Als der Morgen der Abreise graute, war mir ganz seltsam. Nicht wegen der Reise, und natürlich nicht wegen des Flugs. Ich war nur einfach schwerst besorgt, weil ein Rucksack, der sich ohne gröbere Misshandlungen schließen lässt, gar nicht alles enthalten kann, was man für zwei Wochen braucht. Oder? Oder doch? Und dann natürlich, wie immer, die Sorge, man könnte das Flugzeug verpassen. Aber beide Dummheiten legten sich am Gate, das wir rechtzeitig erreichten, obwohl der Reisepartner ein klein wenig Schwierigkeiten mit dem gewählten Zubringer Car2Go hatte.
Der Flug war direkt und recht ereignislos, von einem durchaus essbaren Sandwich einmal abgesehen. In einer Embraer 190 übrigens, falls es jemand interessiert. Und dann war da noch der Gesichtsausdruck des Herrn Sufi bei der Ankündigung der baldigen Landung durch den Kapitän. “Hat der gerade etwas von 15° und Regen gesagt?” – Er hatte. Das ist in Stockholm im August zwar nicht unbedingt Standard, aber durchaus immer wieder möglich.
Vor dem Ausgang (das Gepäck war auch angekommen) wartete schon der freundliche Skipper, aka mein Daddy, um uns nach Stockholm zu bringen, wo wir 3 Tage Sightseeing geplant hatten, bevor es aufs Boot ging. Unterwegs außer Ankommensgeplauder auch noch schwedische Wölkchen und Licht.
Die Unterkunft war gut gewählt und fand Gefallen sowohl des Mitreisenden als auch des längst schon Einheimischen. Wir nahmen im idyllischen Vorgarten erst einen Manöverschluck gemeinsam und dann, nach einer Krabbensalatjause, zur Sicherheit noch einen zu zweit. Am Nebentisch testeten zwei britische Jungs eine hübsche Rickenbacker ohne Verstärker, und erst einmal schien wirklich alles perfekt.
Dann begann es zu regnen. Wir nutzten die Gelegenheit, um das Zimmer zu inspizieren. Was soll ich sagen? Das Setup im Hostel Zinkendamm hatte alle Voraussetzungen, modernen Reisenden die Freudentränen in die Augen zu treiben. Vor allem denen, die schon ein- oder mehrmals fluchend unter dem Bett und hinter dem Nachtkästchen verzweifelt nach einer Steckdose gesucht haben, um das Phon oder den Laptop aufzuladen.
Auch sonst ist es hier wirklich sehr nett, sogar bei Regen. Der Herr Sufi demonstrierte vorbildliches Urlaubsverhalten.
Aber nach einer Weile wollte ich trotz des Wassers von oben hinaus. Ich meine, Schweden! Zum ersten mal seit, lasstmichmalnachdenken, zum ersten Mal seit 1999! Der Herr Sufi ergab sich brummelnd in sein Schicksal.
Wir spazierten durch das (wohl wetterbedingt) recht menschenleere Södermalm, auf irgendeinem Plätzchen spielte eine mittelmäßige Band sehr tapfer gegen Wind und Wasser an. Mit ein bisschen mehr Zeit… Naja. Übrigens hat Stockholm auch eine Münchner Brauerei!
Mit dem traumatischen Erlebnis der Einkaufssituation auf der Reise durch den Götakanal im Hinterkopf wollte mein Reisebegleiter ganz dringend einen Supermarkt sehen, um die Verpflegungslage zu sichern. Zufällig fanden wir einen High-End ICA und füllten die Rucksäcke. Den Lucas begeisterten Frischwurst- und -Fischangebot, mich (primär sprachbedingt) vor allem die Mörsjödeli. Kann man sich auf der Zunge zergehen lassen, das Wort. Die Chips übrigens auch!
Mit den gefüllten Rucksäcken und der anhaltenden Feuchte von oben blieb der erste Blick nach Gamla Stan ein kurzer. Das Schloss war noch da.
Nach dem obligatorischen Tänzchen mit der Wache zogen wir auf der Västerlånggatan wieder Richtung Hotel, mit einer kleinen Jause im Süßigkeitengeschäft. Ich hielt mich an die “vita Bulle” (weißer Ball), ein Ding wie eine Schwedenbombe (Dickmanns), nur mit dicker weißer Schokoladenschicht außen und einem Marzipanboden zusätzlich zur Waffel. Mnjam. Der Sufi nahm Haselnüsse in dunkler Schokolade zum angeblich besten Espresso Italiens; schlecht war der tatsächlich nicht. (Fotos gibt es aus dieser Phase keine, da ich meine Kamera lieber sicher unter dem Regenschutz hatte).
Wir jausneten relativ fröhlich im Regen. Mit Zucker an den Fingern und zwischen den Zähnen schlenderten wir über Slussen zurück nach Södermalm. Dort gab es Fisch und ein malerisches Seemannsheim, aber wir zogen uns nassgeregnet, durstig und klobegierig in die Strömmen-Bar zurück.
Links von uns saß eine eine lautfröhliche Herrenrunde, die irgendetwas feierte, rechts von uns zwei mittelalte Damen, die – immer schön synchron – mehrfach ein Glas rot und ein Glas weiß bestellten, ohne Eile, einfach im Plaudern. Draußen am Meer fuhren die Schiffe vor sich hin, die großen Fähren, erst Silja, dann Viking, und die kleinen auch, zahlreicher und wendiger. Irgendein Kommissar in irgendeinem schwedischen Krimi hatte irgendwann genau in dieser Bar ermittelt, aber mir wollte nicht einfallen, wer und in welchem Buch. Egal. Ich fühlte mich angekommen.
Erst am Grunde des Glases fiel mir ein, dass wir ja immer noch kein schwedisches Geld hatten – aber auch hier kam der Kellner wie selbstverständlich mit dem Kartenlesegerät an den Tisch, als wir ihn zum Zahlen riefen. Das Zahlen von Klein(st)beträgen mit der Karte ist in Schweden viel üblicher als bei uns – Alltagserleichterung oder Big-Brother-Gefahr? Ich gestehe, das war mir in dem Moment wurscht.
Heimweg durch Götgatan und dann rechts ab Richtung Hostel, langsam wird die Geographie vertraut. Wir jausnen unsere eingekauften Schätze am Zimmer, dann noch ein bisschen unten im Lokal gesessen. Drinnen läuft ein Fernseher mit Olympia, irgendeine Mannschaft in blau-gelben Dressen hat irgendwas gewonnen. Allgemeines Wohlwollen. Ich rauche draußen im Regen unter dem großen Sonnenschirm, und aus dem Lautsprecher (Radio) kommt Öppna Landskap.
Das verstehe ich als ganz persönlichen Willkommensgruß an mich. Hej, Sverige!