1. Januar 2018

Heim. Weg?

Die Stadt blinzelt dasig ins neue Jahr, und auf meiner Schulter sitzt Antigone. Die Häuser farblos, das Gras im Park schmutzig grün. Vereinzelte Spaziergänger, verloren, verwirrt, bis auf die Mütter mit den Kinderwägen. Sie plappern weich und sinnlos wie gewohnt.

Antigone grinst vergnügt, denn sie hat mich um den Lachs gebracht. Sie ist ein leichtes Mädchen, diese Neinsager wiegen nicht schwer. Stattdessen pflanzen sie steinerne Tränen ins Sonnengeflecht. Die tun so als wären sie allein, doch vernetzen sich heimlich mit der kaltgrauen Leere der Stadt.

Relikte der Nacht liegen herum, erzählen von buntwarmen Explosionen, von Lichtern und von Schatten, die sich niemals in den Alltag trauen. Mag sein, dass es Verdrängung ist, die uns über Wasser hält; und doch: Dieser Graben zwischen Bild und Selbstbild, überbrückt einen kostbaren Moment lang von einem halb geträumten Dreimaster aus Rauch und Rausch. Meisterwerk ohne Rahmen, Album ohne Bild. Erinnert an das, was wir immer bleiben wollten. Und nun nicht mehr sind.

Wenn du geredet hättest, Antigone! Aber ich weiß, dein Schweigen ist nur ein Echo der längst geschlossenen Tür. Worte würden abprallen. Wie Tischtennisbälle. Ein Geräusch wie ein trockenes Lachen, das den Weg zum Ungesagten für immer versperrt.

Stattdessen stöhnt die drehende Litfasssäule ein endloses Klagelied in die Menschenleere. Sorglos quere ich die vier Fahrspuren des Gürtels, schräg, ohne ein feindliches Blech in Sicht. Auch die Luft ist kein Feind, sie ist nicht kalt. Nicht warm. Indifferent. Antigone braucht nichts mehr zu sagen, ich gehe von selbst an all den Cafes vorbei. Wir bleiben. Allein.

Nur ein zaghafter Duft von Sesambrot durchbricht die standhafte Reihe verschlossener Geschäftsfassaden, den trage ich mit mir heim. Antigone lässt es zu, sie ist für heute zufrieden. Ich fange mein Spiegelbild ein, verstaubt zwischen Dackel und Samowar.

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte und wiegt dabei noch weniger als Antigone. Es fällt erstaunlich leicht, das alles in den vierten Stock zu tragen.

Antigone ist endlich eingeschlafen. Aber die Worte, die ungesagten, ungehörten: Die tanzen den Walzer, den ich nicht spielen will.

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