Vor dem Supermarkt hält man mir ein Mikrophon mit dem Logo einer kleineren Radiostation vor die Nase. “Was machen Sie gegen diese Hitze?” – “Dagegen? Nix, ich genieße sie.” Bevor ich fertig gesprochen habe, entzieht mir das junge Ding den Wortverstärker und dreht mir grußlos den Rücken zu. Naja, würde man mich in ein wursthautähnliches Jeans-Stretchkleid pressen, wäre ich wohl auch genervt, mit oder ohne Hitze. Andererseits hat sie es vermutlich selber angezogen. Wie auch immer.
Radiosender, denke ich, während ich drinnen Melone, Brot, Frischkäse und Orangensaft zusammensuche, Radiosender sind halt ein Massenprogramm und haben es nicht so mit der Stimme der Minderheit, in dem Fall der sommer-genießenden Minderheit. Der Herr Sufi sagt ja auch, ich bin nicht normal, wenn sich bei > 30 Grad mein Körper endlich zu Hause fühlt. Andererseits kann ich doch nicht die einzige sein, die nicht stöhnend im Schatten liegt. Oder liegen möchte.
Bin ich auch nicht. “‘itze? Welsche ‘itze?” höre ich, als ich nach dem Einkauf wieder an Fräulein Blauwurst vorbei muss. Den sommersprossig Rotgelockten hätte ich nie im Leben für einen Franzosen gehalten, er sieht fast aus wie ein Bilderbuch-Ire. Nur ohne Bauch. Auch ihm wird gnadenlos das Mikro weggenommen, die Jungmoderatorin rollt trotz seines strahlenden Lächelns die Augen. Ihre Suche nach der Massenmeinung wird wohl noch ein Weilchen weitergehen.
Es ist ein bisschen wie gestern in der S-Bahn-Station, in der keine S-Bahn fuhr. Jedenfalls nicht in meine Richtung. Viele waren, so wie ich, schon von der U-Bahn ausgewichen, die ebenfalls nicht fuhr. Trotzdem kaum Unmutsäußerungen, im Gegenteil, man las gemeinsam den Fahrplan, teilte Strecken-Insider-Wissen und Zeitungen zum Luft-Zufächeln und war sich im großen und ganzen einig, dass sowas zwar lästig ist, aber halt passieren kann – während ich beim Nachschlagen alternativer Verbindungen im Handy-Internet von schrecklich leidenden Fahrgästen las, die ihrem Unmut lauthals Luft gemacht und die Verkehrsbetriebe nicht nur mit Klagen, sondern auch mit Prügel und Schlimmerem bedroht haben sollen.
So ist das wohl in den Medien, alt wie neu, nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.
Gestern jedenfalls, als ich nach meinem Termin die immer noch nicht fahrende U-Bahn durch eine Straßenbahn ersetzen wollte, rollte diese zwar klimatisiert aber völlig überfüllt in die Station ein. Ich beobachtete minutenlang die (übrigens ebenfalls durchwegs gegenseitig wohlwollenden) Bemühungen, die Einstiegswilligen zu den bereits Gequetschten hinzuzufügen, und beschloss dann, den Rest des Weges zu Fuss zu gehen. Knappe halbe Stunde. Die schenk ich mir für einen sommerlichen Stadtspaziergang, dachte ich, marschierte los und begann zu genießen. Ein Vergnügen, das allerdings zunehmend durch meine Schuhe getrübt wurde. Geschlossen, neu und reibefreudig.
Nach einem kleinen Imbiss unter einem Sonnenschirm steckte ich die Übeltäter in die Tasche und lief fortan barfuss. Leichte Nostalgie befiel mich, hatte ich doch früher ganze Sommer begeistert schuhlos verbracht – in Städten wie am Land, und in anderen Ländern auch. Verwunderte Blicke und fingerzeigende Kinder gab es damals schon, neu dagegen war der Mann, der stehen blieb und, als ich um ihn herumgehen wollte, einen Schritt zur Seite trat, damit ich auch stehenbleiben musste. “Das können Sie doch Ihren Füßen nicht antun!” rief er, während sein Zeigefinger auf einen Punkt eineinhalb Meter weiter oben zeigte. “Keine Sorge, die mögen das.” Ich umrundete ihn auf der anderen Seite, da warf er noch ein schwer erbostes “Aber das ist UNSEXY!” hinter mir her.
So ein Pech aber auch.