„Wir brauchen wieder mehr Reportagen“, hatte kürzlich der Herr Chefredakteur befunden, und auch weil sich in meinem Fotoordner 2021 bislang kaum Gegenden finden, war mir der Wunsch Befehl. Frisch getestet und mit fabriksneuer FFP2-Maske machte ich mich also auf den Weg.
Das Wetter spielte April und warf mal ein paar Schneeflocken, mal erstaunlich warme Sonnenstrahlen in den Ring. Ich vergaß für einen Moment die Herausforderungen der neuen Zeit und kaufte mir eine Jause für den Zug. (Tatsächlich dürfte man ja im Zug die Maske abnehmen, um zu jausnen, aber das scheint mir etwas kontraproduktiv. Ich ließ es also.)
Wie das Nomaden-Leben so spielt, treten Probleme mit den Öffis immer dann auf, wenn man auf mehrere Anschlussverbindungen angewiesen ist. Ein Polizeieinsatz auf der Südbahnstrecke und die dadurch erforderliche Umleitung über Grammatneusiedl würde dem Railjet eine Verspätung von 10 Minuten bescheren, drei Minuten mehr als ich zum Umsteigen hatte. Der Zugbegleiter winkte ab, als ich ihn fragte, ob der Anschluss warten würde. Ich fand Alternativen, kommunizierte die an den Termin und hatte dann am völlig verlassenen Bahnsteig in Neustadt reichlich Zeit, um zu jausnen, auch wenn der waagrecht Regen das etwas ungemütlich machte.
Verblüffenderweise fuhr dann der in Scotty als „ausgefallen“ angezeigte Alternativ-Anschlusszug doch, und ich stieg erstmals in der Föhrenwaldgegend aus, von der ich seit 35 Jahren denke, dass man dort einmal aussteigen und spazierengehen sollte. Leider blieb zum spazieren keine Zeit, der Termin hatte kurzentschlossen beschlossen, mir die Busfahrt zu ersparen und mich abzuholen. In der Bahnunterfahrt begrüßte mich ein … Hutschpferd?
Ein wirklich angenehmes Gespräch und eine Handvoll Fotos später hatte ich auf dem Weg zurück zum Bus erstmals Zeit, einen Blick in die Gegend zu werfen. Es war trotz der Ansammlung von Häusern eine recht einsame Gegend.
Kaum stand ich an der Bushaltestelle, blieb ein Traktorfahrer stehen. Was ich denn da mache? Auf den Bus warten, sagte ich. Er tippte mit der Hand an den Hut und fuhr weiter. Der Eindruck, dass Fremde hier Seltenheitswert haben, verstärkte sich, als ein vorbeirollerndes Kind sich alle paar Meter immer wieder nach mir umdrehte. Schließlich erschien noch eine Katze, laut miauend, verweigerte aber Streicheleinheiten und umkreiste mich stattdessen mehrmals knapp außerhalb meiner Handreichweite, bevor sie durch eine Lücke im Holzzaun wieder verschwand.
Der Bus kam, gemessen an der Abgelegenheit der Gegend, verblüffend pünktlich. Leer bis auf die junge Fahrerin. Das eigene Alter merkt man vielleicht auch daran, dass man sich innerlich fragt, ob der Mensch am Steuer wirklich schon alt genug für einen Führerschein sein kann, geschweige denn für einen Busführerschein. Sie aber fuhr entspannt souverän und ließ nur einmal ein sanftmütiges slawisches Fluchen hören, als der deutlich schmälere Golf vor uns angesichts einer Straßen-Engstelle in erschrockenes Schritttempo verfiel. Ich blieb bis zur Umsteigestelle einziger Fahrgast.
Halb aufgeregte Telefonate von Omas und Youngstern rund um mich im Regionalzug waren überflüssig, in Wiener Neustadt herrschte wieder Zugverkehr as usual. Bei der Einfahrt Wien noch einen Blick auf bald völlig vergangene Wienwelten erhascht.
Am Nebengleis steht der ICE aus Hamburg Altona. Das klingt, stelle ich überrascht fest, jetzt wieder genau so weitweg sehnsuchtserregend wie einst in der Kindheit. Hamburg Altona. Vielleicht fahr ich irgendwann doch noch hin.