27. Februar 2022

Grätzlfrühling – trotz allem

Ausgezeichnet geschlafen. Als die digitale Morgenrunde die Kriegsrealität enthüllt, schäme ich mich fast dafür. Vormittags erledigt, was eigentlich für Freitag geplant war. Immer wieder seltsam, um wie viel leichter mir die Arbeit außerhalb der regulären Arbeitszeiten fällt:

MO-FR 9-18 Uhr: „Muss das sein? – I mooog ned!“
Nach 18 Uhr, wochenends und feiertags: „Ja, das mach ich jetzt gleich, ok das auch noch, passt, war noch was?“

Wenn ich einmal entschlüsseln könnte, warum das so ist, wär ich wohl auch einen Schritt weiter. Andererseits kenn ich mich lange und gut genug, um damit umzugehen.

Um 14 Uhr jedenfalls zufrieden mit dem digitalen Tagwerk. Die Sonne scheint, und der Schrittzähler hat 98 Prozent Akku. Beste Voraussetzungen. Der Wienerbergteich lockt, seltsamerweise, schon wieder. Früher war immer wichtig, jedes Mal woanders zu wandern. Jetzt will ich immer zum gleichen Teich.

Oben ist es in der Sonne frühlingswarm, aber um die nächstgelegene Ecke bläst immer gleich ein eisiger Wind. In der Freak-Ecke hat einer ein Blumenbeet angelegt, mit bunten Primeln. Mit der Schaufel noch in der Hand betrachtet er sein Werk. Ein anderer sinniert: „Ich tät ja da was anderes anpflanzen!“, ein Dritter; „Na, des wachst woanders.“ – Ja, wo? Ich frage nicht nach.

Vorne, auf der Sonnenwiese, eröffnen zwei Sportradler die Badesaison. Das finde nicht nur ich sehr verwegen. Auf den schmalen Wegen abseits der Wanderhauptstrasse balzen Enten, aber nicht nur die. Irgendwoher tönt Goa-Musik; es riecht intensiv nach Nag-Champa Räucherstäbchen. An der eingezäunten Wasserstelle sitzen zwei sehr alte Hippies, der eine erklärt recht überzeugt, dass alle Politiker immer nur den eigenen Vorteil im Sinn haben, und dass wir ganz ohne die Politik definitiv besser dran wären. Das will mir auch nicht so ganz einleuchten, aber auch hier frage ich nicht nach.

Das Wetter lädt dazu ein, die kleinen Wege seitlich der Spazierautobahn zu erkunden. Die meisten enden in einem feuchten Klima, das ich meinen Schuhen nicht zumuten will. Dennoch. Anblicke. Vögel. Erste Knospen.

Aus dem Schilf dringen seltsame Geräusche, ich nehme mir vor, mich im Lauf des Jahres näher mit den Vogelstimmmen zu beschäftigen. Als ich fast um den Teich herum bin, piepst mein Handy Breaking News: Putin habe die Atomwaffen-Truppe in erhöhte Bereitschaft versetzt, heißt es da. Die völlige Absurdität dieser Nachricht bringt mich kurz aus dem Gleichgewicht – er wird doch nicht, das wäre völlig absurd! – Andererseits, ein Angriffskrieg auf europäischem Boden war vor ein paar Tagen auch noch völlig absurd.

Heimgekehrt habe ich Hunger, aber keine Lust zu kochen. Der gebunkerte Schopfbraten muss warten, ich bereite mir ein kaltes Jauserl mit Ei, Käse, Tomaten und wunderbarem Bäckerbrot. Dann gewinnt Liverpool den britischen Cup gegen Chelsea im Elferschießen, bitte, wann gab es zuletzt ein Elferschießen, in dem die ersten 20 Schüsse im Tor waren? Sehr genial.

Danach kehrt mit den Nachrichten und den Sonntagabendsdiskussionen der Krieg ins Bewusstsein zurück. Godfuckingdammit. Reissts euch ein bissl zsamm, Nation Leaders! Wir sollten doch schon deutlich weiter sein.

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