8. April 2022

Platanen-Blues

Die Genesung schreitet voran, (beinahe) plangemäß aber mir dennoch viel zu langsam. So angenehm die technisch topmoderne Ausstattung der Krankenzimmer einerseits ist, würde ich sie andererseits sofort eintauschen gegen ein Fenster, das sich öffnen lässt. Die ewig gleich temperierte, leere Klimaanlagenluft ohne merkbares Lüftchen perpetuiert den Eindruck von Künstlichkeit und Stagnation.

Alle wirken kompetent und sind sehr nett, Ärzt*innen, Schwestern, Hilfspersonal und sonstige Geschäftige. Eines aber scheint in der Ausbildung flächendeckend zu fehlen: Die Kunst des Türenschließens. Mit ein Grund übrigens, warum ich mich nach meiner OP postwendend selbst mobilisiert habe, lange bevor mir jemand das Aufstehen vorschlug. Ich musste dabei an die Krankenhausszene in Werner Beinhart denken und hatte somit immerhin innerlich etwas zu kichern.

Im Gegensatz zu den Türen, die immer offen bleiben, wenn jemand aus und ein geht, findet sich immer jemand, der den Vorhang des Fensters schließen will. Wogegen ich ebenfalls immer protestiere. Der Blick auf die Terrasse und weiter über das Krankenhaus, ein kleines Stückerl Triesterstraße, Wolken, Sonne, überhaupt: Das Wetter. Dringend notwendige Verbindung zur wirklichen Welt.

Die Platane (Headerbild), die ich gleich beim ersten Terrassenbesuch im Wiener Baumkataster nachschlug, weil sie schon von der Terrasse aus so mächtig ausschaut, hat dort leider kein Pflanzjahr verzeichnet, aber jung ist sie nicht mehr. Ein paar Tage später besuchte ich sie auch im Erdgeschoss und war noch beeindruckter.

Innerlich war ich an die ganze Sache mit einer gleichmäßigen Mischung aus Angst und Neugierde gegenübergetreten; ich hatte seit meiner Geburt noch nie eine Nacht im Krankenhaus verbracht, war noch nie mehr als lokal und flüchtig anästhesiert worden, und außer ab und zu ich selber beim Kochen hat auch noch nie jemand in mich hineingeschnitten. Dermaßen chirurgisch unberührt war ich als letzte im ganzen Freundes- und, soweit ich weiß, auch im Bekanntenkreis.

Klappe und Schnitt

Als man mich in den Vorraum zu den Operationssälen rollte, leicht sediert aber kaum benebelt, verstärkte sich das Gefühl von „Da liegt ein Irrtum vor, ich gehör da gar nicht her!“. Ich behielt das für mich, ließ mich zu gegebener Zeit, die Wanduhr zeigte 2 Uhr, weiter rollen und sanft auf den OP-Tisch kippen. Im längst gelegten Zugang wurde es kühl, und eine Frauenstimme fragte: „Spüren Sie schon etwas?“ – „Nein!“ sagte ich vermeintlich wahrheitsgemäß, dann setzt die Erinnerung schlagartig aus.

Ebenso plötzlich wurde es wieder hell, eine Stimme fragte: „Hören Sie mich?“, und ich antwortete: „Ja, aber ich weiß nicht, ob Sie echt sind“. Vielleicht habe ich das aber auch nur gedacht, denn eine Reaktion erinnere ich nicht. Alles war in Bewegung, es fühlte sich an, als würde ich auf einem Rafting-Floß auf einem schnellen, aber ruhigen Fluss aus einer stockdunklen Höhle wieder ins Tageslicht hervorbrechen. Die Wanduhr zeigte 4 Uhr. Das Floß kam an seinem Platz im Aufwachraum zum Stillstand, und eine nette Frauenstimme fragte, ob ich Schmerzen hätte. „Nein“ sagte ich, ich hatte keine. „Geben Sie trotzdem vorsichtshalber 2 Milligramm“ sagte eine andere Stimme, im Zugang wurde es wieder kühl, gleich darauf im ganzen Körper warm. Ich fühlte mich hellwach, muss aber doch wieder geschlafen haben, denn als ich die nette Frauenstimme nach der Uhrzeit fragte, war es schon sechs. Das nächste Mal wurde ich wach mit dem typischen Röcheln der Walking Dead Zombies im Ohr; ich war frisch genug um: Was für ein seltsamer Traum! zu denken. Dann setzte dasselbe Röcheln wieder ein, und langsam verstand ich, dass da ein anderer Patient auf verblüffend echte Zombie-Art schnarchte.

Irgendwann gab es Wasser, ab und zu fragte jemand nach meiner Befindlichkeit, irgendwann bat ich um ein Telefon, um die frohe Kunde meines Überlebens zu kommunizieren. Zwischendurch zählte ich die Schläuche, die aus mir hervorkamen und fand, dass es zu viele waren. Genaugenommen war jeder einzelne einer zuviel, fand ich.

Gegen acht rollte man mich wieder auf mein Zimmer, das ich zu meiner Erleichterung für mich alleine hatte; eine redereiche Nachbarin wie die gestrige hätte ich jetzt schwer vertragen. Ich schlief noch ein bisschen, im Laufe des Abends konnte ich nach und nach die freundlichen, aber skeptischen Schwestern dazu bringen, zumindest einen Schlauch aus mir zu entfernen und mir ein kaltes Abendessen zu bringen. Man empfahl mir zwar, bis zum Frühstück zu warten, aber 24 Stunden nüchtern war genug, fand ich. Danach fühlte ich mich gut, aber hellwach. Ich fragte mich, wie ich mit dem Druckverband und den verbleibenden Schläuchen jemals wieder ein Auge zutun sollte, schlief dann aber doch erstaunlich gut.

Nachwehen

Im Gegensatz zu anderen Wiederauferstandenen, deren Leiden ich aus dem eigenen und aus Nebenzimmern mithöre, ist mir weder schwindlig noch schlecht noch knieweich, auch Schmerzen habe ich nicht, das einzige, was ein bisschen ziept, ist die Klebestelle vom Pflaster unter dem Arm. Bei der ersten Kontrolle der Wunden zeigt sich dennoch ein Haken; es blutet an einer Stelle, die nicht sollte. Der Chirurg kommt, um sich das selbst anzuschauen, und meint, man solle mich nochmals in den OP rollen, er würde das berichtigen. „Ich möchte keine Vollnarkose mehr“, sage ich, „Alternativen?“. Zu örtlicher Betäubung schüttelt er kräftig den Kopf, verbal klingt es kompromissbereiter: Er würde mir die Anästhesistin schicken, die müsste das entscheiden. Derweil könne man es auch mit einem neuen Druckverband und einer wundschließenden Infusion versuchen.

Später kommt die Anästhesistin und fragt zuerst einmal ausführlich ab, ob jemand aus meiner Sicht etwas falsch gemacht hätte, und wo genau mein Problem mit der Vollnarkose liegt. Niemand hat etwas falsch gemacht, versichere ich, im Gegenteil, alle waren sehr hilfreich und nett. Mein Problem ist schwer zu formulieren. Es liegt irgendwo zwischen Kontrollverlust und der großen schwarzen Leere. Man könne natürlich auch mit örtlicher Betäubung arbeiten, sagt sie, sie könne aber nicht versprechen, dass ich dann gar keine Schmerzen habe. Ich nicke und hoffe auf den Druckverband. Der, wie sich nach den angepeilten 48 Stunden zeigt, auch seine Arbeit tut. Ich bin wieder rundherum dicht. Also bis auf die Schläuche, die noch immer an mir hängen.

Lange Weile

Man kann auch in einem rundherum beweglichen High-Tech-Bett nicht den ganzen Tag liegen, also gehe ich bald wieder spazieren. Ich betrachte die Platane von der Terrasse aus, besuche die Getränkeautomaten im Erdgeschoss für das Mineralwasser zwischendurch, den Snackautomaten lasse ich aus: Das Angebot ist nicht verlockend. Manchmal, wenn es auf der Terrasse zu kalt ist, wandere ich auch nur ein paar Mal rund um das Stiegenhaus.

Die neue Mitbewohnerin ist zum Glück kommunikationstechnischer näher bei mir als ihre Vorgängerin: Man kann zwischendurch plaudern, man kann es dann aber auch wieder sein lassen.

Ich lese an einem Tag John Irving’s „158-Pund-Marriage„, das mir bislang entgangen war, es entwickelt den Irving-Sog, hat aber für den Autor ungewöhnlich bittere Untertöne. Ich lese endlich wieder einmal meinen Feedreader leer, sortiere Mails die seit Monaten herumliegen. Lese in ein paar andere Bücher hinein, kann mich aber für kein zweites entscheiden. Schaue abends ein bisschen fern – am Laptop, nicht auf dem bereitstehenden A1-Bildschirm, der 2,80 pro Tag kosten würde. Stricken fällt aus, weil ich den Arm derweil nicht so halten soll, wie ich es beim Stricken täte.

Obwohl sich das geistig durchaus ein bisschen nach Urlaub und Erholung anfühlt, bin ich recht enttäuscht, als man mir freitags bei der Visite eröffnet, dass ich noch übers Wochenende bleiben soll.

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