Hochwald und Fremdstadt

3. September 2002

Riesige Pilze. Im Wald. Ich meine, wirklich riesig. Kniehoch. Und höher. Alle Arten und Sorten, aber E. will nur Steinpilze. Na gut, dann suchen wir weiter.

Mich würde wirklich interessieren, wo diese Stadt ist, eine Grossstadt hingeschmiegt an den Talhang, die Sonne brennt heiß und grell auf die weißen Gebäude, Kopfsteinpflaster, die umliegenden Hochwälder dagegen sind kühl und feucht.

In der Stadt kommt mein Kind um bei mir zu wohnen, ich komme um bei meiner Mutter zu wohnen, changierende Persönlichkeiten je nach Bedarf. Die Wohnung liegt ganz oben in einer Wolkenkratzerburg, ist riesig & hat einen Ausblick über das ganze Tal. Herrlich. Ein richtiger Saal in der Mitte, an den sich im Halbrund Zimmer anschließen, die andere halbe Seite ist offen, mit großen, hohen Fenstern, die man sommers einfach ausbaut. So lebt man im Offenen.

Du kannst dir ein Zimmer aussuchen sage ich zu meinem Kind sagt meine Mutter zu mir, aber wir haben es nicht eilig, genießen Sonne und Ausblick in der orientalischen Sofalandschaft im großen Saal, die Katze spielt Staubkörnerfangen, dann machen wir Kaffee in der ebenfalls riesig hohen Küche, alte Einrichtung, moderne Geräte.

Mein Großvater/Vater kommt vorbei und ist sehr enttäuscht, dass das Kind zu mir gekommen ist und nicht zu ihm. Er will nicht mal einen Kaffee. Stattdessen will er Stauraum für die Überseekoffer seiner Cousine, sind ja genug Zimmer hier. Aber wir wollen hier keine Stauraumzimmer, wir wollen nette Leute, die hier wohnen. Beleidigt zieht er ab.

Wir, erleichtert, gehen über eine Wendeltreppe aufs Dach, wo wir samt Kaffee in der Sonne braten. Das Telefon klingelt. Es ist E., entsetzt. Die Pilze sind schon schulterhoch. Wo soll denn das noch hinführen? Das ist der Wald, sagen wir, wir wussten doch, dass mit diesem Wald etwas nicht stimmt. Das ist die Strahlung, sagen wir, wir haben uns gleich gedacht, dass sie das Atomkraftwerk trotzdem gebaut haben. Das ist normal, sagen wir, nach so einem Regen. Alles, um nur nicht von diesem Dach runtersteigen zu müssen. Wir laden E. zu uns ein, sie kommt, sehr erleichtert, mit Sack und Pack. Richtig unheimlich ist ihr in diesem Wald, sagt sie.

Ah, sagt unser Vater/Grossvater, das ist ja wieder typisch, die Funzn darf hier wohnen, aber ein paar Koffer stören euch, hätt ich mir ja gleich denken können. Wir ignorieren ihn und machen uns auf die Suche nach der Uni.

Die Pilze, doziert der Professor, die Pilze sind ein Zeichen der Umweltverschmutzung. Und wir dachten immer, Pilze würden nur in besonders sauberer Umgebung gedeihen. Sehen Sie, doziert er weiter und läßt von seinem Assistenten ein Prachtexemplar auf einem Einkaufswagen hereinführen, es ist übermannshoch und ausladend wie ein Sonnenschirm, sehen Sie! Er fährt mit der Hand über die Unterseite der Kappe, zeigt uns die Hand: Völlig dreckverschmiert!

Wir dagegen sehen eine saubere Hand, vielleicht liegt es daran, dass wir in der letzten Reihe sitzen, die Sonnenstrahlen auf den Pulten sind auch viel interessanter als dieser Professor, der jetzt erzählt, dass ganze Mannschaften unterwegs sind, um die Pilze umzuschneiden, sonst könnte es gefährlich werden: Wenn so ein Pilz umknickt, kann er einen erschlagen! Außerdem könnte man sich verirren!

Er läßt den Pilz wieder hinausbringen. In der Kantine, meine Damen und Herren, gibt es übrigens nachher Pilzsuppe. Nein danke, wir essen lieber zu Hause.

Unterwegs findet uns ein Hund, ein brauner, freundlicher Mischling, der uns sofort adoptiert. Hoffentlich verträgt er sich mit der Katze, aber das war eine überflüssige Sorge, die beiden fressen sofort aus dem selben Napf. Langsam wird es richtig heimelig hier, sage ich zu meinem Kind sagt meine Mutter zu mir. Dann donnern ein paar Jumbos über uns hinweg, im Radio haben sie gesagt, sie haben Sonderflüge eingeschoben, weil alle kommen & Pilze sammeln wollen. Zu schade, dass der Wald mittlerweile gesperrt ist. Aber so kommt die Wirtschaft dieser abgelegenen Gegend auch einmal in Schwung. Noch ein Jumbo, der ist besonders tief und…

…der ist echt und weckt mich auf.

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