In einer Schlafpause um halb 5 Uhr früh Just Kids von Patti Smith angelesen, liebe ohnehin alles von der Frau, aber dieses lässt sich besonders nah an. Dafür dann bis fast 11 Uhr geschlafen, warum nicht, ist ja Sonntag. Dehalb auch gleich eine Runde frühstücksgestrickt, vorm offenen Fenster, ein sonniges Vergnügen, das morgen schon wieder vorbei sein soll.
Ich widme mich kurz dem überfüllten Posteingang, doch das Wetter lockt zu sehr. Die Idee ist, die Industriegebiete zwischen 10.und 12. zu erwandern, weil alle Ausflugsziele heute sicher überlaufen sind, aber die Füße haben wieder einmal ihren eigenen Willen und begnügen sich mit dem 12. Im Kopf habe ich Schreibereien, eine möglicherweise vergnügliche Menage a trois, die vielleicht sogar in den Krimi ohne Namen einfließen könnte, an dem ich jetzt wieder fast täglich bastle. Passend dazu finde ich knapp außerhalb des Gürtels den ersten Fotoblick.
Habe den Weg gut gewählt, es gibt kaum andere Spaziergänger. Nur jenseits der Bahn, rund um den Bahnhof Meidling wird es etwas dichter. Vor der U-Bahnstation spielt einer auf dem Saxophon „Never Gonna Dance Again„, gar nicht schlecht, aber ich kann mich noch immer nicht daran gewöhnen, dass die Straßenmusiker von heute den Rest der Band in a (Lautsprecher-)Box dabei haben.
In der nächsten Quergasse ist es wieder ruhiger. Die Sonne strahlt so sehr, dass ich bereue, keine Sonnencreme aufgetragen zu haben. Zu warm angezogen bin ich auch. Und sogar die Füße beschweren sich, nicht über die Schritte, sondern über die warmen Übergangsschuhe. Der Wind ist lebhaft, oder vielleicht eher unruhig, und erzählt von fernen Küsten und endlosen Ebenen, oder vielleicht hört sich das nur für mich so an.
Irgendwie ist mein Blick für Wohnhauskunst geschärft, merke ich.
Aber Frühlingsnatur hat natürlich auch was.
Dann noch ein seltsames Deja Vu, dieses dunkle Haus mit dem einen und einzigen Fenster habe ich schon einmal fotografiert, das weiß ich. Damals war der Platz davor aber noch nicht sportplatzumzäunt und ließ einen besseren Foto-Winkel zu, der den Baum und seinen Schatten in einen besseren Kontext zum Ganzen brachte. Ich finde das alte Foto aber nicht in den Archiven, wie würde man so eines auch suchen?
Wähle den Rückweg durch eine oft begangene Straße, in der Hoffnung auf einen Kaffee. Hier mischen sich slawische und türkische Sprachen aus Fenstern und in Handys gesprochen, bassige BMWs fahren vorbei, aus denen Musik wie aus einem Aquarium klingt. Sehr lebendig, alles, aber ohne jemandem zu nahe zu kommen. Kaffee finde ich trotzdem keinen. Den nehme ich dann diesseits des Gürtels am Siebenbrunnenplatz. Zu meinem Cappuccino rauche ich eine Zigarette auf einem schnellentschlossen für mich eroberten sonnigen Betonklotz, sicherlich (hoffentlich) 50m vom Kaffeekaufpunkt entfernt (wobei, gilt die Regel überhaupt noch?). Der Wind hat noch zugelegt, die Tauben fliegen in hektischen Manövern, von denen man nicht weiß, ob sie miteinander oder gegeneinander ausgeführt werden. Das alles erinnert mich an meinen Geburtstag im September, als ich mit lieben Menschen auch hier gesessen bin, bei ähnlichem Wind, unter ebenso aufgeregten Tauben, nur halt in einem Lokal mit Bedienung statt mit Pappbecher auf einem Betonklotz. Jetzt kriecht sogar die Kühle von damals herein, ich ziehe die Jacke wieder an, dann kommt auch noch ein vierstrahliger Flieger auf dem Weg nach Schwechat vorbei, wie damals auch. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, wieder einmal, denke ich, entsorge den Pappbecher und latsche heim.
Ein plötzlicher Hunger lässt das Kochen viel zu langwierig erscheinen, es gibt stattdessen Lamm-Souvlaki an die Tür geliefert. Ein spontaner Videocall lässt mich darüber nachdenken, warum das videocallen noch immer nicht so entspannt ist, wie sich gegenüberzusitzen, diese ganzen seltsamen Gedanken müssten doch die gleichen sein: Wie schau ich drein? Wie schau ich aus? Hab ich mich jetzt schon wieder am Kopf gekratzt? Hab ich echt schon ein Doppelkinn? – Vielleicht liegt es daran, dass man sich beim videocallen ja auch selber sieht, mal sehen ob es besser ist, wenn man das abdreht.
Wollte heute eigentlich ein neues Strickstück anfangen, aber plötzlich ist es schon halb elf, da kann man doch gleich am (schönen, aber) mittlerweile stricktechnisch doch eher langweiligen Schal weiterstricken.