Schlaflos in Margareten

20. Juni 2002

Ich bin ein Fan der herrschenden Temperaturen. Ich liebe es, wenn die Luft so warm und träge ist, dass sich das Gehen anfühlt, als würde man schwimmen. Kaum ein Temperaturunterschied zwischen Haut und Umgebungsluft: Das Gefühl mit der Welt zu verschwimmen. Die Grenzen zwischen innen und außen verlieren sich.

Es ist einfach wunderbar.

Was aber bei der derzeitigen Wetterlage deutlich nicht geht, ist, bei geschlossenem Fenster zu schlafen.

2 Uhr früh

Ich sinke ziemlich müde ins Bett. Zimmer- und Gangfenster sind offen. Ein angenehmes Lüftchen streicht durchs Zimmer. Ich liege auf der Decke statt darunter. Von irgendwoher weht ein U2-Song. Ich beginne zu schweben. Fliege durchs geöffnete Fenster mit ausgebreiteten Armen eine Runde über die dunkle Stadt. Wie schön das ist! Etwas klirrt fürchterlich.

2:30

Oh, das war ja schon ein Traum. Von der Straße kommt begeisterter, falscher, trunkener Gesang. Der Urheber ist vermutlich auch für das Klirren verantwortlich. Ich bleibe liegen und lausche dem sich entfernenden Gegröle, das nach einer Weile in ein Röcheln übergeht. Schwer zu sagen, ob er gerade am Ersticken ist oder sich nur kräftig auskotzt. Ich forsche nicht weiter nach. Es wird wieder still.

Es ist das Meer, das rauscht. Eben war ich noch alleine, doch jetzt liegt der eine, der alle ist neben mir. Der Sand ist angenehm trocken unter dem Rücken. Wir sprechen nicht. Wir berühren uns kaum. Fast ein perfekter Moment. Wenn dieser Presslufthammer nicht wäre. Da wird wohl irgendwo ein Hotel gebaut?

3:10

Natürlich kein Presslufthammer: Es ist nur ein Auto mit einer erstklassiger Stereoanlage und einem Besitzer ohne Musikgeschmack. Man verabschiedet sich lauthals, um die Musik zu übertönen. Der Fahrer gibt ein paar Mal kräftig Vollgas, bevor er mit quietschenden Reifen verschwindet. Sein Glück, dass ich keine Pumpgun besitze.

Im dunklen liege ich und rauche. Irgendwo gegenüber schnarcht jemand kräftig. Ein Frühaufsteher unter den Vögeln probiert schon einmal die Stimme aus. Ich stelle fest, dass es jetzt kühl genug ist, um es mit geschlossenen Fenstern zu versuchen. Ich schliesse die Fenster & krieche zurück ins Bett.

3:55

Ohne akustischen Grund wache ich auf. Die Luft umringt mich wie ein Stahlgerüst. Das Zimmerthermometer zeigt 44 Grad. Seufzend mache ich die Fenster wieder auf.

Der Frühaufsteher-Vogel hat zwitschernde Gesellschaft bekommen. Die Dämmerung hat schon eingesetzt. Ich liege lange und erstaunlich zufrieden in einem Zustand, der sich hellwach anfühlt und doch schon fast Schlaf ist.

4:30

Kaum hat sich mein empfindliches Gehör an das Gezwitscher gewöhnt und läßt es als Hintergrundgeräusch gelten, als plötzlich Krähenschreie dazwischengellen.

Krähen? Im Juni? Sollten die jetzt nicht in Russland sein?

Sind sie nicht. Erfreulicherweise wechseln sie nach etwa einer Viertelstunde den Straßenzug. Sehr erleichtert gleite ich wieder in meinen leichten Sommerschlaf.

5:45

Es ist ganz deutlich Donnerstag. Daran läßt das kräftige Geschepper der Müllabfuhr nicht den geringsten Zweifel.

6:00

Und der Verkehrslärm ist mittlerweile zu laut, um ihn zu ignorieren. Ich schließe das Fenster zur Straße hin und lasse das hofseitige offen. Man muss alles ausprobieren.

8:15

Leider geht der Hof über in das Gelände eines Autohändlers, wo zum guten Morgen jemand die Startschwierigkeiten seines Motors demonstriert. Das Fenster muss auch zu. Endlich schlafe ich.

10:30

Meine Hand liegt in der Glut eines Lagerfeuers. – Natürlich nicht. Es ist die Sonne, die an den Jalousien vorbei den Weg in mein Bett gefunden hat.

Die Fenster müssen auf.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Voriger Beitrag

#169

Nächster Beitrag

#170

Gehe zuNach oben