Weiß auch nicht, warum mir der Song gerade jetzt einfällt – und mit dem Song eine Geschichte, natürlich:
Wie wir damals nach Griechenland gefahren sind, mit dem Zug. Bevor es Krieg gab in Jugoslawien: 40 Stunden laut Fahrplan, in Wirklichkeit eher 44 oder 46; Kurswagen nach Athen an der Garnitur nach Istanbul, ab Graz Hauptbahnhof täglich um 20:40 Uhr – von Mai bis September. Jedes Mal, wenn ich in der Nähe des Bahnhofs war um diese Uhrzeit, bin ich hingegangen um diesen Zug abfahren zu sehen. Heimlich. Niemand hätte mich dafür nicht ausgelacht.
Aber irgendwann war es soweit, hatte ich die 1100 teuren Schilling für das Zugticket zusammengspart, hatte ich einen Rucksack geborgt und meine Sachen gepackt. Und stieg ein. Zum zweiten Mal; im Jahr davor war ich mit 2 Freunden gefahren und statt 2 Wochen 7 Wochen geblieben. Etwas ähnliches hatte ich auch beim zweiten Mal vor. Ich weiß noch, wie ich am Bahnhof saß. Es war kalt, viel zu kalt für August. Ich hatte eine pinkfarbene Trainingshose an (hej, es waren die 80er!), extra gekauft, und ein weißes T-Shirt unter der Jeansjacke, und ich fror entsetzlich.
Der Bahnsteig war voll, der Waggon, der aus Wien kam auch – aber ich hatte Glück. Alle Sitzplätze im Wagen reserviert, aber der Typ, dessen Name auf meinem Sessel stand, tauchte nicht auf. Draußen am Gang standen sie, ohne Aussicht auf Veränderung, für die nächsten 40 Stunden. Alle wollten nach Athen.
Wir waren noch nicht mal an der jugoslawischen Grenze, als einer im Abteil eine Flasche mit billigem Fusel fallen ließ. Es stank entsetzlich. Länger als für den Klogang oder die Zigarette draußen am Gang aufzustehen hätte aber bedeutet, den Sitzplatz aufzugeben – und selber für die nächsten 40 Stunden zu stehen.
Ich blieb also sitzen und wurde langsam benommen vom Fuselgas. Störte mich auch nicht sehr. Dann, draußen im Gang, eine Gitarre. Es war der “Sheriff”, ein Typ den ich flüchtig vom Sehen kannte, mit einem Freund. Offenbar kannten sie nur den einen Song. Sie haben ihn ungefähr tausend Mal gespielt, bis runter nach Athen. Am nächsten Tag, spätestens in Belgrad, sangen alle mit, auch die, denen die Schrammelei furchtbar auf die Nerven ging. Vielleicht gerade die.
Dazwischen eine Nacht in einem dieser wunderbaren alten Abteile, in deren Gepäckfach man herrlich schlafen konnte. Am begehrtesten war der Platz über der Tür, dort gab es nicht einmal schmerzende Gitterstäbe unter der Hüfte. Auf dieser Fahrt hatte ich genau den erwischt. Er war etwas kürzer als die anderen, aber wenn man gewohnheitshalber mit angezogenen Beinen schläft, war das kein Argument.
Während ich da oben und zwei weitere in den Überkopf-Gepäckfächern schnarchten, hätten sich unten die restlichen 3 sehr gemütlich ausstrecken können – hätten sich nicht vom Gang die anderen reingedrängt, die auch mal liegen wollten. Irgendwann bei einem Klogang zählte ich 11 Leute im Abteil. Die Schaffner hatten längst resigniert.
Ich erwachte davon, dass das Lied schon wieder anfing. Ein beunruhigend brandiger Geruch erwies sich nach mehrfachem Augenblinzeln als Gaskocher, der den halben Waggon mit frischem Kakao versorgte. Ich hoffte, der Lokführer würde nicht unangekündigt bremsen.
Mitten in der zweiten Nacht die griechische Grenze. Am ersten griechischen Bahnhof wollten alle raus. Griechischer Kaffee, Tiropita und Kakao. Man versorgte sich, kaufte die Stände leer. Noch ein halber Tag bis nach Athen.
Der zog sich. Es war sehr heiß, und dafür war ich sehr dankbar. Die griechische Lok, die man an der Grenze vorgespannt hatte, war noch nicht elektronisch mit den Waggons verbunden. Man konnte die Waggontür öffnen und draußen auf den Stufen sitzen. Der Fahrtwind war wunderbar. Und man hörte die Wahnsinnigen nicht mehr singen. Wenn der Zug etwas langsamer fuhr, hörte man stattdessen die Grillen zirpen. Und dass die trockenen Sommerwiesen hier ganz anders rochen als die nassen zu Hause, stellte ich beglückt fest.
Irgendwann, dann, doch: Athen. Das Licht weiß ich noch, den Staub; die Hitze und die zufriedene Sicherheit, weil ich an all den Zimmervermittlern abwinkend vorbeigehen konnte. Ich wusste ja schon, wo ich hinwollte. Vom Vorjahr noch.
Ich glaube, ich war glücklich. Damals. Irgendwie.
(Gezeilt liest sich das so, übrigens.)