Weil sie immer im Kopf ist, seit etlichen Tagen, weil ich sie noch nie erzählt habe und wahrscheinlich auch nie erzählen werde; weil sie mir viel zu nahe geht, um sie ganz zu erzählen, deshalb: erzähle ich sie jetzt halb. Diese Geschichte.
Es war in den frühen 90er jahren, als ich noch glaubte, die Welt hätte auf eine wie mich gewartet (hier fehlt ein Satzzeichen, das emotionell irgendwo zwischen Doppelpunkt und Bindestrich liegt) auf eine wie mich, die Dinge erkennen und verbinden kann, die letztgültig unterscheiden kann zwischen dem, was künstlerisch wertvoll ist und dem, das nur momentan besteht; ja, das war vor dem Internet und vor der subjektiven Erkenntnis, dass alles relativ ist (objektiv hatte ich das natürlich schon lange gewusst); ich spreche, um es unverdient kurz zu machen, von jenen Tagen, in denen die Welt noch groß und Unwissenheit noch irgendwie charmant war: Und auch ich war eine andere damals, obwohl ich dieselben Gitarren geliebt habe, die ich auch heute noch liebe.
Einer wollte mir damals ein Lied schenken, ohne Worte, eigentlich eine Melodie: Die hatte mit vielem zu tun, aber vor allem damit. Und dann, bevor ich das Geschenk in Empfang nehmen konnte, war da ein anderer, der die Stimme dazu hatte, ohne Worte; in einer endlosen Annäherung.
Und, wie das halt so passiert unter befreundeten Künstlern (oder solchen, die sich dafür halten), drückte mir der eine, der damals noch alle war, diese Kassette in die Hand: “Hör mal”, sagte er, “eigentlich wollte ich dir diese Melodie zum Geburtstag schenken. Aber ich wollte sie dir nicht ohne Worte schenken, und Worte sind mir nicht eingefallen. Aber […] hat eine Stimm-Melodie dazu. Und ich glaube, du hast die Worte zu seiner Stimme.”
Ich habe die Kassette eingesteckt und bin damit heimgegangen, damals, in meine WG im 8. Bezirk. Und habe die Kassette eingelegt und den Kopfhörer angesteckt, es war schon sehr spät. Und dann habe ich die Nacht damit verbracht, der Stimme Worte zu geben; Worte, die schon da waren in der Skizze, aber nur angedeutet und nicht ausgesprochen; ich habe die Nacht über gehört und den Tag über geschlafen, und ich habe versucht, die Worte zu schreiben, die in der Stimme waren, die den Track entführt hatte auf eine ganz andere Ebene, und dann wieder ein Tag, den ich verschlafen, eine Nacht, die ich durchgearbeitet habe.
Ich bin der Stimme sehr nahe gekommen in diesen Nächten; näher, als die Stimme jemals wissen wird; das ist ein Problem, vielleicht, heute noch; Eine unausgesprochene Nähe, die nicht Liebe ist, wie mir meine Umwelt einen gefährlichen Augenblick lang einreden wollte, aber doch mehr als die offensichtliche Bekanntschaft, /ungesagt/, dem will ich nicht nachspüren, auch heute noch nicht, und deshalb wird die Geschichte auch nicht ganz.
Viele Tage später sind wir im Studio gesessen, haben den Song ganz gemacht; zumindest den: 3 Menschen, die – jeder von einer ganz anderen Seite – ihr Bestes gegeben haben, vor den Augen der Zeit, ganz egal, wie die späteren Jahre dazu stehen.
Und irgendwo gibt es ein Video von jenen Tagen; irgendwo gibt es auch den fertigen Song, den habe ich aber nicht. Was ich habe, ist die Kassette von der Stimme, die keine Worte hatte. Aber nicht einmal die kann ich weitergeben, weil ich sie nicht mehr abspielen kann: Der letzte Kassettenrekorder, der einen Ausgang hatte, ist auch schon ein paar Jahre her. Nur hören kann ich sie noch. Ab und zu.