23. Juni 2003

Schöne Tage. Egal. Oder auch nicht.

Donnerstag

Endlich wieder springen wollte ich, aber der Himmel hat kein Einsehen und regnet und windet. Das Handy ist kaputt. Dann noch diese Kreuzschmerzen. Ist doch egal, sage ich, fahren wir trotzdem hinaus, sage ich, und der Sufi, lieb wie er ist, trägt mein Gear ins Auto. Das hat ein neues Radio, dessen Erkundung bis zur Mitte der Reise dauert. Ungelöst das Rätsel, wieso normale CDs springen, MP3-Cds aber problemlos abgespielt werden. Ist doch egal sage ich, habe ohnehin eine randvolle MP3-Cd gebrannt. Reicht für 3 Tage.

Ankommen und aufatmen am fast verlassenen Drittwohnsitz-Flugplatz.

Ein bisschen beschämt als die anderen der Wasserleitung ihr Bett graben, während ich auf der Campingliege mein Kreuz pflege, aber egal. Ist doch egal.

Schließlich ziehen da Wolken so schnell und vielschichtig dahin, dass ich sehr schnell die c’t zur Seite lege; schließlich sind die Weinberge so grün und auf der Wiese laufen die Hörnchen und später sogar ein Hase, und der Rest: Ziemlich egal. Dann noch essen, nach Dross, weil der Sufi so gerne will, und wir schleppen noch ein paar müde Freunde mit, komm, ist doch egal.

Danach will der Sufi heim, ich aber nicht, dazu brauch ich keinen Sekundenbruchteil Überlegungszeit, Stadtmauergrau gegen Wiesengrün, gut, dann bleib ich hier – ist doch egal. Der Sufi aber plötzlich auch, somit doch eine zweisame Herbie-Nacht, eine kurze: Um 8 Uhr ist Tagwache, für den Sufi, weil er ins Büro nach Wien muss, für mich, weil ich gedenke, in Krems Ersatz für mein Handy zu beschaffen. Mehr Auswahl gäb’s in der Großstadt? Ach komm, ist doch egal.

Freitag

Also Freitagachtuhr an der Kremsperipherie abgesetzt, wollte eigentlich ein Taxi nehmen, ist aber keins da. Egal. Tapfer an allen Tankstellen vorbei zum Steinertor gewandert, ziemlichen Umweg dabei gemacht, weil ich nur den Autoweg kenne, aber was soll’s. Fühlt sich an wie Urlaub, so warm und so bunt und so fremdvertraut, die Leute sprechen einheimisch und doch ganz anders, eine italienische Familie vor einer “fahrradfreundlichen Pension” im Ostblock-Hotel-Look, fahrradlos, starrt mich an, mit langem Ohr im Vorübergehen erfahre ich, dass mein T-Shirt gemeint sein muss: “Bob Dylan” identifiziere ich als einzig bekannte Lautfolge im fremdländischen Redestrom und gehe gleich aufrechter, damit sie Tourdaten auf der Rückseite auch noch gut lesen können.

Selbiges T-Shirt macht im Einkaufszentrum leider hautnah Bekanntschaft mit dem Zeitüberbrückungs-Cappuccino, sodass ich es im nächsten Geschäft gegen ein orange-gebatiktes austausche; orange wird immer mehr zu meiner Lieblingsfarbe, stelle ich fest und kaufe zum Ausgleich und aus Fadesse, weil der Handyladen erst um 1/2 10 aufmacht, gleich noch eine schwarze Sommerjean und dann noch ein Buch über’s Waldviertel und Die vierte Hand, die ich dann bei einem zweiten Cappuccino, dessen bestimmungsgemäße Verwendung diesmal gelingt, gleich aufschlage.

Werde aber schnell abgelenkt vom Geplauder rund um mich, unter dem Dach des Einkaufszentrum-Cafes treffen sich VerkäuferInnen, die demnächst an ihrem Arbeitsplatz erwartet werden, mit den Arbeitslosen (ausschließlich männlich), die in naher Zukunft nirgends erwartet werden –  hier scheint jeder jeden zu kennen, und vermutlich liegt es daran, dass es keine Vorurteilsbarriere gibt zwischen den Erwerbstätigen und den Erwerbslosen; möglicherweise hat es auch damit zu tun, dass die letzteren mit einer einzigen Ausnahme noch beim Kaffee sitzen und nicht beim Bier (und fragt mich jetzt nicht, was die Ursache ist und was die Wirkung).

Der Wirt jedenfalls, er wirkt wie ein Wirt, obwohl es sich um ein Kaffeehaus handelt; der Wirt hat haargenau die gleiche Stimme wie ein anderer Kremser Wirt, den ich kenne, obwohl sie sich optisch überhaupt nicht ähneln, der Wirt pfeffert die Kronen-Zeitung auf den nächstgelegenen Tisch und nennt deren Inhalt “blödsinnig”, worauf die Kellnerin vom Tischewischen aufschaut und meint, der Standard sei eben leider noch nicht da gewesen.

Wie spannend die kleinen Mikrokosmen sind, sonald man sich von zu Hause entfernt. Der Handyladen hat jetzt offen, und ich lass mir sämtliche Modelle erklären und gehe dann mit dem kreuzbraven 6310i nach Hause anstatt mit irgendeinem Dingens, das alle Stückeln spielt – weil es als einzig verfügbares eine Schnittstelle für mein serielles Laptopkabel hat, zum einen; zum anderen weil es mich bei meinem Vertrag keinen einzigen Cent kostet.

Na gut. Nun interessiert mich doch, was Krems noch so zu bieten hat. Ich finde eine sehr sympathische Fussgängerzone zum Schlendern, ein Cafe mit unsäglichem Kaffee – und noch mehr Urlaubsgefühl. Dazu ein bisschen wiederkehrendes Kreuzweh. Der Wind treibt mich zum Bahnhof, wo Taxis und Busse zu finden sind, nur 10 Minuten zum nächsten Bus, den nehmen wir doch…

Ich teile ihn mit einer kreuzfidelen Rentnerinnengruppe auf dem Weg zu ihrem wöchentlichen Heurigen-Stammtisch (wir schreiben mittlerweile immerhin 11 Uhr), die mich, kaum dass ich mein Ziel (Gneixendorf Flugplatz) bekanntgegeben habe, ins Kreuzverhör nimmt, und schon nach 2 Haltestellen beschlossen hat, das mit dem Tandemspringen einmal auszuprobieren.

Meine Anwesenheit ist also nicht weiter von Nöten, daher darf ich mich setzen. Der Wind ist womöglich noch stärker geworden, die Sonne scheint unbeirrt, das Licht ist Skandinavienlicht: Grade recht zur Sommersonnenwende.

Die paar Schritte von der Haltestelle zum Fliegerstüberl fühlen sich an wie Heimweg, wie erleichterter Heimweg; hier kenne ich die Leut’ und die Leut’ kennen mich, und ich darf mein Handy aufladen und brauche nur einen Kaffee zu bestellen, weil was ich für einen Kafee will, das wissen die hier schon.

Das ist sehr angenehm, und ich blättere erst in der Krone, für die sich hier keiner entschuldigt, und nehme dann wieder die “vierte Hand” zur Hand; nach 70 Seiten ist das Frühstück gegessen und das Handy geladen, und ich ziehe mich in die Abgeschiedenheit des Herbie zurück, um coole Klingeltöne auszusuchen.

Dann irgendwann kommen die anderen, soweit sie müssen, denn das das mit dem Springen heute nichts wird, ist windbedingt längst klar. Mir aber egal; ich habe meinen Sessel in die Sonne gestellt und lese in meinem Buch (das bei weitem nicht an die Irving-Highlights heranreicht, aber doch ein deutlicher Fortschritt ist gegenüber der Witwe und dem Zirkuskind), und ich erkunde die Funktionen im Handy oder schaue einfach über die Wiese, wo ab und zu ein Erdhörnchen auftaucht, oder in den Himmel, wo die Wolken tanzen; dazwischen mal kurz bei einer Tandemmaster-Schulung zugehört und das eine oder andere gelernt.

Aber je später es wird, desto weniger lese oder lerne ich, umso mehr schaue ich über die Wiese und in die Wolken: sehr zufrieden mit dieser Daseinsform und ohne das kleinste bisschen Sehnsucht nach Bits oder Bytes.

Ein kleiner Regenguss treibt mich zurück ins Fliegerstüberl, woraus ein netter Abend wird, und das war der Tag und er war mehr als schön. (Und dann zum ersten Mal in 12 ganzen Jahren den Herbie ganz allein beschlafen)

Samstag

Morgendlich frischer Wind läßt bald sprungfreundlich nach: Daher ein Sprung und, nach einer ganzen langen lesenden schauenden rumhängenden Weile, noch einer. Der Sufi läßt sich zu einem Besuch überreden, das freut natürlich mich, aber auch andere, die der Meinung sind, ohne den Sufi in der Hängematte würde am Platz keine rechte Stimmung aufkommen.

Nach der langerwarteten Ankunft ein kurzer Abstecher nach Dross, und nach der Rückkehr ist das Sonnwend-Grillfest in vollem Gange. Wer zählt die Geschichten, wer die Biere?


Aus Lengenfeld leuchtet ein Feuerwerk, und aufmerksame Beobachter, soweit sie noch wach sind, erleben das ungewohnte Ereignis, die Chronistin bereits vor Mitternacht ins Bett schleichen zu sehen (wobei böse Stimmen auch etwas von “schwanken” gemurmelt haben).

Sonntag

Nachts wird es seeehr kühl: Da hat jemand die Bustür offengelassen. Später, als die Sonne aufgeht, wird es ziemlich warm: Der untreue Sufi trollt sich in die Hängematte; aber ich bin entspannt genug, um nicht zu grummeln. Das nächste, was ich wahrnehme, ist Jürgens fröhliche Morgenstimme; die Maschine ist aber noch nicht da. Eine heimliche Dusche und einen Kaffee später fühle ich mich kräftig genug, um in die Hängematte zu wechseln, und kaum 2 Stunden darauf bin ich sprungbereit.

2 sollten es mindestens werden, aber die Zeit drängt, und die Maschine ist voll: Also machen wir uns auf den Weg, der Sufi und ich. Auf der B37 beschließen wir allerdings einmütig, uns von der Zeit nicht drängen zu lassen, und fahren stattdessen ein bisschen herum. Ob es wirklich die Kälte ist, die mich aus dem Ottensteiner Stausee wieder ans Ufer und dort in eine Sitzposition mit verschränkten Armen treibt, weiß ich nicht; es könnte auch die überdeutlich menschelnde Fremdheit (fremdelnde Menschheit?) gewesen sein.

Jedenfalls finden wir dann noch einen Waldviertler Whisky (den ich mehr wegen der Flaschenform als wegen des Geschmacks kaufe) und ein Blockhausferiendorf, gegenüber ein Weizen- und ein Roggenfeld, von dem ich je eine Ähre mopse und die einzelnen Körner freilege & kaue. Dass ein in solchen Ähren möglicherweise vorhandener Pilz in meinem eigenen Magen Fuss fassen und weiterwachsen könnte, habe ich meiner Grossmutter schon als Kind nicht geglaubt; gefährlicher könnten da schon die Spritzmittel werden – aber das halte ich aus.

Auf der Weiterfahrt will der Sufi in keins der von mir vorgeschlagenen Schlösser essen gehen, und ich versuche zu schmollen, was mir allerdings nicht so recht gelingt. Viel zu schön liegt die Sonne über dem Land, und während der Sufi sinniert (“Mit der Landschaft ist es wie mit den Frauen: Nicht jede, die schön ist, muss man auch haben”) würde ich hier sofort Wurzeln schlagen: Und wenn ich es dereinst bereuen sollte (wie ich bislang jedes Wurzelschlagen bereut habe), dann wüßte ich wenigstens, warum. Nur erklären kann ich es nicht.

Was ist das für ein Teich, fragt der Sufi: Das ist der Teich, wo mich damals fast ein Schwan gebissen hätte, als das mitgebrachte Brot alle war, sage ich.

Und dieses Damals war damals, als der jetzt in Krems stationierte Herbie noch quietschlebendig war; auf der Rückfahrt nach der Reparatur der Gangschaltung (die auf der Wiese des Dobra-Campingplatzes einem heftigen Hügel zum Opfer gefallen war), wo auf der Hinfahrt jeder Tritt auf die Bremse ein Herausspringen des Schaltungszahnrads hervorgerufen hat mit dem Ergebnis, dass man langsam an den Straßenrand rollen und den Gang (den zweiten, die anderen waren unmöglich reinzukriegen) rücklings auf der Erde liegend händisch einlegen musste, aber das sage ich nicht mehr sondern denke es nur (deshalb ist auch der Satz so verworren).

Stattdessen versuche ich, den Sufi zum nächsten ausgeschilderten Schlossrestaurant zu lotsen; das will er wieder nicht. Ich habe aber Hunger, sage ich. Ich will aber am Wasser essen, sagt er.

Die Antwort liegt auf der Hand – oder besser, auf der Landkarte. Etwas besorgt und leicht nervös – zu oft habe ich altgeliebte Plätze nach etlichen Jahren der Abwesenheit verfälscht und verdorben wiedergefunden – lotse ich uns zum schönsten Campingplatz des Landes, der – Erleichterung – noch fast wie damals daliegt. Nur Strom haben sie hergeleitet; nicht gerade ein Fortschritt, zumal im Restaurant Ö3 läuft – aber das halten wir aus.

Das Essen ist nicht berühmt, aber durchaus genießbar, die Aussicht unverändert schön. Hinter den Bäumen geht die Sonne unter, und während wir mit dem Fernglas dem Fischreiher folgen, erzählen sie im Radio vom Donauinselfest: Und ich bin unglaublich dankbar, dass ich hier bin und nicht dort.

Obwohl wir anschließend ebengenau dorthin fahren durch dieses unglaubliche Licht, durch das skandinavische Kühlsommerlicht: So schön war das Licht noch nie, glaube ich, sagt der Sufi. Ich glaub auch, sage ich.

Die ganze werdende Autobahn dämmert es, und auf der viel zu neuen gläsernen Skyline rund um die UNO-City liegen letzte rote Sonnenstrahlen, wunderschön, aber mein Fotospeicher ist schon voll. Wir verirren uns ein bisschen zwischen Reichsbrücke und… Reichsbrücke, finden dann aber doch den Weg auf den Parkplatz. Dermassen strahlend neue architektonische Leistungen erwecken in mir immer das Bedürfnis, SimCity zu spielen, sage ich, ganz egal ob sie schön sind oder nicht – aber der Sufi kann das nicht nachvollziehen.

Wir gehen, handinhand zufrieden damit, uns nicht ins direkte Inselgewühl stürzen zu müssen, in Richtung Country- und Westerninsel, nicht wegen der Musik (die sich trotzdem gut als Langwochenendsabschluss eignet) und auch nicht wegen der Gestalten in Fransenhemden und Cowboyhüten (die durchaus eine Fotosession oder eine soziologische Studie wert wären) sondern auf der Suche nach einem Stand mit Halbedelsteinen, den wir vor zwei Jahren ebendort bewundert haben, der heuer aber (natürlich!) nicht mehr da ist.

Macht nichts, sagt der Sufi, ich hätt’ eigentlich trotzdem gern ein Hendl! (Die duften ja auch ums Eck) Gut, sag ich, dann nehm ich eine Folienkartoffel. Vorher allerdings nehmen wir noch ein paar Hosen vom hierarchisch organisierten Kleiderstand der Inder (Das wäre auch eine Untersuchung wert, sagt der Sufi, dessen in Österreich ungewöhnliches Verhandlungsgeschick dem Verkäufer Schweissperlen auf die Stirn getrieben hat) – und dann nehmen wir noch einen Schluck aus der Waldviertler Whiskyflasche, einfach nur weil es so gut zur Musik passt.

Dann sitzen wir da und genießen die Kulinarik, während eine mittelmäßige Band mit erstklassiger Frauenstimme Songs wie “Stand by your man” oder “Sometimes it’s hard to be a woman” zum besten gibt. Am besten sind sie a capella, stellen wir bei “Thank god I’m a country boy” fest.

Ein japanisch aussehendes Pärchen (gelächelt haben sie auch) kommt mit einem Tretboot in die Bucht und strandet prompt am Ufer. Wir beobachten interessiert die Rettungsaktion, während ich nochmals vom Waldviertler Whiskey einschenke und dem Sufi erzähle, dass der soeben angestimmte Song “Blue Bayou” lange Zeit der Lieblingssong meiner Mutter war. Der Sufi drückt meine Hand und fragt gleichzeitig ungläubig, ob das wirklich stimmt. Es stimmt: aber spätestens als ich in den Refrain einstimme, weiß ich, dass es allerhöchste Zeit ist zu gehen.

Wenn das nicht so schwer wäre. Dieses Wochenende, Inbegriff des Sommergefühls, enden zu lassen. Den Wiesen, den Stauseen, dem Flugplatz, dem Blauhimmel und dem Lagerfeuergeruch – ja selbst der Grindmusik! –  den Rücken zu kehren. Heimzukehren in den 1/0-Alltag. Ins eigene Leben. Als wäre es ein Abschied für immer und nicht nur für 5 Tage.

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