Ich bin bestimmt kein Feind der ÖBB, ganz im Gegenteil, ich verteidige sie regelmäßig im Freundeskreis. Meistens pünktlich, moderne Wagen, überdurchschnittlich häufig sogar richtig freundliches Personal – unsere Bundesbahn, als überzeugte Vielfahrerin kann ich das sagen, ist deutlich besser als ihr Ruf.
Nur eines quält mich in zunehmendem Maße, und das ist für jemand, der regelmäßig weite Strecken fährt, leider kein unwesentliches Detail: Ich rede vom Essen unterwegs. Vieles ist besser geworden für die Reisenden, seit ich Ende der siebziger Jahre meine ersten Langstreckenfahrten auf Schiene unternommen habe – zu vieles, um hier mit einer Aufzählung auch nur anzufangen – aber die Kulinarik an Bord hat leider ganz deutlich den umgekehrten Weg genommen. Das fängt schon bei der Vielfalt des Angebots an.
Damals, die Älteren unter uns werden sich erinnern, hatte jeder Zug, der weiter fuhr als ein paar Kuhdörfer lang, einen Speisewagen. Und an den Bahnknotenpunkten, auch und besonders an jenen, die außer ihres Bahnknotenpunktdaseins kaum etwas vorzuweisen hatten, gab es am Bahnhof einen Buffet-Wagen, der außen an den haltenden Zügen entlang fuhr und Standards wie Würstchen, Wurstsemmeln und Obst sowie sehr häufig auch lokale Spezialitäten durchs Fenster verkaufte. Die ebenfalls üblichen Ausflüge zum nächsten Greißlergeschäft fallen heute schon allein wegen der verkürzten Steh-Zeiten aus, aber das kann man durchaus unter “positiv” verbuchen.
Inzwischen wurden mehr und mehr Speisewagen durch das “mobile Bordservice” ersetzt. Gemütliches Abendessen auf dem Weg von Salzburg nach Wien? Fehlanzeige. Lunch auf dem Weg aus der Hauptstadt nach Graz? Nur wenn man bereit ist, vorverpackte Sandwiches als Lunch zu bezeichnen. Wann die seinerzeit allzeit bereiten fahrenden Würstelstände von den Bahnsteigen verschwunden sind, kann ich nicht genau sagen, aber sie fehlen. Sehr.
Denn schlimmer als die verringerte Auswahl ist die Qualität der verbliebenen. Natürlich, ein Fernzug ist kein Haubenlokal, das war er nie, das ist auch nicht sein Sinn. Aber zwischen Haubenlokal und “irgendetwas in den Mund stopfen, um die Leere im Bauch zu füllen” gibt es viele Abstufungen, und das kulinarische Angebot der ÖBB liegt zurzeit knapp unter der untersten.
Ein hungriger Blick auf die Karte des mobilen Bordservice lässt dem ausgeliefert Reisenden die Wahl zwischen Käsesandwich, Schinkensandwich, Kartoffelchips und diversen Schokoriegeln. Nichts gegen ein gutes Sandwich. Doch die (ungekühlte) Vitrine enthüllt, dass es sich um die monatelang haltbaren Doppelbrötchen im Dreiecksplastik handelt, bei deren Anblick sich der gute alte Earl of Sandwich, würde er noch leben, aus Sorge um seinen guten Namen umgehend erschießen müsste. Über den Rest will ich gar nicht reden; wenn ich Hunger habe, dann hab ich keine Lust zu naschen.
Mit solchen Erfahrungen im Reisegepäck freut man sich natürlich über das Vorhandensein eines Speisewagens. Neulich, auf dem Weg nach Bregenz, war einer dabei. Kurz nach Innsbruck machte ich mich auf den Weg zu einem Abendessen. Die Speisekarte war bunt und verlockend, und ich entschied mich für ein “Saftiges Rindsgulasch”. Gulasch im Speisewagen ist so etwas wie eine persönliche Tradition. Vor vielen Jahren hatte ich einen Studienkollegen, der sein Auto wochenends stehenließ, um mit dem Zug nach Graz zu fahren und im Speisewagen ein Gulasch zu essen – das Gulasch im Speisewagen, fand er, wäre das beste überhaupt. Ich habe mich ihm oft genug angeschlossen, um mich genau zu erinnern: Das Gulasch war ein Gulasch. Zugegeben, ich habe seither bessere gegessen. Schlechtere aber auch.
Das Gulasch, das mich vor wenigen Wochen über den Arlberg begleitete, war keins. Der Saft unterschied sich von einer schlecht gesalzenen Einbrenn nur in der Farbe. Das Fleisch war trocken, zäh und geschmacklos. Die Nockerln… ach was, zu einem richtigen Gulasch hätte ohnehin eine Semmel gehört.
Als wohlwollender Mensch war ich bereit, einen einmaligen Ausrutscher zu vergessen. Also versuchte ich es auf der Rückfahrt noch einmal. Das Gulasch wollte ich lieber vergessen als wieder bestellen. Der Tafelspitz war, nach kaum einem Drittel der Reisedistanz, ausverkauft. Das “Zarte Hühnerbrustschnitzel” bot sich an. Der Teller, der mir serviert wurde, war durchaus hübsch anzusehen. Das Leid begann mit dem ersten Bissen Fleisch, eine sinnliche Erfahrung, zu der mir partout nichts Originelleres einfallen will als der abgeschmackte Vergleich mit einer Schuhsohle. Das viel zu weich gekochte Gemüse war ordentlich gesalzen, ein Ausgleich zum trocken-bröselig geschmacklosen “Wildreis”.
Eine andere Fahrt, frühmorgens. Die Reisende freut sich auf ein Frühstück im Speisewagen. Doch leider: Von einst gängigen Speisewagen-Attraktionen wie Spiegelei und Ham-and-Eggs ist nichts mehr zu entdecken. Von den drei in der Karte angebotenen Frühstücks-Varianten gibt es auch nur Semmerln mit Marmelade, die “Zutaten” für die anderen wurden nicht rechtzeitig geliefert. Letzteres mag ein Einzelfall sein, der Kaffee dagegen ist eine Katastrophe. Ich erinnere mich an Zeiten, wo man bei Salzburg noch schnell einen Kaffee bestellt hat, bevor die Deutschen die Agenden übernommen haben. Heute gibt’s hier wie da Sabberwasser, das vielleicht irgendwann einer Kaffeebohne begegnet ist. Vielleicht aber auch nicht.
Diese Erfahrungen stellen mich irgendwie doch vor ein Rätsel. Wie schaffen es die Betreiber der ÖBB-Speisewagen, mit all den Fortschritten im Bereich von Convenience-Food, Mikrowellenherden und Frischhaltetechnik, dass das Essen deutlich schlechter ist als vor 20 Jahren? Die einzig plausible Erklärung ist, es ist ihnen “wurscht”: Wer erst einmal im Zug sitzt, der hat eh keine Alternative mehr.
Dass es auch besser geht, zeigen Erfahrungen mit kroatischen und ungarischen Speisewagen. Liebe ÖBB, strengt’s euch bitte ein bissl mehr an. Sonst mache ich es auf künftigen Reisen so wie meine Großeltern seinerzeit und nehm mir mein Mittagessen in Alufolie mit.
Update Ende 2012
Die heute vermehrt eingesetzten Railjets können es zum Glück wieder etwas besser. Aber es bleibt noch Raum nach oben!