Um 6:15 geht die Welt unter. Könnte man meinen. Es sind dann aber doch nur die Arbeiter, die über mir auf dem Dachboden „den Kamin abschleifen“, wie sie mir auf Nachfrage mitteilen. Wozu auch immer das gut sein soll. An Schlaf ist jedenfalls nicht mehr zu denken, an Arbeit aber auch nicht bei dem Lärm. Genau genommen kann ich so nicht einmal ans Denken denken.
Ich will mir eine Zigarette drehen, bis ich fähig bin zu entscheiden, ob ich mir einen Kaffee machen soll, oder ob doch noch irgendwie Hoffnung auf ein Stündchen Schlaf besteht. Zwei Mal hintereinander nur knappe fünf Stunden, das macht mich dumm, und eigentlich sollte ich heute ein bisschen intelligent sein. Die letzten paar Tabakbrösel fallen mir aber runter, als mich ein besonders heftiges Gepolter von oben erschreckt. Wenn ich mich jetzt ins Bett lege, gibt das Alpträume von einstürzenden Decken und Arbeitern, die dann mit gebrochenen Beinen samt ihrem Hammer in meinem Schlaf-Wohnzimmer liegen. Das muss nun auch nicht sein, besonders nachdem ich vorher ohnehin schon einen Wasserschaden geträumt habe, der ein Telefonat mit meiner Großmutter nötig gemacht hätte, vor dem ich mich im Traum drückte, während ich dem Wasser dabei zusah, wie es die Wände hinunterlief. Ein Doppel-Alptraum sozusagen, der reicht bis zum nächsten Vollmond.
Ich werfe mich in Jean und nächstbestes T-Shirt und trabe unfrisiert die vier Stockwerke nach unten. Tabak kaufen. Dem Trafikanten haben sie in der Nacht den Automaten aufgebrochen, und er hat eine sehr detaillierte Phantasie, wie die Zigarettenräuber an Altautomaten üben, um das Verbrechen selbst dann möglichst schnell und unauffällig abzuwickeln. Das sind viel zu viele Worte in meinen Ohren um diese verdammte Uhrzeit. Kann er das nicht in ein Blog schreiben? Ich würd’s sogar liken.
Während ich versuche, ohne grobe Unhöflichkeit zu entkommen, habe ich eine Vision: Ein Urlaubsfrühstück! Ich könnt mir Mozzarella und ein Semmerl kaufen, mir beim Anker einen afrikanischen Kaffee (Togo!) holen und mich dann damit in den Park setzen. Lärmfrei frühstücken, Hunden beim Schnüffeln zuschauen, ein halbes oder vielleicht sogar dreiviertel Stündchen im Grünen, bevor mein heute nicht benötigter Wecker klingelt und es Zeit wird für die Arbeit.
Der Traum von einem besseren Montagmorgen endet vor der Geschäftstür. Die sperren nämlich erst um 7:40 auf. Letztes Mal, als ich so früh unterwegs war, war’s noch um 7, und das wär’s ja jetzt in 5 Minuten. Aber 7:40? Und was ist das überhaupt für eine deppert ungerade Uhrzeit zum Aufsperren?
Na gut, egal, dann halt nur Kaffee. Auf dem Weg zur hoffentlich rettenden Quelle komme ich am Park vorbei, wo Mitarbeiter des Gartenamts gerade unter sanftmorgendlichen Flüchen Rasenmäher und Heckenscheren von einem Pritschenwagen abladen. Das mit „im ruhigen Grünen sitzen“ ist also auch abgehakt. Macht nix. Trink ich meinen Kaffee halt im Schanigarten.
Meinen Cappuccino immerhin erhalte ich ohne weitere Schwierigkeiten und unter Austausch nur der allernotwendigsten Wörter. Im Spiegel hinter der Theke stelle ich fest, dass mein verknittertes Gesicht perfekt zu meinem Gefühl passt, und dass meiner Frisur zum „spätberufenen Punk“ nur ein bisschen Farbe fehlt. Egal. Kaffee.
Ich trage mein Tablett nach draußen, wo beide Tische von je einem Kaffeetrinker besetzt sind, und frage den mit der Zigarettenschachtel am Tisch, ob ich mich dazusetzen darf. Nach leichten Sprachschwierigkeiten darf ich. Wunderbar, er spricht kein Deutsch. Höfliches Geplauder hätte mich jetzt vollends weltentfremdet.
Nach dem ersten Schluck vom belebenden Koffein-Nektar drehe ich mir eine Zigarette aus dem frischen Tabak und stelle dabei fest, dass ich morgenblind genau das T-Shirt angezogen habe, das beim Waschen die Spuren meiner neuesten Acryl-Mal-Orgie nicht verloren hat. Blau, Gelb und Weiß sind die chaotischen Flecken und Striche, die meinem abgefuckten Äußeren den letzten Schliff verleihen. Angesichts dessen, und die Erinnerung an mein Spiegelgesicht noch frisch im Kopf, wundern mich die verunsicherten Seitenblicke nicht, die mein Tischnachbar immer wieder rüberwirft. Aber was macht das schon, der Kaffee duftet, die Zigarette rauchkringelt in meinen Fingern, und so wird auch dieser Tag gebändigt werden, denke ich, während ich mit der zweiten Hand in der Tasche nach dem Handy wühle, um einen frühen Weltrundblick zu werfen. Und dann, bevor ich noch den ersten Like verteilen kann, tönt aus dem Haus gegenüber das kraftvolle Röhren eines betonhungrigen Presslufthammers. Jetzt hilft auch nix mehr. Ich bleibe beinhart sitzen, bis mein Wecker klingelt. Der Kaffee schmeckt immerhin, auch wenn der Schaum obendrauf leicht pressluftzittert.
Auf dem Heimweg nehm ich noch den Mozzarella mit. Und das Semmerl. Wenn schon kein Schlaf, dann wenigstens ein ungewohntes Frühstück. Ich mache Kaffee und schmiere das Semmerl und kümmere mich dann frühstückend um meine diversen Mailfächer. Die wären zwar erst nachmittags dran, bieten aber gute Gelegenheit zum Denkwachwerden. Auf dem Dachboden poltert es nach wie vor, doch presslufthammergestählt zucke ich kaum noch zusammen.
Um 9:45 klopft es an der Tür. Es ist ein DHL-Mensch, der mir ein Paket für einen angeblichen Nachbarn aufdrängen will, dessen Namen ich noch nie im Leben gehört habe. Während ich dem Boten zu erklären versuche, dass ich Fremdpakete nur dann annehme, wenn ich weiß, wem ich sie weitergeben kann, kommen die Arbeiter vom Dachboden. „Wir sind dann fertig, Wiederschaun!“ der eine, „Schenen Tog no!“ der andere.
Ja.
Danke, ebenfalls.