Der Weg ist weit durch den kalten Nieselregen. Das ist gut. Die Stadt lebt, sie braust und hupt und sirent selbstvergessen vor sich hin. Die Bilder im Kopf aber sind aus dem Wald. Sie sind zart, sie sind wundersam, sie sind…
vergangen.
Wie oft ich diesen Weg gegangen bin, an guten Tagen, an weniger guten Tagen, an großartigen Tagen. Morgens, mittags. Nur abends vielleicht noch nie, doch sicher bin ich nicht. Immer ist etwas neu, hier wächst eine Baustelle, dort ist eine verschwunden und hat ein frisches Haus zurückgelassen. Der Interspar in Meidling hat noch offen, warum auch immer. Vielleicht ist heute ein Tag für ein Glas Zinfandel, denke ich, gehe hinein und finde sogar einen. Dann noch eine Kleinigkeit, über die ich seit Tagen nachdenke. Auch am Meidlinger Markt sind Geschäfte offen, doch alles sehr verhalten, außer der Weihnachtsbeleuchtung. Die strahlt, als wäre nichts geschehen. Die Steinbauerstraße entlang, die sonst so lebendigen Lokale leer, meist dunkel. In einem Hauseingang steht einer und hat ein kleines Kind im Arm. Er singt leise eine traurige Melodie.
Die nassgenieselten Brillengläser machen kleine Sterne aus den Lichtern. Kitsch, denke ich und putze die Brille, auch wenn es nicht lange hilft. Das Nieseln bleibt hartnäckig.
Am Gürtel steht einer und schüttelt die Faust, „Arschlöcher“, schreit er, „Drecksäcke!“. Er sieht sehr alt aus und hat einen kleinen weißen Hund im Arm. Den Hund stört die Wut seines Herrchens nicht, er kennt sie vielleicht einfach lange genug, er schaut unbeschwert und neugierig in die Welt. Ich halte reichlich Abstand. Drüben auf der anderen Seite, das alte Kulturlokal ist jetzt eine Bäckerei. Sie heißt Selfish. Das passt wohl in die Zeit.
Zu Hause gieße ich mir ein Glas Zinfandel ein. Er schmeckt wie früher, etwas dunkler noch vielleicht, doch mir nicht dunkel genug. Vielleicht hätte ich Rioja nehmen sollen, denke ich, aber auch der wäre mir wohl zu lebendig.
Ein Elch und ein Frosch leisten mir Gesellschaft. Ich hatte mir fest vorgenommen, diesen verdammten Frosch endlich an die Wand zu werfen, aber ich bringe es nicht übers Herz. Wozu auch; Prinz wird aus dem doch keiner mehr.
Ich suche keinen Mut in diesem Glas: Ein neues Leben beginnt mit einer neuen Frisur, so ist es Tradition seit Anbeginn der Zeit.
Vielleicht suche ich mich; doch viel lieber würde ich mich verlieren.
Wenige Schlucke später sind die Haare gefallen. Der Rest wird sich finden.
So war es immer. So wird es auch diesmal sein.