28. Juni 2025

Menschliches und Tierisches (Bachmannpreis 2025/1)

Draußen fällt Regen, angenehm kühl, und drinnen knabbere ich an einem Haselnusseis. Zwei Tage der Klagenfurter Lesungen sind schon vorbei, dabei fühlt es sich an, als hätte es gerade erst angefangen. Unter der Dusche zwischen den Texten fallen mir viele dokumentarische und literarische Ideen ein, um heuer einmal anders darüber zu bloggen, aber in trockenem Zustand verlassen sie mich wieder. Daher mache ich einmal weiter wie gewohnt.

Donnerstag

Fatima Khan macht den Anfang mit „Madonna in den Trümmern„. Ein entfernter, gewalttätiger Vater, dessen Anerkennung die Ich-Erzählerin dennoch sucht, eine zerbrochene? gebrochene? Mutter. Sprachen, Fremdheit. Lyrik im Text.

„Deine Sprache, dein Satzbau, deine Schläge….“

Berührend und dabei auch noch sprachlich interessant. „Ist Köln schön?„, fragt sie auch, die Antwort scheint eher nein zu lauten. Mich irritiert das Kreuz, das sie am Hals trägt, aber das ist mein Problem.

Die Jurydiskussion ein hektischer Kontrast zu ihrem angenehm ruhigen,
aber intensiven Lesevortrag. Ich habe erstmal gar keine Lust, der Kritik zu folgen, aber dazu sind wir ja da (vor dem Fernseher). Kastbergers „zu sanft“ kann ich am ehesten Nachvollziehen. Dazu ein schönes schwyzerdütsches Wort gelernt von Laura de Weck: „pünktlischisserisch„.


Nefeli Kavouras: ZENTAUR
Ein langsam sterbender Ehemann/Vater, eine ratlose Ehefrau, eine halbwüchsige Tochter, aus den Perspektiven der beiden Letzteren. Ein ambivalenter Text, er thematisiert – wie die Jury später auch bemerken wird – das Banale an einem krankheitsbedingten Todesurteil und tut das streckenweise behutsam-empathisch, dann aber wieder oberflächlich und fast desinteressiert an den eigenen Worten. Das Ende ist ein Bruch mit allem, und ich suche im Netz nach der Bedeutung und literarischen Vorbildern von

befrage dann sogar ChatGPT dazu, kann aber nichts wirklich Passendes dazu finden.

Die Jury reagiert durchwegs wohlwollend.


Max Höfler verspricht mit seinem Videoportrait Interssantes. Der Text-Titel „LAMBADA TUTTO GAS“ macht mir hingegen literarische Sorgen. Sein Vortrag ist anstrengend, mein erster Eindruck – sicherlich gespeist aus meinen eigenen Erfahrungen von zu vielen Provinzveranstaltungen, auf denen zu viele Politiker banalen Unsinn reden – ist „Nonsense“, einzelne Formulierungen bringen mich aber dazu, den Text nachzulesen. Es lohnt sich für mich nicht, bleibt mir überkünstelt uninteressant, wenngleich ich einigen seiner Botschaften durchaus zustimme. Dafür aber Katzenbilder im Text. „Die kursiven Teile im Text wurden mit ChatGPT geschrieben“, behauptet der Text, und auf Bluesky (und später in der Jury) wird diskutiert, ob man dieser Ansage vertrauen kann (ich glaube eher nicht, nach Ansicht der Textstellen), und wie viel Prozent eines Texts KI sein dürfen, um in Klagenfurt teilzunehmen.

Die Jurydiskussion ist teils amüsanter als der Text; „ich mag die Vermischung von hohem Ton mit Sperma und Fäkalien“ (Sanyal), „Ich dachte eigentlich, am Ende gehen die Türen auf und es kommen 20 Leute rein in Pyjamas und mit blutenden Füßen“ (Strässle). Die meisten können dem Text wenig abgewinnen; Tingler nennt die Textform bedroht, beschwört das baldige Ende popkultureller Anspielungen und sagt, was er früher gesagt hätte, heute aber nicht sagen will. „In Österreich beginnt alles mit der Hölle“, erklärt Kastberger, versteigt sich weiter zu einer Erklärung, die mir literarischer scheint als der Text selbst, und endet auf „in Österreich kann man nur solche Texte schreiben“, was ich dann doch etwas übertrieben finde. Schwens-Harrant hört „eine Suada, die da über mich hereinstürzt“, und mehr hätte man zu dem Text im Grunde auch nicht sagen müssen.


Adlergestell“ heißt der Text von Laura Laabs. Dort war ich schon und habe sofort wieder ein inneres Gefühl zu diesem Teil von Berlin, was mich vorab für den Text einnimmt, aber er ist wirklich gut. Es ist eine Wendegeschichte aus erwachsengewordenener Kindersicht, ich folgte gern. Auf Bluesky kritisierte man den fröhlichen Vortragsstil, ich fand ihn aber ausgesprochen passend unpassend.

Über Nacht war der alte Konsum in den neuen Krieg des Konsums eingetreten, und wir waren seine Söldner.

Miniaturen, Biografien und feine Sprachperlen.

Hat es den Reichsadler am Ende gebraucht? Im Livestream dachte ich nein, einen Tag später denke ich: Doch. Die Jury wäre jedenfalls ohne ihn glücklicher gewesen.


Verena Stauffer beendet den ersten Lesetag mit „Die Jäger von Chitwan“. Der Text freut mich gar nicht. Tiere, Gewalt, Tod, sexuelle Belästigung, Konsumwahn, Jagd, Klima, alles wird angerissen, nichts wird vertieft. Dazu Fakt-Einsprengsel im Wikipedia-Stil. Noch weniger freut mich die Jurydiskussion, insbesondere Tingler, der als erste Wortmeldung die Frage stellt „Worum geht es eigentlich“, und dann auch noch persönlich wird. Mara Delius lobt die Tiere, die im Text vorkommen; ansonsten viel Ratlosigkeit, der ich mich ausnahmsweise anschließe. Um es mit Strässle zu sagen: „Ich weiß auch nicht“.


3-D-Umsetzung von 2 meiner Zuhör-Kritzeleien durch ChatGPT. Nach dem Setting im Park habe ich gefragt; wo der Dackel herkommt, weiß nur die KI.

Freitag

Mit Kaffee, Wassermelone und Joghurt fühle ich mich für den Lesetag gerüstet. Während des Rückblicks auf den ersten Tag male ich ein geschwungenes „B“ für Blick in mein Skizzenbuch, und schon erzählt im Videoportrait Natascha Gangl von kratzenden Augen. Das kann kein Zufall sein, ist aber natürlich einer. Ihr Text „DA STA“ hat mich sofort. Sprache, Wörter, Dialekt und slowenische Einsprengsel. Grenz- Erfahrungen.
Vergangenheiten, Geheimnisse. Es ist nicht nur nichts falsch an dem Text, es ist alles richtig. Ich bin nicht die einzige, die so empfindet, der Applaus im Studio ist der längste bisher. „Ich möchte jeden Tag mit so einem Text aufwachen“ notiere ich und empfehle das Video, der Text gewinnt immens durch den Vortrag.

Mara Delius lobt kurz, auch Strässle ist ein Fan und würde gerne ein Seminar über diesen Text machen. Kastberger gibt historischen Kontext und erzählt eine Geschichte nicht. Auf dem T- Shirt trägt er heute Cevapcici. „Sprachspielerei“ fällt als Begriff, dieser wird aber sofort kritisiert. Schwens-Harrant (hat eingeladen) nennt die Sprachspielerei „ein sehr ernstes Spiel“. Als ob ein Spiel etwas schlechtes wäre, denke ich. Kastberger liefert lokal-historischen Kontext. Dann scharmützelt die Jury wieder einmal unpassend auf persönlicher Ebene.

Natascha Gangl kriegt für diesen wunderbaren Text nicht nur den Bachmannpreis, sondern auch den Publikumspreis. Beides verdient!


Sophie Sumburane erzählt in „Sickergrubenblau“ von einer Vergewaltigung mit KO-Tropfen und den Gefühlen, Reaktionen, Problemen danach. Die Hauptfigur hat jämmerlich miese Freundinnen, die das alles relativieren oder leugnen, denke ich beim Zuhören, muss aber auf Bluesky lernen, dass diese Reaktionen als leider glaubwürdig wahrgenommen werden. Offenbar habe ich diesbezüglich Glück gehabt in meinem Leben, denke ich.

Der Text selbst ist aus meiner Sicht qualitativ zweigeteilt, gut gemacht und in sich schlüssig, wenn die Hauptfigur denkt, fühlt oder handelt, hölzern und unbeholfen, wenn Gespräche oder sonstige Interaktionen mit anderen ins Spiel kommen.

Schwens-Harraut mahnt dazu, Inhalt und Sprachkritik zu trennen, das fände ich auch wichtig, scheint aber schwierig, besonders auf den Social Channels.


Josefine Rieks Text „Dinner, Freitagabend“ finde ich in höchstem Maß verzichtbar. Satire, ok, aber weder lustig noch bissig, und sprachlich völlig uninteressant.

Kastberger spricht von einem „Zero Literature Text“. Das kann man so stehenlassen.


Es folgt Thomas Bissinger mit „Nilpferd„, der mich im Videoportrait schon einmal erfreut:

Dass der Text ein historischer ist, dessen Protagonist*innen real existiert haben, erfahre ich erst aus der Jurydiskussion. Im Text hänge ich den ins Surreale tendierenden Sprachbildern nach, die Anleihen aus dem Niederländischen nehmen, und einem Wolken-Nilpferd, das sich als roter Faden durch die Geschichte zieht. Ich muss an das unerwartete Pferd von gestern denken.

Es ist ein guter Anfang, erst einmal wahnsinnig zu werden.

Stehe dem Text ambivalent gegenüber, habe aber großen Respekt vor dem Vortragsstil, dessen spürbare Dramatik sich im Schlussatz auch intellektuell eröffnet:

Galja atmet, atmet, atmet, am Rand des Atems atmet 

Die Jury sagt weitgehend Erwartbares.


Den Tag beschließt Kay Matter mit „Doppelzweier Leichtgewicht“. Der Protagonist, der da im Ruderclub unbedingt „dazugehören“ will, war offenbar früher eine Frau. Was streckenweise durchaus interessant ist, aber zum einen tu ich mir schwer mit Texten, die sich mit einem Nischenjargon schmücken (Ruderclub mit vielen Fachwörtern), zum anderen bekomme ich durch die Sache mit dem Alter (er ist, errechnet, 27, wird aber gefragt, ob er überhaupt schon 18 ist) ein Logikproblem, das mich in Folge mehr beschäftigt als der Text selbst. Ich meine, es würde doch wohl jemand in den Ausweis schauen, wenn man als Sportler in einer U19-Mannschaft mitmacht? Dabei finde ich, der Text hätte diesen Bruch überhaupt nicht gebraucht; er hat schöne Bilder, Momente, Gefühle.

Die Jury drückt sich in geradezu komischer Art und Weise davor, die Dinge beim Namen zu nennen.


The Socials

Ich genieße diesen Bachmannpreis weniger vernetzt als in den letzten Jahren; ein Grund dafür ist die Diaspora der ehemaligen Twitteria, ein anderer der sogar in der Literaturbubble ungut scharf gewordene Ton. Es scheint, alles wären alle Texte entweder so großartig, dass man kein kritisches Wort darüber verlieren darf, oder so unsagbar, dass man automatisch ein schlechter Mensch wird, wenn man den Text mag.

Und dann bekam ich gleich am ersten Tag eine bitterböse DM auf einen eher harmlosen Tröt;

„Du hast unrecht! Das sind Profis!!!“ hieß es da. Zum anderen fand ich mich heute in einer Interaktion, wo mir unklar war, ob Ironie oder Todernst im Spiel war, da hatte ich auch wieder gleich keine Lust mehr. Nicht alles war früher besser, aber „gemeinsam im Netz Bachmannpreis schauen“ war früher definitiv besser.

Splitter

Dennoch natürlich kleine Juwelen, die es sich zu sammeln lohnt.

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