Es ist gerade Pause auf der Veranstaltung, auf der ich bin. Die Blasmusik macht jegliche Unterhaltung unmöglich, außer man würde einander ins Ohr schreien, aber schreien mag ich nicht, schon gar nicht jemandem ins Ohr. Unter dem Tisch werfe ich einen Blick auf orf.at, und da steht: „Mikis Theodorakis gestorben„.
Mitten im sonnigwarmen südsteirischen Spätvormittag kriege ich eine Gänsehaut und muss ein bisschen blinzeln. Zugegeben, 96 ist kein Alter, in dem jemand überraschend stirbt. Trotzdem. Die Blasmusik verblasst und ich höre innerlich „Makria Poli Makria“, den ersten Song, den ich je von ihm gehört habe. Der hat mit einem schwarzen Ledersofa zu tun und mit dem Tag, an dem ich Backgammon spielen lernte. Mit Geborgenheit und mit Ernstgenommenwerden. Nicht in Griechenland, sondern in Schweden. 1978.
Wovon er da singt, weiß ich bis heute nicht. Obwohl ich extra dafür einmal griechisch lernen wollte. Die ganze Platte, „Theodorakis sjunger konsertens stora final„, hat mich so beeindruckt, dass ich mir nicht nur eine Kopie wünschte, sondern auch gleich den Kassettenrekorder dazu, denn ich hatte ja noch keinen. Wie ich dann auf der Fahrt von Stockholm nach Kopenhagen den ganzen Eisenbahnwaggon mit der Musik beglückte, bis die Batterien des (Mono)-Kassettenrekorders leer waren, habe ich irgendwo schon aufgeschrieben. Ich find’s nur grade nicht.
1987, am 12. August, zu einer Theateraufführung eingeladen, im alten Amphitheater in Epidauros. Agamemnon steht am Programm, mit Musik von Mikis Theodorakis. Es war ein seltsam erhebendes Erlebnis, Ich verstand nichts und doch gleichzeitig alles, als wäre ich leichtfertige Touristin und altehrwürdige Griechin gleichzeitig. In der Erinnerung will mir scheinen, dass der Meister damals auch anwesend war, sich zum Schluss mit den Schauspielern verbeugt hat, aber dazu sagt das Tagebuch nichts: In jugendlich-dümmlicher Selbstverliebtheit habe ich dort lieber meinen kleinen, lächerlichen Liebeskummer notiert. Vielleicht habe ich mir die meisterliche Verbeugung nur dazugedacht. (Die damaligen Umstände hätte ich wohl heute nicht näher googeln sollen, die Suche fördert weitere Verluste zutage. ).
1992 habe ich Theodorakis im Wiener Konzertsaal live erlebt. Ruhiger als auf den mir bekannten Platten; musikalischer vielleicht, ein Erlebnis, das wie nur wenige Konzerte nachwirkt. Immer wieder hatte mein Leben „Theodorakis-Momente“, solche, in denen die allererste Platte, die ich von ihm kannte, gehört werden musste. Sie passt zu glücklichen wie zu traurigen Momenten. Sie passt zu mir. Nicht, dass an den anderen Platten etwas falsch wäre. Auch Alexis-Sorbas-Momente gibt es im Leben immer einmal wieder. Auch sie sind gut, doch ganz so nahe sind sie nicht.
Irgendwann später seine Autobiographie gelesen und gestaunt, wie er seine Kreativität durch so viel Grausamkeit hindurch retten konnte.
Dann noch dieses kleine Mysterium, „le soleil et le temps“. Ferne Erinnerung eines Texts, ich kann nicht einmal sagen woher, Dahingehauchtes in einer erinnerten Audioaufnahme, eine Zusammenarbeit mit einem der guten alten Chansonniers, Moustaki vielleicht? Lange vergeblich gesucht, dann eines Tages gefunden. Doch auch der damals gefundene Link ist nicht mehr.
les villages fument les forêts les rizières
les mères ne fument pas
les soldats fument avant de dormir
dorment profondément jusqu’a deux siècles
moi je fume avant de mourir
toujours avant de mourir je fume
Maybe someday I’ll find it again. Die weitere Entwicklung des Tages verlangt jedenfalls nach diesem anderen Theodorakis-Moment. Das Original kennt eh jeder. Ich hab gerade eine Steigerung entdeckt.
Wenn schon alt werden, dann so.