Gut bestiefelte Nomaden

13. Februar 2023

Ich sitze auf einem Bahnsteig und stricke, oder nein: Zuerst stelle ich komplizierte Berechnungen an, wie viele Maschen ich denn für den Ärmel anschlagen muss. Es sind 48. Während ich anschlage, wird es dunkel. Der Bahnhof hat den Charme der alten Zeit, kein Glas, nur ein einziges Cafe, vor dem eine düstere Lampe brennt. Ich habe neue Schuhe an, schwarze knöchelhohe Schnürstiefel. Ein Zug kommt, aber es ist nicht meiner, es ist ein alter, verwitterter Roter Blitz, der irgendwie ins Museum soll. Eine Blasmusikkapelle spielt einen Marsch. Neben mir liest jemand eine Zeitung, und ich sehe, dass es diese Schuhe jetzt als „nimm 2 Paar, zahle 1“-Angebot gibt. Ich schnüre dieselben Schuhe in dunkelgrau und in cremeweiss. Eigentlich wollte ich die schwarzen zurückgeben, aber „Drei sind besser als zwei“ sagt L, der unerwartet am Bahnsteig aufgetaucht ist. Andererseits bräuchte ich nur die cremeweissen, denke ich, und steige in den Zug, der gerade eingefahren ist. Im Zug sind fast nur Schüler*innen. Alle haben die gleichen Schuhe an wie ich, in unterschiedlichen Farben. Ich suche das Abteil, das ich reserviert habe, eine Wohnmobilsuite auf Schienen. „Der Waggon wird erst am nächsten Bahnhof angehängt“, sagt die Schaffnerin. „Wir setzen uns derweil aufs Dach“ schlägt L. vor. „Viel zu kalt“ sage ich, draußen hat es zu schneien begonnen. Die Schaffnerin kommt zurück, sie hat sich geirrt, der Waggon ist doch schon da, am Ende des Zuges. Wir klettern über Taschen und Fahrräder. Die Wohnabteile sind geräumiger als vermutet, zudem kann man die Türen dazwischen öffnen, auch C. und H. sind schon eingezogen. „Wie lange fahren wir?“ fragt C. „Keine Ahnung“, sage ich, „ich wohne hier.“

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