12. Dezember 2007

Schloss und Flugboot

Die Tür des Hauses, in das wir wollen, ist versperrt. Ohne zu zögern nimmt L. einen Stein, um damit den Briefkasten aufzbrechen, in dem der Ersatzschlüssel liegt. Nicht! sage ich, der Junge, der den Schlüssel hat, kommt doch schon. Zu spät, ein lautes Scheppern. Der Junge und ich schauen uns an.

Das Haus ist siebzigerjahremodern, aber es ist in ein altes Schloss hineingebaut. Ich bin wütend und gehe mich umschauen, ein bisschen Abstand wird gut tun. Der Keller verwinkelte Bogengänge, hoch, riesig. Hinter dem verfallenden Schloss ein Park, verwildert. Ein Fluss führt mitten durch, eine wunderschöne alte Steinbrücke darüber. Darunter dahinter kommt gerade das Flugboot um eine Flussbiegung. Am offenen Deck ein Steuermann, Typ Wikinger, unbekannt, ein paar wichtige Leut. Aber wo ist der Pilot? Er steht vorne am Bug und gibt Autogramme.

Der Steuermann muss langsam fahren, unter der Brücke ist es eng. Kurz entschlossen steige ich rüber aufs Deck, ein paar Meter nur mitfahren, denke ich, aber hinter der Brücke gibt der Steuermann Gas. Ich setze mich an den Rand, genieße den Fahrtwind. Irgendwann werde ich zurückgehen müssen, durch den unfreundlichen Wald am Ufer. Egal.

Der Fluss führt in eine Stadt, mitten durch ein mittelalterliches Zentrum. Die wichtigen Leut steigen ab. Ich sollte auch, denke ich, mag aber irgendwie nicht. Von unter Deck kommt ein Mädchen, ich kenne sie, sie begrüßt mich überschwenglich. Ich weiß nicht ihren Namen, auch nicht, woher ich sie kenne. Ich frage nicht; sie ist ein Grund, hierzubleiben. Erstmal. Ich weiß, ich sollte schon längst zurück sein.

Wir legen ab, wieder geht es durch dunkle Wälder. Der Fluss macht eine Biegung, jetzt sind wir wieder näher am Schloss, ein Sumpfgebiet rundherum. Da vorne ein See. Das Flugboot legt an. Hier wird man übernachten. Die Freundin ohne Namen ist fürs Abendessen zuständig, ich gehe ihr zur Hand. Morgen kannst du frei haben, sagt der Pilot zur Freundin. Sie nickt. Wie kann man an einem Flugtag frei haben wollen, denke ich. Trotzdem wäre es nicht schlecht, jemand zweiten zu haben, um die Aufgaben zu teilen, fährt sie fort und schaut mich an. Ich nicke, denke, Abwaschen? Egal. Kochen kann ich auch nicht. Egal. Alles, wenn ich nur dabei sein kann. Der Pilot schaut uns abwesend an, sagt nichts. Irgendwo klingelt ein Telefon.

Später sitzen wir an der Bar-Ecke der Küche, durchscheinendes Mattglas, trinken ein Glas Sekt, ich mag gar keinen Sekt, egal. Der Pilot setzt sich gegenüber, fragt die unbekannte Freundin, ob sie noch immer ihrem Freund Geld schickt, sie wirkt verlegen. Die Antwort scheint ja zu sein. Erklär ihr das doch, sagt der Pilot zu mir, das ist völlig sinnlos. Dort gelten Frauen nichts, der nutzt sie doch nur aus. Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht, nicke vorsichtshalber, sage: So ist die Liebe! – Er spricht weiter, es geht um eine dunkle, alte Stadt, verschleierte Frauen, keine Zukunft für “Liebe” in so einer Umgebung. Ich schaue die Freundin an, hätte gerne ihre Seite gehört. Sie sagt nichts, schaut weg, dahin und dorthin, während mich der Pilot mit seinen Augen fixiert und mit den Händen die Sachlage auf den Tisch malt, dabei immer wieder meine Hände berührt, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Ich sage nicht mehr viel, mhm, ja, frage mich, warum ihm das so wichtig ist, frage mich, warum er mich als Brücke braucht für dieses Gespräch.

Später waschen wir ab, die Freundin und ich, ich habe nach ihrer Geschichte gefragt, aber keine Antwort bekommen. Im halboffenen Bad ein junger Typ, der während des Duschens kifft; laute Musik. Ich muss dann wirklich endlich gehen, es wird schon dunkel. Was immer der Kiffer kann, ich kann es besser, denke ich, es muss doch irgendeinen Platz hier geben für mich. Ich frage den Piloten nochmals nach dem Job; Gute Idee, sagt er, aber trotzdem nein. Im Weggehen dreht er sich nochmals um, sagt: Ich kann dich aber anrufen, wenn ich dusche. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Witz ist, den ich nicht verstehe, oder eine Beleidigung. Egal.

Wir sollten in Kontakt bleiben, sagt die Freundin, unbedingt sage ich. Hast du meine Karte? Natürlich, sagt sie. Ich aber deine nicht, sage ich. Sie greift in die Tasche und gibt mir ihre Karte, endlich werde ich den Namen erfahren, denke ich, das war schon peinlich genug. Die Karte ist handgeschrieben, ich kann sie nicht lesen. Sie begleitet mich ein Stück durch den Wald, es ist nicht so weit, wie ich gedacht habe. Sie redet von fremden Ländern und Städten, es klingt ein bisschen müde; mir bleibt nur dieser Schlosskeller, denke ich, kalt und feucht. Sage nichts.

Vor dem Eingang verabschieden wir uns; wenn sich irgendwas ergibt, sage ich, du weißt ja, ich möchte sehr gerne… Klar, sagt sie. Ich würde mein Leben wegwerfen, sage ich, um… Sie ist sehr wütend, plötzlich, Das war das falsche Wort! sagt sie. So doch nicht, sage ich, ich hab gemeint, ich würde mein bisheriges Leben wegwerfen, aber sie hört mir nicht zu, schreit mich an: Das falsche Wort!, wieder und wieder, während sie im Wald verschwindet.

Ich kann einfach nicht hineingehen in diesen kalten Keller, stehe ein Weile da, setze mich dann auf die bröselige Betonzufahrt, Hände um die Knie. Es beginnt zu regnen.

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