2. Juli 2023

Ein hastiger Bachmannpreis

Donnerstag hätte ich gar nicht zuschauen sollen, der Arbeit wegen (hab ich dann aber doch), Freitag liefen Texte und Diskussionen halb an mir vorbei wegen Packen und Organisieren, Freitagabend und Samstag war ich auf einem wunderbaren Fest und habe es gar nicht geschafft, die Samstags-Texte noch vor der Preisverleihung zu hören. Auch jetzt sollte ich schon wieder dieses und jenes, aber hier trotzdem ein kurzes persönliches Fazit, weil ich weiß, wie sehr es mich ärgert, wenn in meiner persönlichen Bachmann-Chronik ein Jahr fehlt.

Eröffnung

Eine angejazzte Band spielte beschauliche Zwischenmelodien, das Fernsehen stellte sich und den Bewerb vor, Politiker*innen hielten mehr oder weniger påtscherte Reden, als Drumherum-Thema zeichnete sich schnell die KI ab. So weit so normal. Aber dann kam Tanja Maljartschuk. Die Bachmannpreisträgerin 2018 ließ Literatur und Krieg aufeinandertreffen, dazu den alten auf den neuen Krieg, und ließ diese abstrakten Begriffe persönlich werden, auf eine beklemmende Art und Weise, die der Hoffnungslosigkeit nichts entgegensetzte als einen Schlusssatz von Ingeborg Bachmann, über dessen Hoffnungsgehalt man durchaus auch streiten kann. (Die berührende Rede zur Literatur zum Nachlesen | Nachhören)

Donnerstag

Den Anfang der heurigen Lesungen machte Jayrome C. Robinet. Ich hatte keine Freude an seinem Vortragsstil, dafür umso mehr an seinem Text „Sonne in Scherben“. Eine Familiengeschichte aus der Sicht des Ich-Erzählers, der Trans-Mann ist. Das hätte plakativ schiefgehen können, geht aber wunderbar auf. Zudem findet man in der Geschichte gelbe Hühner, die Zitronen legen, und geschmacklosen Mozzarella als roten Faden. Gott als guten Verlierer. Möwen weinen, anstatt zu lachen. „Dr. Papa“. Viele weitere wunderbare Bilder. Ich versteh nur nicht, wieso Angèle vor Gericht steht, oder erfährt man das erst im Roman?
Mara Delius: sachte schwebende Sprache, schwebende Lyrik
Strässle (heuer neu): plastische Miniaturen aus der Kindheit
Wilke: Der Text traut dem Leser viel zu (fand ich nicht, aber das spricht auch nicht gegen den Text)
Kastberger: Bachmannpreis ist eine Package (Video / Performance / Text). Ein guter Text soll (…) die Welt heilen.
Sanyal (heuer neu) erschreckte mich erst einmal mit ihrem Bewertungskriterium, ob ein Text einen zum Weinen bringt, sagte aber dann viel Kluges.

Als nächster war Andreas Stichman dran. Ein Wiederleser, 2012 schon dabei. Sein Text, „Verwechslungen“, langweilte mich diesmal außerordentlich.

So sehr, dass ich gar keine Lust auf die Jury-Diskussion hatte. Insa Wilke zog eine Parallele zu Homer Simpson. Kastberger hatte sich offenbar genauso gelangweilt wie ich, aber „schalten Sie trotzdem auch morgen wieder ein, es kommen bessere Texte“ fand ich dann für einen Juror doch deutlich zu böse.

Mit Valeria Gordeev wurde es sehr sauber. Ihr Text „Er putzt“, der sich präzise dem Säubern von ungefähr allem widmete, löste in mir erst einmal „wassolldasdenn?“-Gefühle aus, entwickelte dann aber rasch einen Sog, der mich gerne immer weiter zuhören ließ. Bachmann-Premiere: In ihrer Text-Kopie fehlt eine Seite. Der Moderator reicht ihr sein Exemplar.

Den Abschluss des ersten Tages macht Anna Gien. Ein tagebuchartiges Sich-Verlieren und der Versuch des Wieder-Zusammensetzens, trieft aber vor (jugendlichem?) Selbstbedeutungs-Pathos. Thomas Bernhard als Traum-Schwarm, ein toter Welpe, der dann doch überlebt und eine Jury, die ungefähr so ratlos ist wie die Community. Im Endeffekt glaube ich, es geht um den Versuch, Liebeskummer literarisch zu überhöhen, aber gelungen ist weder das, noch eine eventuelle Psychiatrie-Ebene. Allerdings:

Freitag

Sophie Klieeisen wagt sich in „Taube Früchte“ in die Berliner Kultur-Society. Der Text geht ziemlich an mir vorüber. Diese „Greta“, um die sich alles schart, kann einerseits kein Zufall sein, wird einem aber andererseits auch nicht präsent. Tingler meint in der Jury-Diskussion, es handele sich um den Teufel, ein nettes Bild mit durchaus schlüssigen Ansätzen, aber ohne richtigen Abschluss. In mir bildet sich ein „oje, der Bachmannpreis interessiert mich auch nicht mehr so richtig“-Gefühl.

Martin Piekar to the rescue! Er liest seinen Mutter-Sohn Text „Mit Wänden sprechen/Pole sind schwierige Volk“ mit Metal-Gebrüll, das es zwar nicht gebraucht hätte, das aber trotzdem zum Inhalt beiträgt. Die Mutter, die mit den Wänden spricht, und der Sohn, der nicht hören will, sind autobiographischer als ich dachte, erfahre ich später. Insa Wilke findet „ein Requiem der ungewohnten Art“, Strässle sieht in den Wiederholungen „das Mühsame, das Quälende in einer Beziehung“.

Jacinta Nandi nimmt mich auch sehr gut mit. Ihr Text „Wenn ich eine Zeitmaschine hätte“ über koksende Mütter, Wirsing und eine Beziehung, die ganz bestimmt keine Gewaltbeziehung ist, hätte vielleicht von einem ruhigeren Vortrag profitiert (ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas jemals sagen würde), wird aber von der Jury sehr zu unrecht in die Comedy-Ecke geschoben. Zudem verliert man sich in eine Aufzählung von Brotsorten. Kastberger fordert mehr Humor von der Jury, Tingler wirft ihm Verständnislosigkeit vor.

Anna Felnhofer dämpft meine gestiegene Bachmannbegeisterung wieder etwas. Ihren Text „Fische fangen“ kann man zwar nur „brilliant“ nennen, aber er ist auf eine Art und Weise brilliant, die monomanisch auf Klagenfurt bezogen ist, es fehlt aus meiner Sicht jegliche emotionale Ebene. Gewalt und Gesichtsblindheit, das Aufgehen des Opfers in der Gemeinmachung mit den Tätern. Die Jury aber ist begeistert, was auch sonst.

Samstag

Yevgeniy Breyger liest „Die Lust auf Zeit“, ein interessant vieldeutiger Titel, dessen Auflösung ich im Text nicht finde. Ein Vater, der nach einem Schlaganfall im Krankenhaus liegt, ein Sohn, der sich viel Zeit nimmt ,(davor drückt) die Tür zum Krankenzimmer zu öffnen. Es wird viel geschwitzt, was aber angeblich gesund ist. Dieses Warten, im Krankenhaus, gut erfasst. Geschichte und Geschichten. Ein sehr guter Text, der mir dennoch seltsam fremd bleibt. Jemand in der Jury spricht von einer Textwirkung, die ähnlich wäre wie psychedelische Drogen, das kann ich nicht erkennen. Kastberger meint, der Text braucht Geduld, Strässle: Die eigentliche Handlung hätte auf einem Fingernagel Platz. Insa Wilke kriegt merkbaren Grant auf Tingler, der mehr und mehr Überheblichkeit an den Tag legt.

Mario Wurmitzer liest mit „Das Tiny House ist abgebrannt“ einen teils surrealen, teils gesellschaftskritischen Text, dem ich gerne folge. Es gab ein paar Jahrgänge, in denen solche Texte automatisch Preiskandidaten waren, ist aber schon ein Weilchen her, und ich bin zu faul, um es genauer nachzuschlagen (Leif Randt fällt mir ein. Peter Licht vielleicht). Er hätte ein bisschen eingekocht gehört, dieser Text, denke ich, er reißt zu vieles an, ohne einer einzigen Sache dann richtig nachzugehen. Manche Schlüsselsätze sind auch einfach etwas zu banal. „Im Grunde ist alles Arbeit„, oder „Leider ist mir vieles egal.“ Großartig hingegen: „Den Alltag zu meistern, bereitet mir wenig Mühe. Nur hin und wieder kommt es zu kurzen Aussetzern. In einer Erzählung von Clemens Setz lese ich den Satz: Er stand auf, zog sich Sandalen an und ging in den Garten randalieren. Da denke ich: ja, genau das. Und das tue ich dann auch, aber nicht lange. Man sieht über das Quäntchen Unberechenbarkeit hinweg, das sich in mir verbirgt. „Denn alles in allem machst du einen super Job“, sagt man mir. Ich bedanke mich.“

In der Jurydiskussion tatsächlich ein (ein einziger!) Moment, in dem ich mit Tingler einig bin – schon beim zweiten abgebrannten Musterhaus hatte ich den Ich-Erzähler im Verdacht. Strässle meint, es robert-walsert, vielleicht etwas hoch gegriffen, aber wunderbar ausgedrückt. Kastberger (sinngemäß): Ein Text muss nicht todernst sein, um wirksam zu sein. Tingler will dann wieder erklären (mansplainen) wie Literaturkritik funktioniert, worauf Insa Wilke androht, „ein bisschen zu randalieren“, wenn er das nicht einstellt.

Laura Leupi hätte mich mit dem sperrigen Titel „Das Alphabet der sexualisierten Gewalt“ beinahe schon verloren, was aber schade gewesen wäre, weil der Text ziemlich großartig ist. Anfangs irritierend, ist die direkte (siezende) Ansprache der Rezipient*innen ein zunehmend sicheres Stilmittel. Kleine Textedelsteine:
„Ich verdächtige den Stuhl, mein Leben zu leben.“
„Ich packe meine Wut in kleine Plastiktüten und werfe sie in den Fluss.“

Die Jury erstaunlich verständig und positiv, Kastberger sieht ein Theaterstück, Delius starke Bilder. Tingler meint, alle außer ihm hätten den Text falsch verstanden, und mansplaint diesmal nicht nur die Literaturkritik, sondern auch die Begrifflichkeiten sexueller Gewalt. Auf den sauberen Konter von Wilke versteigt er sich zu einer intellektuellen Variante von „Manwirdjawohlnochsagendürfen.“

Den Abschluss macht Deniz Utlu mit „Damit du sprichst“. Ich finde die Geschichte mit dem sprachunfähigen Vater und der Mutter mit dem Kämpferherz sehr ansprechend, die Perspektive des der Mutter fremd werdenden Sohnes emotionell und reflektiv geschrieben, muss aber der Kritik der Jury zustimmen, dass ein Text, der sich so sehr um die Sprache dreht, mehr Sprach-Kunst zeigen sollte.

Die Preise

Bachmannpreis an Valeria Gordeev. Das macht mich nicht unglücklich, aber glücklich auch nicht.

Deutschlandfunk-Preis an Anna Felnhofer. Jo eh.

Kelag-Preis und Publikums-Preis an Martin Piekar. Passt!

3-Sat Preis an Laura Leupi. Schön, dass sie einen Preis bekommen hat, aber ich hätte ihr einen höher dotierten gewünscht.

Mir preiswürdige Texte, die leer ausgegangen sind: Jayrome C. Robinet, Jacinda Nandi

Meta

– Die beiden Neuzugänge in der Jury erfreulich konstruktiv, der Moderator*innenwechsel weniger schlimm als befürchtet. 12 Autor*innen sind zu wenig, aber das kann man heuer nicht dem Bewerb anlasten.

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