Frost, Schokolade und schwedische Seifenoper

3. Januar 2016

„Bewegung!“ steht auf meiner ToDolist. Das ist kein Neujahrsvorsatz, das steht da seit eineinhalb Jahren an jedem Sonntag.Um ehrlich zu sein, könnte es genau so gut nicht dastehen, denn an ungefähr vier von fünf Sonntagen bewege ich mich sowieso, und an den anderen bringt mich so ein läppischer Eintrag auch nicht dazu (wie ich überhaupt die unter „privat“ stehenden Todolist-Einträge seit jeher mehr als Vorschlag verstehe statt als Imperativ. Wahrscheinlich sollte ich „Wohnung putzen“ in die berufliche Kategorie verschieben). Heute wäre der typische fünfte Sonntag gewesen, denn -5 Grad Außentemperatur sind ein verdammt guter Grund, um den ganzen Tag mit meinen Bücherfreunden auf der Couch zu verbringen. Dummerweise schüttete ich aber den Nachmittagstee über mein Zigarettenpapier statt in meinen Mund. Ein Ausflug zur sonntagsgeöffneten Trafik war unvermeidbar.

Draußen war es frostig, und zwar windig-frostig. So sehr, dass ich bedauerte, zur arktis-geeigneten Daunenjacke nicht auch noch einen Schal mit zu haben. Wofür um alles in der Welt habe ich die denn gestrickt? Noch mehr allerdings froren meine Beine, dort wo die Daunenjacke aufhört. Lange Unterhosen, das wär’s gewesen! Sehnsüchtig blickte ich auf die vorbeiziehenden Straßenbahnen, aber an der Haltestelle herumstehen, bis eine stehenbleibt, wäre ja noch frostiger gewesen. Vor Kälte leise grummelnd erreichte ich den Karlsplatz. Mit dem nötigen Raucherzubehör versorgt und einen frischen Lottoschein in der Tasche (wenn ich schon mal da bin…) hätte ich wieder heimgehen können, aber der Körper wollte nicht gleich wieder ins Kalte hinaus. Ich beschloss, die ebenfalls frierenden Finger mit einem warmen Becherchen zu bestechen, und betrat das benachbarte Starbucks-Lokal. Die Honey-Almond-Schokolade ist tatsächlich ziemlich köstlich, schön schokoladig und nicht zu süß. Ein Schuss Rum würde ihr guttun, dachte ich, aber es schmeckte auch so.

Finger und Beine tauten langsam wieder auf, und ich war schon fast bereit, mich dem eisigen Heimweg zu stellen, als eine schwedische Familie das Lokal betrat, Tochter, Mutter und Großmutter, wie sich aus dem Gespräch bald herausstellte. Für Skandinavier redeten sie ziemlich viel, nämlich eigentlich pausenlos. Während die Tochter, so um die 12, alle naselang fragte, ob sie denn nach dem ersten Muffin noch einen zweiten Muffin haben könnte, ohne darauf eine Antwort zu bekommen, waren Mutter und Großmutter sehr konzentriert dabei, einander auf die Nerven zu gehen – in ruhigem Tonfall, aber inhaltlich ätzend. Die Mutter, wohl so gegen Ende 30, sportlich und dennoch irgendwie verknittert, beschwerte sich darüber, dass die Großmutter immer so langweiliges Zeugs wie Museen und Theater besuchen wollte, wo man doch eigentlich in den Bergen viel mehr Spass haben könnte. Die Großmutter, die 60 gut überschritten, mit untadelig gewelltem bläulich-weißem Haar, fand es rücksichtslos, ihren Nachmittagskaffee im Starbucks trinken zu müssen, wenn man doch endlich in einer Stadt wäre, in deren Kaffeehäusern man noch rauchen könnte. Sie gingen dabei nicht im geringsten aufeinander ein, es war mehr ein gezieltes aneinander vorbeireden, im sicheren Bewusstsein, dass ringsherum ohnehin niemand ein Wort verstünde. (shit happens…)

Schließlich verkündete die Großmutter, sie würde jetzt gern gehen, um eine zu rauchen, worauf die Mutter meinte, sie solle sich nicht so haben, abends beim widerlichen Onkel Charlie* könnte sie ohnehin rauchen, so viel sie wolle. „Das reicht jetzt“ verkündete die Großmutter, erstmals die Stimme erhebend, und sprach dann wieder völlig ruhig weiter: „Hör auf, den Charlie zu beleidigen, ohne ihn wärst du gar nicht hier.“

Die Stille am Nebentisch war greifbar, eine halbe Minute lang vielleicht, bis ein glockenhelles Stimmchen fragte: „Mama, kann ich jetzt noch den Heidelbeermuffin…?“

Ich beeilte mich hinaus, denn länger konnte ich das Kichern nicht mehr unterdrücken. Von innen und außen gut erwärmt, konnte mich der Heimweg auch nicht mehr schrecken. Obwohl man es wettertechnisch durchaus bedenklich finden könnte, dass die Eisbären in der Stadt sind.

*Name von der Redaktion geändert

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