Flight 19

4. Januar 2006

Inspired by: Klick auf “Zufallsartikel” in der Wikipedia, der im Bermudadreieck endete.

Es muss 1978 oder 1979 gewesen sein, als ich ausgerechnet zu Weihnachten mit meiner damals verlässlich alljährlich wiederkehrenden Winter-Bronchitis im Bett lag. Das Christkind (einen Weihnachtsmann hatten wir damals noch nicht) hatte mich reich beschenkt, es gab, glaube ich, einen Renn-Bob, neue Schihosen, etliches Lego-Zeugs (es mag aber zu der Zeit auch schon Playmobil gewesen sein), eine neue Barbiepuppe und vermutlich noch alles mögliche Kleinzeugs, an das ich mich längst nicht mehr erinnere – aber dummerweise nicht alle Bücher, die ich mir gewünscht hatte. Das war deshalb dumm, weil ich ab einer Körpertemperatur von 37° strengste Bettruhe einzuhalten hatte. Täte ich das nicht, kämen Lungenentzündung, Zusammenbruch und Herzfehler. Meinte meine Großmutter. Dass das nicht notwendigerweise stimmt, weiß ich mittlerweile mit Sicherheit. Egal.

Das einzige Buch unter dem damaligen Weihnachtsbaum war jedenfalls Das Bermudadreieck von Charles Berlitz, das ich im Donaulandkatalog mit dem roten Stift als “wünsche ich mir am meisten” angestrichen hatte (“wünsche ich mir sehr” war der grüne Stift, und “hätte ich auch ganz gern” war der blaue). Leider las ich damals schon sehr schnell, und da die Tage vergingen, ohne dass das Fieber zurückgehen wollte, las ich es 3 oder 4 Mal. Jedenfalls so oft, bis selbst ich es wirklich nicht noch einmal lesen wollte.

Dann lag es da am Tisch, und die Geschichten irrlichterten durch meine Träume. Die Geisterschiffe, die verschwundenen Flugzeuge. Die UFOs und die Männer in Schwarz. Aber am allermeisten faszinierte mich von Anfang an die Geschichte von Flight 19. Ich nahm also das Buch doch noch einmal zur Hand – und dazu einen Block. Bastelte eine Geschichte, die sich streng an die berlitzschen “Fakten” hielt, aber in Aufbau und Szenenfolge eine Spur mehr nach “Fernsehen” klang. Zumindest nach Fernsehen, wie ich es mir damals vorstellte. Dann nahm ich meinen Kassettenrekorder zur Hand und versuchte, es als Hörspiel vorzulesen.

Den Kassettenrekorder hatte ich übrigens ein halbes Jahr zuvor in Schweden von meinem Vater als Sommerschlussgeschenk bekommen. Mitsamt der Kopie eines Mikis-Theodorakis-Konzertes, das genaugenommen der Grund war, warum ich unbedingt einen Kassettenrekorder haben wollte. Mein Vater stürmte den Mitarbeitershop von Philips – für den Konzern arbeitete er damals – und kaufte möglicherweise das beste, möglicherweise das preisgünstigste, oder möglicherweise auch nur das nächstbeste Modell. Das Gerät war Mono, aber klanglich in Ordnung. Es hatte, wenn ich so zurückdenke, eigentlich auch “alle Anschlüsse”. Nicht, dass ich damals irgendetwas damit anzufangen gewusst hätte. Und ein eingebautes Mikro mit Aussteuerungsanzeige. – Die Theodorakis-Kassette habe ich auf dem Heimweg von Schweden nach Österreich im Zug gehört, bis die Batterien leer waren. Ich kann mir vorstellen, dass diverse Mitreisende sehr erleichtert waren, als sie endlich leer waren. Das war übrigens auch das Jahr, in dem ich Backgammon spielen lernte. Aber jetzt bin ich wirklich sehr abgeschweift.

Ich begann also, die Geschichte von “Flight 19” mitsamt den aufgezeichneten ungekürzten Funksprüchen auf eine mühsam ergatterte Leerkassette zu sprechen. Hätte es damals schon das Internet gegeben, dann wäre das mein erster Podcast gewesen. Ich war aber nicht recht zufrieden mit den ersten Ergebnissen und nutzte die einkaufstechnisch erforderliche Abwesenheit meiner Großmutter, um eine Plastikflasche mit Reis sowie eine große Schüssel mit Wasser zu füllen. Mit deren Hilfe und mit heftigen ins Mikro geblasenenen Sturmböen konnte ich die imaginierte Geräuschkulisse ganz gut simulieren. Vor meiner eigenen Stimme auf Band hatte ich längst keine Angst mehr – mein Großvater hatte seit dem Nikolausgedicht in meinem vierten Lebensjahr so ungefähr alles aufgezeichnet, was ich bei offiziellen Anlässen von mir gab, und die Ergebnisse erbarmungslos bei jeder Gelegenheit abgespielt, was ich damals nicht so recht zu schätzen wusste, denn mein unterschwellig sadistischer Großvater genoss es am meisten, einem versammelten Publikum ausgerechnet die Aufnahme vorzuspielen, bei der ich in Tränen ausgebrochen war, weil ich den Text vergessen hatte.

Egal. Jedenfalls verbrachte ich einen ganzen Tag damit, dieses Hörspiel auf Kassette zu bannen, bis ich irgendwann – weit nach meiner Schlafenszeit – halbwegs zufrieden war. Tatsächlich grenzte das Resultat an genial – was leider nicht so ganz mein Verdienst war. Vielmehr hatten die Batterien des Rekorders während dieses langen Tages zu schwächeln begonnen – und das Band damit zu leiern. Und genau dieses Leiern machte die Funksprüche erschreckend authentisch – und überzeugte meine Mutter davon, dass ich dereinst die Schauspielerinnenkarriere machen würde, die ihr selbst versagt geblieben war.

Habe ich natürlich nicht, aber das war ja auch nicht meine Absicht.

Die damalige Kassette ist mittlerweile längst verloren – und abgesehen von eventuellem historischem Interesse ist es auch nicht schade drum. Das Tonband, auf dem ich ob des vergessenen Textes in Tränen ausbreche, das müsste es noch irgendwo geben.

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