – hoffentlich für ihn – war mein Termin nicht wirklich unpässlich, sondern genau wie ich fasziniert von den ersten Frühlingssonnenstrahlen.
Ohne weitere Aufmunterung nahmen die Füße den Wanderschritt auf. Ein bisschen blöd, dachte ich, dass ich nicht einmal Wasser dabei habe. Aber – Stadtwanderweg – das finde ich sicher auch unterwegs. Mit den Gedanken zwischen Alltagsanforderungen und plötzlicher Geh-Freiheit blieb mein Blick unten, der Kies am Weg glitzerte im Gegenlicht, jeder Schritt staubte ein bisschen. Wie damals in Tunesien, dachte ich, als meine Schritte plötzlich doppelt klangen. Ich schaute auf, im Gleichschritt entgegen kam mir eine Frau meines Alters, wir tauschten einen Blick, derweil die Füße taten, was sie taten, quasi ein Stechschritt im Zeichen des Sonnentages, eine anarchistische Mini-Armee der Frühlingseroberung.
Was zum Teufel denkst du da, dachte ich, und richtete stattdessen den Blick in die Weite.


Ein Stückerl des Weges kannte ich ja schon, durch den Wald abwärts am Pensionistenheim vorbei, dann über die Kreuzung, und dann…? Erstmals befragte ich das Handy und stellte fest, dass die Seite von wien gv.at, die am PC sehr übersichtliche Informationen ausgibt, am Fon keine sinnvolle Karte anbietet. Ein bisserl blöd, aber… da sah ich ein Stückchen rechts vorne doch wieder ein Schild.
Es ging an einem Würstelstand vorbei, da hätte ich Wasser kaufen können, aber eine Woge von Altfettgeruch schlug mich vorzeitig in die Flucht. Wird schon noch etwas kommen, dachte ich. Es ging großteils nach Süden, zu dieser Jahres- und Tageszeit quasi permanent der Sonne entgegen, was das Erspähen weiterer Schilder zu einer optischen Herausforderung machte. Immerhin konnte ich auf der Übersichtskarte sehen, dass es unter der A23 durchgehen sollte, wo genau blieb unklar, Schilder waren auch keine in Sicht. Ich wählte die nächstbeste Option. Ein Mann mit Dackel an der Leine kam mir entgegen, ich fragte wenig hoffnungsvoll, ob er wüsste, wo der Stadtwanderweg 12 verläuft, er schaute erst in den Himmel, dann seinen Hund an, der weiterlaufen wollte, schließlich zeigte er in seine Gehrichtung: „Da ist der zehnte Bezirk, dort“ – er zeigte in die Gegenrichtung – „ist der 23. Mehr weiß ich auch nicht.“ Ich bedankte mich freundlich, obwohl es nicht weiterhalf. Ein paar hundert Meter weiter fragte ich noch weniger hoffnungsfroh eine Frau mit Einkaufssackerln, die mit leicht slawischem Akzent verblüffend präzise Auskunft gab: Geradeaus bis zur Brücke und danach rechts.

Die Brücke geht über den Liesingbach, der überraschend wenig Wasser führte. Dort stand dann sogar wieder ein Wegweiser, aber danach, als sich der Weg in 3 Möglichkeiten verzweigte, stand wieder keiner mehr. Erneut befragte ich eine Passantin, die zwar noch nie von der Existenz eines Stadtwanderwegs gehört hatte, aber mit Begeisterung alle möglichen Wege in Richtung Vösendorf detailliert beschrieb. (Später wurde mir klar, dass nicht an jeder Kreuzung Schilder stehen, sondern nur dort, wo man abbiegen muss. Aslo wenn kein Schild, dann geradeaus.)
Langsam hätte ich echt gern etwas zu trinken, dachte ich, als ich sicher war, in die richtige Richtung unterwegs zu sein, aber immer noch nicht ganz sicher, mich auf dem richtigen Weg zu befinden. Von der recht stillen und abgeschiedenen Liesingbachuferpromenade bog ich zum Inzersdorfer Kirchenplatz ab, wo immerhin eine Bank in der Sonne stand, die ich für weitere Recherche nutze. Mobil-brauchbare Karten fand ich zwar weiterhin nicht, aber zumindest eine verbale Beschreibung, der sich recht einfach folgen ließ. Suchresultate von Bergfex und komoot ließen mich ratlos zurück: Zwar wurden sie als Treffer angezeigt, wollten aber dann in der App keine Treffer nach „Stadtwanderweg“ finden. (Auch das ist am Desktop anders, habe ich mittlerweile festgestellt. Weitere Recherche wird nötig sein.)
Laut der Beschreibung von „Ganz Wien“ ging es jedenfalls ein Stück die Drasche-Starße entlang. Dass dort ein riesiger autostinkender Stau war, verwunderte mich ein bisschen – schließlich war die Drasche-Straße schon Anfang der 90er ein permanenter autostinkender Stau gewesen, hätte sich dort seither nicht vielleicht das eine oder andere tun können? – Hat es aber nicht. Dafür vorbei an historischen Lebensmittelerzeugergebäuden (die heute Kindergarten sind) und optisch wertvollen G’stätten. An einer Schule ein Wandbild im Banksy-Style, ein Mädchen gießt die Straße mit einer Gießkanne, während hinter ihr Blumen wachsen. Ich mache kein Foto, weil ein paar Kinder davor auf der Mauer sitzen.


Auch hier übrigens weit und breit kein Supermarkt und nur ein sehr geschlossenes Restaurant. Ich erinnerte mich zwar an einen Würstelstand ungefähr 500 Meter weiter, dennoch folgte ich dem Pfeil der wiedergefundenen Route nach Süden. In Vösendorf wird das Wasser dann sicher besonders gut schmecken, dachte ich. Derweil zeigten die Botschaften am Straßenrand, dass der Sinn des Frauentags noch nicht an der Peripherie angekommen ist.

(Wobei, natürlich, das mit den Blumen am 8. März eine osteuropäische Tradition ist, also ist das Schild vielleicht gar nicht ignorant, sondern nur multikulturell.)
Ein Stückerl weiter südlich fand sich eine hilfreiche Übersichtskarte des Stadtwanderwegs, die fotografierte ich für eventuelle weitere Navigationsschwierigkeiten (ich hätte näher ran gehen sollen).

Am Rande der Stadtging es über eine zwar gesicherte, aber dennoch gefährlich anmutende Kreuzung mit einer traurigen Geschichte am Rand.

Dannach eine ganze lange Weile nur noch Weg, Gegend und Bam.

So leer, wie ich sie fotografiert habe, war die Landschaft übrigens gar nicht – immer wieder, trotz des gewöhnlichen Montagnachmittags, Jogger*innen, Radfahrer*innen und Spaziergänger*innen.
Schließlich erreichte ich Vösendorf. Wien winkte nur noch aus der Ferne.

Vösendorf hat recht fotogene Ecken und ein Schloss, all das könnte man sich irgendwann vielleicht auch näher anschauen.



Dann aber auch Stellen, bei denen ich Lust kriege, wieder einmal die alte STALKER Trilogie zu spielen. (Das neue wird auf den nächsten Winter warten.)

…und dann noch einen Brieftaubenverein.

Bald ist das Städtchen zu Ende, und ich habe immer noch kein Wasser. Ein Blick auf die Karte enthüllt, dass ich am Anfang der Gemeinde nur einen kleinen Umweg gebraucht hätte, um ein Geschäft zu finden. Aber zurück ist keine Option. Zurück ist niemals eine Option. Zudem war ein Stück weiter Richtung Autobahn ein Einkaufszentrum angezeigt. Ich stapfte also wieder Richtung Norden. Wien rückte langsam näher.

Endlich ein Schild, das die Erfüllung aller Konsumbedürfnisse versprach.

Ich orientierte mich erst noch im Autobahnzubringergewirr, suchte und fand den nächsten Wanderweg-Wegweiser, bevor ich mich in den Konsumtempel wagte.
Ein Blick in den Spiegel zeigte, dass ich verschwitzt, zerzaust und tatsächlich leicht sonnengerötet einen wenig vertrauenswürdigen Eindruck machte, doch es gelang mir trotzdem, Wasser und Wurstsemmerl zu erobern.
Im Café saß eine Altherrenrunde beim hörbar nicht ersten Bier, weiter hinten drei Frauen mit Aperol Spritz in großen Gläsern. Für wen die Frau hinter der Theke Espresso machte, blieb unklar, aber der duftete so gut, dass ich mir auch einen bestellte und ein bisschen wie ein Reisender die fremde Welt um mich herum betrachtete. Als ich dann erfrischt wieder auf die Straße kam, war die Sonne weg, es war empfindlich kühl geworden. Lichter hatte das nächste Stückerl Weg auch keine zu bieten. Der Rest des Weges musste also warten, eine BadnerBahn-Haltestelle war zum Glück nicht weit entfernt.
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