Sonnentag

1. März 2021

Nachts um drei davon aufgeweckt, dass jemand Nägel in die Wand schlägt, vielleicht auch Haken, was weiß man schon. Es klang jedenfalls definitiv nach Handwerk, nicht nach jemand, der wegen eine Lärmbelästigung gegen die Wand schlägt, oder aus Frust, oder aus anderen Gründen. Die Frage, wer da auf die Idee kommt, mitten in der Nacht zu handwerken, ließ mich erst lange nach der Klopferei wieder einschlafen. Dementsprechend etwas länger geschlafen als üblich.

Planung und Organisation sind angesagt, und weil sich das für mich nicht nach richtiger Arbeit anfühlt, bin ich am Ende ein bisschen frustriert, weil ich bis zum mittleren Nachmittag „noch nicht richtig gearbeitet“ habe. Da das aber offensichtlich Unsinn ist, gebe ich mir anschließend frei. Es ist noch immer ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, ein Weitweg-Spaziergang lockt. Ich nehme die Schnellbahn an die Donau und bin im Zug erst einmal verblüfft darüber, dass sich das Zugfahren normal anfühlt, und dann darüber, dass mich das verblüfft. So ganz normal ist es aber dann doch nicht, eine Frau unauffälligen Erscheinungsbildes führt kichernde Selbstgespräche (definitiv ohne Handy oder Headset), ein Mann im Vierersitz schräg gegenüber zieht alle paar Minuten die Maske vom Gesicht und atmet schwer und angestrengt. Ich ziehe mich auf die Mittelplattform zurück, dort ein Hundebesitzer mit Boxer, beide wirken normal.

Am Handelskai ein paar Meter flussaufwärts und dann über die Donau auf die Insel. Ein bisschen grungy ist es hier schon.

In die andere Richtung altvertraute Anblicke.


Zwar ist die Gegend nicht menschenleer, doch die Oberhand haben eindeutig die Vögel. Tauben, Möwen, Reiher, Enten. Hier ist wohl ein Checkpoint.

Drüben, weit weg von Verkehrslärm und Stadtleben, geht es sich gleich leichter. Ich mache, was ich lange nicht mehr gemacht habe, und spüle die Ohren mit Musik. Sieht danach aus, dass die 2021er-Playlist besser gelingen könnte als die 2020er. (Zwei dieser Songs fliegen da irgendwann raus, aber ein paar Mal muss ich sie noch hören).

Am Ufer putzen Schwäne hoffnungsfroh ihr Gefieder, konzentriert, als gälte es, genau jetzt Eindruck zu schinden. Die Bäume, die beinah schon austreiben, faszinieren meinen Blick. Die Graffiti sind hier teils entzückend unbeholfener als am Donaukanal. Teils auch gnadenloser.

Die Playlist endet zu früh, aber es ist ja auch noch früh im Jahr. Eine Gruppe junger Menschen trinkt Bier in einer Bucht, einer ruft etwas und wirft seine Bierdose ins Wasser. Sofort gerügt von den anderen, nachhaltige Sauferei offenbar, zwei bemühen sich, den Abfall mit einem langen Ast aus dem Wasser zu holen, ich bin vorbei, bevor klar ist, ob es gelingt.

In Höhe Reichsbrücke schnurrt über mir ein UL vorbei, die Stille der Insel ertrinkt in Baulärm und in Sirenen vom Festland. Noch ein Stück weiter flussabwärts finde ich einen neuen Freund und noch mehr Street Art.

Ein bisschen traurig darüber, dass es Zeit ist, ins eigene Leben zurückzukehren. Eines Tages geh ich vielleicht einfach weiter, möglicherweise bis ganz nach Budapest. Das Zelt ist schon ausgesucht, muss nur noch bestellen. Aber für heute doch wieder über die Brücke in Richtung Elfenbeintürmchen.

Die U-Bahn beruhigend leer. Am Karlsplatz gönne ich mir aus historischen Gründen den ersten Freiluft-Cappuccino im Jahr und trage ihn in den leeren Garten vor der Kunsthalle. Dort sieht es mehr nach Herbst denn nach Frühling aus, nur die Baumkronen schwirren voller sonnentrunkener Stieglitze.

18400 Schritte, 13,6 km.

Unterm Strich ein veritabler Urlaubstag ohne Urlaub, den man weder mit Regierungspressekonferenzen noch mit Echtzeit-Fernsehen beflecken sollte. Ein Stündchen Krimi-Hörbuch noch, dann ins Bett.

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