Die Dummheit ist ein Hund

2. November 2020

Ich muss so 5 oder 6 Jahre alt gewesen sein, als ich mit meiner Großmutter nach Graz fuhr, um meine Mutter in der Nervenklinik zu besuchen. Diverse Besuche in diversen Spitälern waren für mich damals keineswegs ungewöhnlich, und ich war auch bei diesem Besuch deutlich weniger nervös als meine Großmutter. Hinter mir her zog ich an einer roten Lederleine (die unserem Dackel zu klein geworden war) einen schwarzen Plüsch-Pudel, und alle Appelle meiner Großmutter, das geliebte Nicht-Tier doch endlich in die Handtasche zu packen, stießen bei mir auf taube Ohren.

Das Gelände der Nervenklink war ein weitläufiger Park, man musste quasi 10 Minuten durchs Grüne dahinmeandern, bevor man zu den Krankenhausgebäuden selbst kam. Und auf diesen idyllischen Parkwegen kamen uns zwei Ärzte entgegen. Wir grüßten freundlich, sie grüßten freundlich, aber nach ein paar Metern drehte sich der eine um und fragte, mit Blick auf meinen Plüsch-Pudel: „Was hast du denn da?“ – „Das ist mein Hund, der Strolchi“, sagte ich, zum Entsetzen meiner Großmutter, die sofort zu einem langen Monolog anhob, der ungefähr darauf hinauslief, dass ich ja gar nicht wirklich glauben würde, dass das mein Hund ist, dass ich sehr wohl wüsste, dass das nur ein Spielzeug sei, und dass ich hier nicht im Krankenhaus wäre, sondern dass wir hier nur jemanden besuchen wollten.

Die immer lauter werdende Rede verblüffte mich genau so wie die beiden Ärzte, las ich an den Blicken ab, die sie einander zuwarfen. Der eine hob beschwichtigend die Hände und wollte etwas sagen, kam aber nicht zu Wort. Der andere nutzte blitzschnell die Gelegenheit, als meine Großmutter Luft holen musste, und fragte mich, ob ich denn auch einen echten Hund hätte. Ich gab bereitwillig Auskunft über den Dackel meines Großvaters, während meine Großmutter immer noch zunehmend panisch versuchte zu erklären, dass ich wirklich keine Insassin der Nervenklinik war, sondern nur zu Besuch. Je lauter sie wurde, umso peinlicher war mir ihre Fehleinschätzung der Lage, weil es völlig klar war, dass die beiden Ärzte nur ein paar freundliche Worte mit einem möglicherweise süßen Kind wechseln wollten, und keineswegs die Absicht hatten, mich „für mein Leben lang einzusperren“, wie meine Großmutter mir eindringlich einzureden versuchte, nachdem die beiden etwas ratlos und bemüht freundlich die Hand zum Abschied gehoben hatten und weiter spaziert waren.

Damals war ich zum ersten Mal damit konfrontiert, dass jemand sich in einen völlig absurden Wirbel hineinredet und eine Situation so grundsätzlich missversteht, dass man einfach nicht mehr weiß, wie man dagegen anreden soll.

Heute passiert sowas öfter, als man in einer aufgeklärten Gesellschaft annehmen sollte. Und damals wie heute habe ich nicht das geringste Bedürfnis, mich oder die Lage genauer zu erklären – ich möchte dann immer einfach nur weg von so viel Dummheit und Verständnislosigkeit.

Ein paar Jahre später wurde ich übrigens im selben Krankenhauspark von einem verhinderten Raumfahrer zur Miss Universum ernannt, – aber das ist eine andere Geschichte für einen anderen Tag.

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