8. Juni 2001

Dunkeltag

Morgens schon, beim Anblick meiner Chaoswohnung, beschleicht mich erste Depression. Kurzer Impuls, mich krank zu melden, nur um einen ganzen Tag zum Aufräumen zur Verfügung zu haben. Nur schade, dass ich nicht lügen kann – sonst hätte ich es glatt getan.

Zumindest ist heute Sonenbrillenwetter, da will ich doch versuchen, mich nicht darüber aufzuregen, wie der uralte weißhaarige Mann den Geigen- und den Gitarrenspieler vor der Kirche beschimpft. “Zigeunerpack, elendiges!”, aber nicht so laut dass sie es hören könnten. Zu dem Alten etwas zu sagen, wäre Verschwendung, er steht schon mit einem Fuß im Grab. Oder vielleicht hätte ich etwas gesagt, wenn mich nicht die furchtbar missgestimmte Geige jeden Morgen quälen würde.

Die Geige klingt wie eine Schleifmaschine. Die Gitarre so, als würden die Seiten ca. 5 Zentimeter durchhängen. Jeden Tag quäle ich mich an den beiden vorbei, und manchmal werfe ich einen Zehner in den Geigenkasten, in der Hoffnung, dass sie sich dann vielleicht irgendwann Instrumente leisten können, die die Vorübergehenden nicht foltern.

Im Büro ist es kalt, und die Email, auf die ich warte, kommt nicht. Mittags lasse ich das Essen ausfallen, um Einkaufen zu gehen: Eine CD und Kontaktlinsenmittel. Ich trete auf die Straße, und es ist nicht warm, aber schwül, eine dunkle, schwere Schwüle wie aus meinen Träumen. Nur schwebe ich nicht leichtfüßig hindurch wie in meinen Träumen, sondern schleppe mich schwitzend dahin. In einer Nebengasse ist ein Parkplatz frei.

Hier sind nie Parkplätze frei. Beim näherkommen sehe ich, dass eine schwarze Katze daliegt und schläft. Ich bleibe stehen, schaue und sehe, dass sie nicht atmet. Eine tote Katze, äußerlich unversehrt, gepflegtes Fell, man muss genau schauen, um zu sehen, dass sie nicht atmet, dass sie tot ist, katzentot.

Ich stehe noch immer da und einen Augenblick lang bin ich überzeugt davon, zu träumen, so surreal idyllisch ist diese Szene, und Autos fahren vorbei und Menschen laufen durch die Gasse, und ein kleines Kind an der Hand seiner Mutter will die Katze streicheln, es hat nicht bemerkt, dass die Katze tot ist, ich weiss nicht ob die Mutter es bemerkt hat, sie zieht das protestschreiende Kind am gestreckten Arm hinter sich her in den Supermarkt.

Und ich frage mich, ob ich etwas tun sollte, aber was gibt es da schon zu tun, die Katze ist tot und liegt doch so vertraut nach Katzenart da, und ich gehe weiter und denke darüber nach, wieso mich das so berührt, nach diesem Nachrichtenvormittag mit erstochenen Kindern in Japan und Familientragödien in Vorarlberg und was weiss ich noch allen menschlichen Tragödien, aber alles das waren nur Pixel auf dem Bildschirm, die Katze dagegen ist real.

Und es ist dieses dunkle Licht aus dunklen Träumen, eine Gewitterwolke macht das, die direkt gegenüber der Sonne hängt, die das Sonnenlicht aufsaugt und es verändert, wie bedeutungsschwer, an die Erde zurückgibt, und der einzige Optiker weit und breit hat sein Geschäft geschlossen, und die CD, die ich wollte, ist ausverkauft, und ich gehe zurück ins Büro und die Email, auf die ich warte, kommt nicht, und trotzdem wird es Abend, irgendwann.

Und dann ergibt sich, dass ich nicht wegfahren muss, heute, und das ist ein bisschen schade, denn grüne Wiese und Bäume und Grillenzirpen in der Stille wären genau das Richtige gewesen jetzt, aber es ist auch gut, denn so kann ich den Samstag auf dem Fliegerfest verbringen und den Sonntag zum Aufräumen nutzen und vielleicht, vielleicht, wenn das Wetter hält & der Zeitplan funktioniert, den einen oder anderen Sprung machen, das wäre gut.

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