Ganz bestimmt nicht mein Sport, das Rudern. Aber irgendwann muss es doch sein, trotz des lächerlichen roten Gummibootes, trotz der unzulänglichen Plastikruder. Es ist die alte Neugierde, die mich treibt, was ist hinter dieser Kurve? Was hinter der Landzunge?
Natürlich ist hinter der Kurve: Noch eine Kurve. Hinter der Landzunge: Noch eine Landzunge. Und dahinter?
Immer schon konnte ich mit dieser Frage sinnlose Expeditionen endlos verlängern, am Bach: Irgendwo muss doch die Quelle sein? An der Felsküste: Irgendwo muss doch ein Stück Sandstrand kommen? Stunde um Stunde ohne einen einzigen Blick zurück, während sich oft genug andere Sorgen um mich machten, während ich versuchte, mich daran zu erinnern, dass ich den ganzen Weg ja auch noch zurück musste: Zwecklos. Ich musste es wissen. Was dahinter kommt.
Heute, mit dieser unsäglichen Parodie eines Bootes, ebenfalls. Nicht genug, dass ich im Zickzack fahre, weil mit diesen Plastikwülsten kein Heading zu wahren ist, es ist auch fast unmöglich, irgendwie voranzukommen. Sitzt man im Boot, schaben die Innenseiten der Oberarme beim Rudern am Gummi entlang. Sitzt man am Rand, sind die Ruder so entfernt fixiert, dass der Rücken schon beim zweiten Schlag zu schmerzen beginnt.
Erst hinter der dritten Kurve finde ich die Lösung, ein Paddel statt zweien und im Schneidersitz am Bug indianermäßig links, rechts. Links, rechts. Links. Rechts. Langsam ist das neue schnell. Jetzt kommt auch der Rhythmus, der die Anstrengung vergessen läßt; jetzt geht der Blick nach vorne, anstatt über die Schulter zurück.
Und jetzt erkenne ich auch in der nächsten Landzunge diejenige, die Melone, Blut und Tränen gesehen hat, kein Zweifel, die Liegestuhlwurzel ist unverändert, auch wenn die Laubbäume drumherum viel Zeit hatten zum Wachsen.
Ich ziehe das Ruder ein und lasse mich von dem Restantrieb sanft daran vorbeitragen; wir haben dann doch keinen Hubschrauber gebraucht und auch kein Rettungsboot, so eine Glasscherbe im Fuss blutet heftige Sturzbäche und hört dann unvermittelt damit auf – was ich nicht wusste, und den notdürftig verbundenen Träger der verletzten Zehe habe ich damals im Eiltempo zurück in die Zivilisation gerudert, damit er mir nicht verblutet; gerudert mit der Kraft der Verzweiflung, die bei der Ankunft etwa zeitgleich mit der Blutung nachließ und mich die nächsten zwei Tage muskelkaterbedingt bei jedem Heben des Bierglases aufstöhnen ließ.
Gar nicht wahr. Vielmehr ist diese Geschichte eine Vermischung zweier, nein, dreier Geschichten, von denen ich nur zwei aus erster Hand kenne. Eigentlich ein Indiz dafür, wie nahe ich hier, mindestens zwei Seebuchten vom nächsten menschlichen Wesen, der Anderswelt bin, die sonst Schlaf braucht oder zumindest Dunkelheit, um sich hervorzuwagen. Ich lege auch nicht an, an der Landzunge, der ich zu Unrecht das Blut und die Tränen angedichtet habe, die Melone aber nicht. Die war da. Und Unbeschwertheit, die vielleicht noch da hängt wie ein filigranes Spinnennetz, die ich nicht verschrecken will mit einer unpassenden Ankunft. Deshalb paddle ich weiter, links, rechts. Links. Rechts. Jetzt beginnt es zu tröpfeln, zögerlich, die schwarze Wolke über mir hat schon eine Weile überlegt und probiert jetzt einmal, wie es wäre, ein paar Tropfen abzulassen. Scharf abgegrenzte Tropfen auf dem Boot, auf meiner warmgeruderten Haut, eigentlich müßte mir kühl sein, nur im Badeanzug, und doch ist mir warm, einfach so.
Am nächsten Sandstrand lege ich an, vertäue mein lächerliches Boot mit einem professionellen Seemannsknoten, einem von zweien, die ich auswendig kann.
Ganz still ist es jetzt hier, niemand redet, keine Straße in der Nähe, nur die Geräusche des Waldes. Ab und zu ein Fisch, der springt. Aus dem Wald der seltsam heisere Schrei eines Vogels, von der Intonation irgendwo zwischen Taube und Käuzchen, keine Ahnung, welcher Waldbewohner solche Töne hervorbringt.