21. Oktober 2024

Kartoffeln auf der Flucht?

Die erste verlorene Kartoffel, die mir begegnete, lag auf dem Überlandweg zwischen Nüssen. „Nussbäume säumen die Straße, darunter reife Nüsse. Dazwischen unvermittelt eine einzelne rohe Kartoffel“, notierte ich im Audio-Journal, ohne es später in den Blogeintrag zu übernehmen, weil es dann halt doch nicht so interessant war. Im Gedächtnis blieb sie mir trotzdem, die einzelne rohe Kartoffel. Sie war nicht erdig, wie frisch geerntet von einem Traktor gefallen, sondern sauber wie aus einem Supermarktnetz, und wirkte daher etwas deplaziert.

Dennoch hätte ich sie wahrscheinlich schnell wieder vergessen, wäre mir nicht ein paar Tage später eine zweite rohe Kartoffel aufgefallen. Sie lag, alleine und roh, zwischen den parkenden Autos in einer Nebenstraße. Diese rohe Kartoffel ließ sich natürlich leicht erklären, denn beim Ausladen von Einkäufen aus dem Auto kann schon einmal eine davonkullern. Kein Thema.

Die dritte verdächtige Kartoffel fand ich gestern im Wald. Oben im Naturschutzgebiet, wo es für die Masse an Besuchern eigentlich immer erstaunlich sauber ist. Außer verschämten Pipi-Abwischtüchern hinter Gebüschen sieht man selten Weggeworfenes oder Verlorenes, eine einzige zerdrückte Coladose kam mir gestern unter, sie lag nicht am Boden, sondern war in Augenhöhe zwischen zwei Ästchen geklemmt, als hätte sich jemand über den Müll beschweren wollen.

Aber dann diese Kartoffel. Sie lag auf einer kleinen laubfreien Graslichtung, sauber, sonnenbeschienen und scheinbar völlig unschuldig. Mein Kopf war zu dem Zeitpunkt damit beschäftigt, den richtigen unter den vielen Trampelpfaden zu finden, also den, der zum Teich führt; und als mir die Kartoffelsache bewusst wurde, war ich schon ein gutes Stück weiter bergab. Ich drehte um, um ein Foto zu machen, doch ich fand die Stelle nicht mehr. Zu viele Trampelpfade, zu viele Abzweigungen, zu viele sonnenbeschienene Grasfleckerln. Hatte ich die Kartoffel imaginiert? Oder war sie gar geflüchtet?

Ich musste an Tom Robbins denken, „Skinny Legs And All“ (Deutsch: Salomes siebter Schleier), vielleicht waren die Kartoffeln ja auf dem Weg nach Jerusalem oder an einen anderen magischen Ort, so wie die Socke, der Löffel und die Dose Bohnen in dem Roman? Oder habe ich einen neuen Tiktok- oder Instagram-Trend verpasst, der mit rohen Kartoffeln zu tun hat?

Kartoffelschicksale imaginierend stapfte ich weiter durch den Wald. Das nicht gemachte Foto war als Erinnerung dennoch festgehalten, je nach Begleitgedanken strahlte die sonnenbeschienene Kartoffel ganz unterschiedliche Signale aus.

„Einmal ist kein Mal, zwei Mal ist Zufall, drei Mal ist ein Muster“, holte mein Hirn aus irgendeiner inneren Sprüchekiste hervor, aber in dem Fall muss es wohl doch auch beim dritten Mal ein Zufall gewesen sein, dachte ich, weil… was sonst?

Als ich heute Vormittag aus dem Haus ging, weil der Joghurtvorrat zu Ende gegangen war, blieb ich stehen wie von einer fliegenden Kartoffel getroffen. Da lag schon wieder eine. Fast direkt vor meiner Haustür. Nicht ganz so sauber und unversehrt wie die bisherigen drei, aber doch fast.

Sie kommen also näher. Ich bleibe wachsam.

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